Ob in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Privaten – bei den Opfern von Mobbing bleiben oft seelische Wunden zurück. Eine Studentin, die dies am eigenen Leib erfahren hat, berichtet dem Uniblog von ihren belastenden Erfahrungen.
“Mobbing oder Mobben als soziologischer Begriff beschreibt das wiederholte und regelmäßige, vorwiegend seelische Schikanieren, Quälen und Verletzen eines einzelnen Menschen durch eine beliebige Art von Gruppe oder Einzelperson.” So steht es bei Wikipedia. Doch diese Erklärung kann das persönlich Erlebte nicht ansatzweise wiedergeben.
Ängstlich im Kindergarten
In der Kolumne schreiben Studierende in Koblenz und Landau unplugged aus ihrem Alltag.
In meinem Kindergarten gab es ein Mädchen, etwas älter als ich, das mich immer wieder erschreckte. Sie kam plötzlich hinter einer Tür hervorgesprungen oder schlich sich von hinten an und zwickte mich unerwartet. Irgendwann hatte ich schreckliche Angst vor ihr. Dann kam das Mädchen in die Schule und ich hatte Ruhe. Auch heute bin ich noch schreckhaft. Wenn in Vorlesungen jemand laut hustet, sich die Tür öffnet oder etwas Unerwartetes passiert, zucke ich zusammen. Ich habe mich immer gefragt, woher dieses Verhalten kommt. Dann fiel mir das Mädchen wieder ein.
Schon damals im Kindergarten verstand ich nicht, warum Kinder so gemein sein können. “Was mache ich falsch?”, fragte ich mich. Mittlerweile weiß ich: Vermutlich kompensierte dieses Mädchen mit ihrem Verhalten eigene Schwierigkeiten. Oft haben Menschen, die andere mobben, selbst psychische Probleme. Sie fühlen sich durch das Mobbing bestätigt. Durch Gruppenzwang können sich dann ganze Cliquen bilden, die sich gegen eine Person stellen.
Als “Seuche” in der Grundschule
Während meiner Grundschulzeit behandelten mich etwa drei Jahre lang viele andere Kinder so, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Sie spielten “Seuche”: Sie tippen mich an, liefen weg und riefen “Geimpft!” Auf dem Schulhof standen sie im Kreis um mich herum und beschimpften mich: “Du stinkst! Du bist hässlich, fett und dumm!” Klassenfahrten waren schrecklich. Die anderen schlossen mich beim Spielen aus, lästerten über mich. Beim Essen wusste ich nie, zu wem ich mich setzen soll. Ein Mitschüler erschwerte mir gern den Weg nach Hause. Er versperrte den Zugang zu meiner Straße. Eine Zeit lang war ich gezwungen, jeden Mittag bei einer Freundin eine halbe Stunde zu warten, bis ich sicher nach Hause gehen konnte. Einmal stieß mich ein anderer Junge sogar vor den anfahrenden Schulbus. Mit Glück blieb ich bis auf ein paar Schrammen unverletzt.
In diesen Jahren weinte ich fast jede Nacht. Zwar gab es Lehrkräfte, die versuchten, einzugreifen. Doch das verlief meist im Sande. Meine Eltern haben mich glücklicherweise sehr unterstützt. In der vierten Klasse wurde es besser. Bis heute sind die Worte der anderen Kinder in meiner Erinnerung manifestiert. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich den Glauben, sie seien wahr, nie wirklich loswerden werde.
Neustart Gymnasium?
Im Gymnasium, so dachte ich, startet ein neuer Lebensabschnitt. Doch in der fünften Klasse hatte ich nach kurzer Zeit wieder die Opferrolle eingenommen. Meine Körpersprache schien zu suggerieren: “Dieses Mädchen ist leicht zu ärgern.” Ich hatte verlernt, ich selbst zu sein. Ich wollte anderen gefallen und es ihnen recht machen, damit niemand einen Grund hatte, mich zu ärgern. Unterricht und das Lernen boten mir Ablenkung, sodass immerhin meine schulischen Leistungen nicht litten. Erst eine Therapie bei einer Kinderpsychologin half mir, das Erlebte zu verarbeiten und besser mit dem Mobbing umzugehen. Ab der neunten Klasse hörte die Schikane plötzlich auf. Ich wurde zwar ignoriert, aber nicht mehr bewusst geärgert.
Die Wunde bleibt
Erst als ich mit dem Abitur meine Schullaufbahn abgeschlossen hatte, hatte ich das Gefühl, auch mit der Mobbingerfahrung abschließen zu können. Inzwischen bin ich Anfang 20 und mir sicher, meine Identität gefunden zu haben. An der Universität kann ich mich so entfalten, wie ich möchte. Mit ein paar ehemaligen “Tätern” bin ich heute sogar befreundet. Trotzdem: Die Wunden im Unterbewusstsein spüre ich gelegentlich noch. Ich hoffe, dass auch das eines Tages aufhören wird. Dadurch, dass ich gelernt habe, mich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen und es zu verarbeiten, wurde mein Selbstbewusstsein gestärkt. Heute stehe ich hinter meiner Meinung.
Ein Tipp für Betroffene: Wenn du akut gemobbt wirst, bleibe stark. Es werden bessere Zeiten kommen. Du wächst an deinen Erfahrungen. Suche dir aber auf jeden Fall Hilfe. Beschäftige dich mit deinen Erlebnissen, sonst holen sie euch irgendwann ein. Man muss lernen, sie zu verarbeiten. Eine Therapie kann dir dabei helfen.
Wenn ihr gemobbt werdet oder anderweitig persönliche Seelsorge benötigt, findet ihr Hilfe bei Beratungsstellen. Informationen zur Beratungsstelle des Studierendenwerks Koblenz findet ihr hier. Zudem bietet die Telefonseelsorge Mittelrhein Hilfe bei Problemen. Sie ist täglich rund um die Uhr gebührenfrei unter den Rufnummern 0800-1110111 und 0800-1110222 erreichbar.