So wohnt der Campus

Pho, Plantanes und Petersilie

Vor ihrem Studium an der Universität in Koblenz zog unsere Reporterin Bettina Böhmer 2014 nach Worms, um dort eine Ausbildung zur Augenoptikerin zu machen. Als sie den Vertrag für eine Vierer-Frauen-WG unterschrieb, konnte sie noch nicht ahnen, wie sehr die nächsten drei Jahre ihr Leben bereichern würden. Frauen aus fünf verschiedenen Ländern leisteten ihr als Mitbewohnerinnen Gesellschaft. Während des Studiums der BioGeoWissenschaften in Koblenz ab 2018 waren dann Menschen aus drei weiteren Nationen ihre Weggefährt:innen. Bettina erinnert sich noch gut an alle.

„Ich höre mich an wie ein Motorrad“: Linh Hanh und Nu Tham aus Vietnam

Meine erste internationale Mitbewohnerin war Linh Hanh aus Vietnam. Sie war sowohl durch ihr Alter als auch von der Wohndauer in der WG her “die Erfahrene”. Auch ihr Wesen machte sie zur WG-Mutter: Sie sagte deutlich, aber diplomatisch, wenn ihr etwas nicht passte. Sie lehrte mich, was es bedeutet, zwischen zwei kulturellen Welten zu stehen: Ihre Familie erwartete, dass sie möglichst bald wieder nach Hause kam, um zu heiraten. Sie selbst wollte das nicht. Ihr Verhalten und ihre Einstellungen waren, wie sie selbst sagte, “schon ziemlich deutsch” und sie genoss es, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu planen. Nichtsdestotrotz blieb die Familie, der sie ja in Liebeverbunden war, bei allen Entscheidungen im Hinterkopf.

 

Eine Karte als Mitbringsel aus Vietnam.

Eine Karte als Mitbringsel aus Vietnam.

Bald bezog Nu Tham das vierte Zimmer dieser WG. In Südvietnam geboren, war sie  im Alter von sieben Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen. Ihre Sprache unterschied sich vom nordvietnamesischen Dialekt Linh Hanhs. Um es mit Linh Hanhs Worten zu sagen: “Der Dialekt aus dem Süden hört sich an, als würden sie singen. Ich höre mich an wie ein Motorrad.“

Dank Linh Hanhs Fürsorglichkeit saßen wir häufig bei vietnamesischem Essen zusammen. So lernte ich Pho (eine Suppe) und Sesambällchen kennen. Beim Kartenspiel erfuhr ich, dass das Zeichen für „Kreuz“ im asiatischen Raum „Petersilie“ genannt wird.

Linh Hanh nahm mich auch mit in ein asiatisches Geschäft. Ich war schon immer neugierig darauf, durch eines zu schlendern, doch mir fehlte der Mut, mich in die Räume voller für mich unbekannter Produkte zu wagen.

„18 Uhr heißt 18 Uhr“: Valeria aus Mexiko

So wohnt der Campus. Foto: Amanda Vick/UnsplashFür die Serie So wohnt der Campus gewähren uns Studierende und Lehrende Einblicke in die eigenen vier Wände.

Gleichzeitig mit mir zog Valeria aus Mexiko ein. Auch sie wollte vorerst nicht mehr zurück (“Viel zu gefährlich dort.“) und strebte eine Karriere in Deutschland an. Wenn sie etwas erreichen wollte, arbeitete sie verbissen daran, ließ sich durch nichts ablenken und konnte sogar Gefühlschaos professionell beiseiteschieben. Von einer Heimatreise brachte sie echten mexikanischen Tequila mit. Und wie alles, was ich “original aus dem Ursprungsland“ probieren durfte, schmeckte er wesentlich besser als das Produkt aus dem hiesigen Supermarkt. Nach jener Reise berichtete sie, dass sie häufiger auf ihre Freunde gewartet hatte: “Also ehrlich, das nervt mich. Wenn wir 18 Uhr sagen, heißt das auch 18 Uhr. Guck mal, so deutsch bin ich schon!“

Kuchenduft im Handumdrehen: Jamila aus Marokko

2015 zog Jamila aus Marokko in Linh Hanhs Zimmer. Sie war ein emotionaler Mensch, von innerer Unruhe getrieben und konnte mal eben schnell die leckersten Desserts kreieren. Sie half mir, ein paar Wörter Arabisch zu lernen, während ich auf meiner Arbeit Geflüchtete als Kunden hatte. Auch einige Tricks für einen luftigen Kuchenteig brachte sie mir bei.

Eine Deutsche unter Kamerunern: Michelle aus Kamerun

Kurz nach Jamilas Einzug übernahm Michelle das Zimmer von Valeria. Sie kam aus Kamerun. Michelle war die liebste, ruhigste, unauffälligste, zuverlässigste Mitbewohnerin, die ich je hatte. Sie war immer für einen langen Spaziergänge zu haben und überraschte uns regelmäßig mit neuen Frisuren, die sie sich in ihr Haar flocht. Unvergesslich sind ihre Plantanes, hier als Kochbananen bekannt, frittiert und mit Erdnusssoße serviert!

Hefebällchen und Süßkartoffeln mit Bohnen. Auch Gerichte aus Kamerun durfte unsere Reporterin kennenlernen.

Eine besondere Erfahrung für mich war Michelles Geburtstagsfeier: Im Hof des Hauses grillte sie mit ihren Verwandten und Freund:innen, in unserer Küche wurden weitere Gerichte zubereitet. So kam ich am Abend der Party nach Hause und befand mich, gemeinsam mit unserer neuen südkoreanischen Mitbewohnerin Da-Som, unter einer Menge an unbekannten Gesichtern von People of Color. Das verdeutlichte mir, wie sich Michelle vielleicht fühlte, als sie nach Deutschland kam.

Auslandssemester in Deutschland: Da-Som aus Südkorea

Da-Som bezog das Zimmer von Nu Tham, die sich gerade selbst im Auslandssemester befand und Da-Som als Buddy betreute. Die Südkoreanerin ist bis heute die einzige meiner Mitbewohner*innen, die zuvor noch nicht in Deutschland gewohnt hatte und mit der ich mich auf Englisch verständigte. Dementsprechend übernahm ich eine Rolle als Sightseeing-Führerin, während wir Klischees beiseiteschaffen konnten und über Küchentraditionen plauderten.

Mit der Hoffnung auf Verbesserung: Sam aus Syrien

2018 zog ich in eine Dreier-WG nach Koblenz. Hier ist seit Februar 2019 der schüchterne Sam aus Syrien mein Mitbewohner. Ich kenne die groben Stationen seiner Flucht vor dem Krieg, doch um mehr über seine Erlebnisse zu erfahren, fehlt mir der Mut. Auch der Beginn unseres Zusammenwohnens war von Unsicherheit und leichten Sprachbarrieren geprägt, doch mittlerweile ist er mir ans Herz gewachsen. Sam ist immer mit einer sachverständigen Lösung zur Stelle, wenn etwas in der Wohnung repariert werden muss. Wenn eine seiner Mitbewohnerinnen in seelischer Schieflage ist, merkt er es sofort und hat meistens einen lustigen Kommentar, immer aber Schokolade parat.

Es gibt oft Situationen, in denen mir bewusst wird, was Sam alles zurücklassen musste: Ich habe Fotos von Freund*innen und Lieblingsbücher in meinem Regal stehen, seines ist bis heute halb leer. Außerdem werden ihm immer wieder bürokratische Steine in den Weg gelegt, die ihm das seelische Ankommen in Deutschland erschweren.

Curry und WG-Familie: Mohanna aus Kasachstan

Mit dem Einzug von Mohanna wenig später änderte sich unser WG-Gefüge um 180 Grad. Durch ihre bedingungslose Herzlichkeit und Offenheit, frei von jeden Vorurteilen, machte sie eine kleine Familie aus uns. Sie sorgte dafür, dass wir häufig bei leckerem Curry beisammensaßen und uns ausführlich austauschten. Ihre köstlichen Gerichte, inspiriert von einem Trip durch Thailand und Vietnam, haben oft die Stimmung gehoben.

Deutsch ist kompliziert: Hanna aus dem Iran

Der Versuch eines "Wörterbuchs" für Deutsch-Arabisch-Persisch. (Ohne Anspruch auf korrekte Schreibweise.)

Der Versuch eines “Wörterbuchs” für Deutsch-Arabisch-Persisch. (Ohne Anspruch auf korrekte Schreibweise.)

Im März 2022 zog Mohanna aus und Hanna aus dem Iran ein. Als studierte Ärztin möchte sie sich hier weiterbilden. Von ihr lernte ich traditionell iranische Gerichte kennen und erfuhr viel über das Leben im Iran. Dieses Land liegt halb auf dem asiatischen Kontinent, und so nennt auch sie das Spielkarten-Kreuz „Petersilie“. In dieser WG-Konstellation werden mir die Unterschiede zwischen arabischer und persischer Kultur erläutert. Da Sam und Hanna Deutschkurse besuchten, bekam ich auch die Schwierigkeiten des Erlernes einer neuen Sprache mit.

Grenzabbau mit Essen und Klischees

Eines habe ich aus dieser WG-Zeit gelernt: Essen ist meiner Erfahrung nach das beste Mittel, um Gespräche entstehen zu lassen. Sich über die gängigen Klischees auszutauschen, lässt Hürden sinken und bringt einem die unbekannte und  die eigene Kultur näher. Ich habe den Eindruck, dass meine Mitbewohner:innen häufig offener waren als ich. Ob es daran lag, dass sie sich an das neue Leben in Deutschland gewöhnen mussten, während ich mich in bekanntem Umfeld befand? Ich jedenfalls fand den Austausch stets bereichernd und möchte die Erfahrung nicht missen!

Die Namen der Mitbewohner*innen wurden verändert.

Bettina Böhmer