Internationaler Besuch

Von Dnipro nach Koblenz

Als Yelyzaveta Antonenko 2021 als Austauschstudentin an den Campus Koblenz kam, wusste sie nicht, dass sie hier auch ihren Abschluss machen würde. Im Angesicht des Ukrainekrieges wurde ihr Stipendium in Deutschland verlängert. Für ihre Familie war klar, dass Yelyzaveta in Koblenz bleiben soll. Neben einem an der Dnipro University of Technology begonnenen Masterstudium in System-Analysis studiert sie nun auch den Studiengang Mathematical Modeling, Simulation and Optimization in Koblenz.

Weshalb hast du dich für deinen Studiengang entschieden?

In der Ukraine gibt es nur elf Schuljahre. Das heißt ich habe die Schule mit 17 Jahren beendet. Zu dieser Zeit hatte ich keine Ahnung, was ich nach der Schulzeit machen wollte. Daher habe ich meine Familie gefragt, welche Möglichkeiten es gibt. So habe ich auf deren Empfehlung dieses Studium begonnen und bisher nicht bereut.

Die Campus in Koblenz und Landau beherbergen Menschen aus vielen Ländern der Welt. In der Rubrik Internationaler Besuch stellen wir sie vor.

Stand für dich schon früh fest, dass du auch im Ausland studieren möchtest?

Ja, ich habe bereits ein Auslandssemester in Tschechien absolviert. Im Austauschprogramm habe ich die Möglichkeit gesehen, neue Erfahrungen zu sammeln. Allerdings haben die Coronapandemie und der Lockdown dafür gesorgt, dass alles online stattgefunden hat. Das klassische Studierendenleben konnte ich deswegen nur begrenzt wahrnehmen.

In Koblenz bist du inzwischen länger als ursprünglich geplant.

Ich studiere schon seit dem vergangenen Wintersemester in Koblenz. In den Semesterferien habe ich meine Familie in Dnipro besucht. Nachdem es am ersten Tag einen Raketenangriff gab und die Front sich von drei Seiten der Stadt näherte, entschieden meine Eltern nach zwei Wochen, dass ich wieder nach Deutschland abreisen sollte. Eigentlich wollte ich für meine Masterarbeit in die Ukraine zurückkehren. Doch wegen des Krieges werde ich aller Voraussicht nach meinen Master in Deutschland verteidigen müssen. Deshalb werde ich zunächst hier bleiben und mir einen Job suchen, um etwas Geld dazuzuverdienen.

Inwieweit unterscheidet sich das Studium hier von dem in der Ukraine?

In der Ukraine werden die Module von der Universität strikt vorgegeben. Hier muss ich meinen Stundenplan selbst zusammenstellen. Dadurch bin ich unabhängiger, habe dafür aber mehr Eigenverantwortung. Das  war gerade zu Beginn eine Herausforderung für mich, weil mir dieses System unbekannt war.

Konntest du neue Menschen kennenlernen?

Ja, ich habe sowohl Kontakt zu internationalen als auch zu lokalen Studierenden. Einige kenne ich aus den Wohnheimen, andere vom Allgemeinen Hochschulsport. Die Leute haben mich herzlich empfangen. Vor allem die SommerUni bietet tolle Gelegenheiten, um gemeinsam etwas zu unternehmen.

Inwieweit unterscheidet sich das Leben hier von dem in der Ukraine?

Es mag wie ein Klischee klingen: Mir kommt es wirklich vor, als sei hier alles organisierter. Es gibt strikte Regeln und Zeitpläne. Ich habe auch den Eindruck, dass Menschen in Deutschland konkretere Zukunftspläne haben. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang. Speziell junge Erwachsene scheinen hier reifer zu sein, als es in der Ukraine der Fall ist. Dort ist das Leben allgemein etwas entschleunigter und lockerer. Allerdings sind deutsche Studierende im Durchschnitt älter als ukrainische, was sicher auch dazu beiträgt.

Wie kommst du mit der Umstellung zurecht?

Die Bürokratie hierzulande war schon ein kleiner Schock. Die vielen gedruckten Dokumente und der langwierige Briefverkehr haben mich anfangs überfordert. Die größte Herausforderung stellt für mich die Sprache dar. Mittlerweile kann ich mir das Gesagte aus dem Kontext erschließen. Deutsch zu sprechen, fällt mir allerdings noch schwer.

Denkst du oft an die Ukraine und die dortige Lage?

Ja, eigentlich ständig. Die dauerhafte Bedrohung geht mir sehr nahe. In jeder freien Sekunde checke ich die Nachrichten oder Social-Media-Kanäle. Ich fühle mich gezwungen, Bescheid wissen zu müssen. Auf meinem Smartphone habe ich eine Sirenenapp. Wenn die Gefahr eines Angriffs auf die Dnipro besteht, bekomme ich eine Warnmeldung. Meistens passiert das nachts. Dann rufe ich meine Eltern an, damit sie sich in Sicherheit bringen können.

Der Krieg dauert nun schon viele Monate an. Wie geht es dir damit?

Ehrlich gesagt kann ich meine Gefühlslage kaum in Worte fassen. Teilweise ist es Angst, teilweise Wut. Mit der Zeit ist eine Kälte eingekehrt. Möglicherweise ist das ein Selbstschutzmechanismus. Schließlich kann ich mich nicht ständig in diesem hochemotionalen Modus befinden. Es fällt mir trotzdem schwer, abzuschalten und mich auf mein Studium zu konzentrieren. Physisch bin ich in Deutschland, doch psychisch bin ich in der Ukraine bei meiner Familie. Wer hätte schon gedacht, dass wir im 21. Jahrhundert gezwungen sind, unsere Häuser zu schützen, und nicht nur das. Es geht ja um das Überleben unserer Nation und ihrer Identität.

Würdest du später gerne in die Ukraine zurückkehren?

Auf jeden Fall. Die Ukraine ist meine Heimat. Ich will mein erlerntes Wissen nutzen, um dort zu helfen.

Interview: Erik Ufimzew