Kolumne

Wolf Biermann aus der Perspektive des jungen Publikums

Bereits im Jahr 2020 verlieh der Fachbereich Philologie/Kulturwissenschaften der Universität Koblenz-Landau die Ehrendoktorwürde an den Liedermacher Wolf Biermann. Als 16-Jähriger siedelte er als überzeugter Kommunist in die DDR über. Doch 1976 wurde er als Dissident ausgebürgert. In den Folgejahren war Biermann im Westen als Musiker, Lyriker und in der Friedensbewegung aktiv und wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Am 18. Mai 2022 fand auf dem Campus Koblenz das Konzert zum Festakt der Verleihung der Ehrendoktorwürde statt. Um einen Eindruck seiner Bühnenpräsenz zu gewinnen, haben sich zwei Reporter:innen des Uniblogs unter das Publikum gemischt.

Bettina: Das Durchschnittsalter des Publikums war schon deutlich über 50. Trotzdem waren einige junge Leute im Hörsaal. Zum Beispiel Lehramtsstudierende, die durch Seminare von Biermann erfahren haben und den Besuch des Konzerts von ihrem Dozenten empfohlen bekamen.

Nicolai: Viele der jungen Gäste waren geschichtlich und politisch interessiert. Oder Biermann ist ihnen ein Begriff aus der Schulzeit und gehört zum Allgemeinwissen. Andere haben einige seiner Stücke auf der Gitarre gelernt und ergreifen hier die Chance, den Liedermacher live zu erleben. Es gibt viele Gründe, sich für Biermann zu interessieren.

Bettina:  Ich wusste vorher nicht so wirklich, was mich erwartet. Ich hatte nur gelesen, dass Biermann schon 86 Jahre alt ist, und mich gefragt, wie man in diesem Alter bei einem Auftritt wirkt. Zumindest physisch stand eine temperamentvolle, stolze Persönlichkeit auf der Bühne, kein alter, gebrechlicher Mann. Allerdings machte er häufig Pausen, um nach Wörtern zu suchen.

In der Kolumne schreiben Studierende in Koblenz und Landau unplugged aus ihrem Alltag.

Nicolai: Doch diese Pausen verleihen dem Konzert Lebendigkeit. Ich vermute, es gehört zu seinem Stil? Als Liedermacher scheint er meiner Meinung nach genau zu wissen, was er tut und wie er beim Publikum ankommt. Das merkt man an seiner häufigen Selbstironie.

Bettina: Und an seinen Texten … Er nutzt einfache Wörter, aber ungewöhnliche Brüche und unvorhergesehene Wendungen. Das macht die Texte anspruchsvoll, was heutzutage ungewohnt ist. Außerdem macht er viele Pausen, auch mitten in den Liedern und Gedichten. In denen schweifte er zu Anekdoten aus seinem Lebens ab oder äußerste sich zum momentanen Weltgeschehen. Dadurch war es für die Zuhörer:innen nötig, immer aufmerksam zu folgen, um nicht den Faden zu verlieren.

Nicolai: Ich frage mich, ob das Abschweifen schon immer in seinen Auftritten vorhanden war. So nach dem Motto: Das ist der Original-Biermann, der macht auch mal einen Exkurs dazwischen. Das macht ihn so berühmt: Er schreibt nicht nur gute Musik und Texte, sondern er liefert eine Show ab. Damit bleibt, neben den Texten, auch die Person im Gedächtnis.

Bettina: Und er nimmt auch jetzt noch Bezug zu aktuellen Themen. Er kommentierte den Krieg in der Ukraine: „Er wird ewig dauern. Das muss man wissen, damit man nicht enttäuscht wird.“ Denkst du, Biermann ist desillusioniert? Eigentlich wäre das kein Wunder, da ihm im Leben immer große Steine in den Weg gelegt wurden. Er erwähnte, dass seine Kriegserlebnisse im Zweiten Weltkrieg ihn zu dem kritischen Menschen gemacht haben, der er jetzt ist.

Nicolai: Das kann schon sein. Ich denke, der Krieg und Putins Desinformationskampagnen rufen in ihm Erinnerungen wach. In der DDR konnte er sich nicht frei äußern. Er musste seine Lieder für sich sprechen lassen.  Aber die verstecken Botschaften sind hierzulande derzeit nicht nötig. Wahrscheinlich genießt er es, seine Gedanken frei aussprechen zu können. Trotzdem war das Konzert nicht offensichtlich politisch. Er kann Themen sehr locker vermitteln. Selbst wenn er tief ergriffen ist, präsentiert er unterhaltsam. Seiner Aussage nach steht er unglaublich gerne auf der Bühne und würde am liebsten jeden Vorwand nutzen, um auftreten zu können.

Bettina: Sehr beeindruckt hat mich sein Einsatz der Gitarre: Er hat das ganze Instrument benutzt, klopfte mal laut, mal leise auf den Hohlkörper, rasselte mit seinen Fingernägel darüber oder erzeugte mit schrammenden Saiten eine dichte Atmosphäre. Es hörte sich an, als würde er mehr als ein einziges Instrument spielen.

Nicolai: Insgesamt war ich sehr positiv überrascht. Ich hatte eher klassische „DDR-Volkslieder“ mit den entsprechenden Metaphern erwartet, aber Biermann ist ein echter Entertainer! Er setzte auch seine Stimme als Instrument ein und ist dabei überraschend laut. Sein Alter sieht man ihm gar nicht an. Nur gegen Ende seines Auftritts merkte man es vielleicht, als er sagte: „Es reicht. Ich hab keine Lust mehr.“ Wobei er ja auch fast zwei Stunden gespielt hat.

Bettina: Also können wir als Fazit sagen: Hoher Unterhaltungswert, sehr beeindruckende Persönlichkeit, aber auch anspruchsvoll durch die eingestreuten Gedankengänge. Folglich keine leichte Kost, doch aufgrund der unterhaltsamen Gesamtdarbietung auch für jüngere Leute geeignet!

 Bettina Böhmer und Nicolai Zander