Aus dem Labor

Die psychologischen Folgen einer Pandemie

Durch die COVID-19-Pandemie beschäftigen wir uns mehr als sonst mit unserer physischen Gesundheit. Wir waschen uns öfter und intensiver die Hände und müssen nicht nur zu Fremden, sondern auch zu Freunden und Verwandten Abstand halten. Das hat Konsequenzen für unsere psychische Gesundheit. Professorin Dr. Melanie Steffens, Leiterin der Arbeitseinheit Sozial- Umwelt- und Wirtschaftspsychologie in Landau, schildert die psychologische Sichtweise auf die Coronakrise.

Die wegen der Pandemie angeordneten Kontaktsperren haben zum Teil soziale Isolation zur Folge. Welche psychischen Konsequenzen können dadurch auftreten?

Soziale Isolation ist ein Problem für den Menschen, das zeigt die psychologische Forschung eindeutig. Soziale Kontakte unterstützen uns bei der Konfrontation mit Stressoren. Wenn wir also im Alltag Stress und Konfliktsituationen erleben, dient die soziale Unterstützung quasi als Puffer. Im Umkehrschluss bedeutet das für die jetzige Situation, dass Stress deutlich schlimmer erlebt wird. Menschen können sehr darunter leiden, wenn sie aus Gruppen ausgeschlossen werden oder der Kontakt zu anderen Menschen ganz fehlt. Das kann einer der größten Stressoren sein, die wir empfinden. Dazu forscht in unserer Arbeitseinheit Juniorprofessorin Dr. Selma Rudert.

In unserer Serie Aus dem Labor stellen wir Menschen und Projekte vor, die die Forschung voranbringen.

Das Gute heutzutage ist jedoch, dass viele Menschen durch digitale Angebote auch ohne direkten physischen Kontakt nicht allein sein zu müssen. Gerade jetzt kommt es vor, dass man alte Kontakte nochmal aktiviert. Die aktuellen Maßnahmen müssen also nicht zwangsläufig dazu führen, dass man vollständig isoliert ist. Allerdings gibt es natürlich Personengruppen, für die das nicht gilt: Menschen in Pflegeheimen zum Beispiel, die jetzt keinen Besuch empfangen dürfen, können nicht alle per Video mit den Enkeln chatten. So ist die Lage insbesondere für Menschen mit Erkrankungen wie fortgeschrittener Demenz in solchen Einrichtungen schwerer begreifbar. An dieser Stelle müsste man sich vielleicht fragen, ob es richtig ist, dass ein Mensch die womöglich letzten Wochen seines Lebens in sozialer Isolation verbringen muss.

Wie kann man seinen Alltag in der Wohnung über einen längeren Zeitraum strukturieren?

Gerade jetzt muss sich jeder bewusst überlegen: “Was brauche ich und was tut mir gut?” Ob man ganz der Routine nach morgens um 9 Uhr die Lieblingskollegin im Firmenchat begrüßen möchte oder ob man in der Mittagspause Privatkonversationen mit Bekannten betreibt. Man kann abends festhalten, was einem rückblickend gut gelungen ist und sich morgens vornehmen, welche Projekte man angeht und was man schaffen möchte. Ich habe zum Beispiel mit Diplomanden und Master-Studierenden ausgemacht, dass sie mir jeden Freitag ihre Arbeitsfortschritte schicken. Da gibt es also relativ leichte Möglichkeiten, die man im Homeoffice gut umsetzen kann. Auch wenn es scheint, als wäre jeder Tag gleich, kann man sich für jeden etwas Bestimmtes vornehmen und sich so Struktur schaffen.

Wie lässt sich das Zu-Hause-Bleiben in der Gruppe bewältigen?

Mein Kollege Professor Dr. Ottmar L. Braun würde jetzt wahrscheinlich empfehlen, was wir im Arbeitsleben propagieren: Selbstmanagement. Das heißt, wenn ich mit mehreren Personen zusammenlebe, muss ich mir Freiräume schaffen. Hier müssen eben Regelungen gefunden werden, wer zu welcher Zeit in welchem Raum ungestört sein muss. Wir haben hierzulande vermutlich zum Großteil das Glück, nicht mit mehreren anderen Personen in Ein-Zimmer-Apartments zu leben und dadurch entsprechend mehr Möglichkeiten.

Durch die Ausgangsbeschränkungen hat sich die Rollenverteilung in vielen Haushalten verändert. Könnte das dauerhafte Folgen haben?

Wenn der Vater jetzt im Homeoffice ist und die Mutter als Pflegerin tätig ist, kann es durchaus sein, dass die Familie die Erfahrung macht, dass dieses Konzept funktionieren kann. Es kann auch sein, dass man trotzdem versucht die Rollenverteilung beizubehalten. Beides ist möglich. Es gilt jedoch: Wo man neue Erfahrungen macht, besteht die Chance, dass sich an tradierten Rollen etwas ändert.

Welche Gruppen sind besonders von den psychischen Folgen dieser Krise betroffen?

Dazu gehören Menschen mit Existenzängsten aufgrund von Kurzarbeit oder Jobverlust und solche, die zuvor schon Schulden hatten. Psychologisch gesehen gibt es aber noch einen anderen Faktor: Resilienz. Resiliente Personen können grundsätzlich besser mit Krisen und Stress umgehen als andere. Menschen mit psychischen Vorerkrankungen sind weniger resilient und da ist es natürlich besonders schwer, nicht unter der Last der aktuellen Umstände zu zerbrechen, wie man umgangssprachlich sagen würde. Auch Eltern sind psychologisch gesehen besonders betroffen: Homeoffice mit mehreren Kindern in der Wohnung kann zur Last werden. In diesen Fällen sollte man auch mal auf Methoden zurückgreifen, die man sonst eher zurückweisen würde, zum Beispiel den Fernseher anschalten, um einige Zeit in Ruhe verbringen zu können. Geschlechterspezifisch darf man den Aspekt häuslicher Gewalt nicht außer Acht lassen. Diese Thematik wurde beispielsweise in Spanien sofort diskutiert, weil in solchen Fällen die Frauen den Tätern durch den verordneten Hausarrest völlig hilflos ausgeliefert sind.

Kann man Existenzängsten etwas entgegenstellen?

Diese Ängste sollten sehr ernst genommen werden. Insbesondere, wenn die Betroffenen es nicht in der Hand haben, etwas an der Situation zu verändern, kann eine solche Phase ein sehr großer Stressor sein. Zwei Überlegungen können helfen: Zum einen kann man sich fragen: “Was ist das Schlimmste, was mir jetzt passieren kann?” Wir leben in einem Sozialstaat, der dafür sorgt, dass niemand verhungern muss. Auch wenn also die beruflichen Perspektiven beängstigend sind, geht es dabei nicht um das nackte Überleben – der Sozialstaat wird dafür sorgen, dass niemand verhungert. Zum anderen kann man den Vergleich ziehen zu denen, die noch schlimmer betroffen sind, etwa zu den Nationen des globalen Südens, wo Menschen zum Teil gar keine Chance haben, sich durch Hygiene und Abstand vor dem Virus zu schützen. Solche Umstände können dazu führen, dass tatsächlich sehr viele Menschen an dem Virus sterben. Dieses Szenario ist wesentlich schlimmer als die Frage nach einem neuen Job oder einem eventuell nötigen Kredit.

Wie kann man mit der Angst vor Ansteckung umgehen?

Wichtig ist natürlich die Einhaltung der Hygieneregeln. Als nächstes darf man der Angst nicht zu viel Raum geben. Dazu gehört, dass man nicht den ganzen Tag mit dem Newsfeed auf dem Handy oder den Nachrichten verbringt. Meines Wissens nach kann man sich bei Einhaltung der Regeln selbst sehr gut schützen, wenn man auf die Straße oder in einen Laden geht. Man muss irgendwie das richtige Ausmaß an Angst finden. Zu Beginn der Pandemie gab es noch Corona-Partys und Menschen haben sich bei Sonnenschein auf den Weinfesten getummelt, das hatte mich etwas verwundert. Offensichtlich wurde nicht sorgfältig genug über den Ernst der Lage kommuniziert. Auf der anderen Seite will man natürlich nicht, dass die Bevölkerung in Panik gerät. Hier die Balance zwischen gesundem Respekt und blanker Panik zu finden ist sicherlich eine Herausforderung in einer solchen Pandemie-Situation.

Ich kann hier auch einen schönen Befund aus der psychologischen Forschung nennen: Wenn man anderen hilft, geht es einem selbst besser. Das heißt, für die Oma die Einkäufe zu erledigen, trägt zum eigenen Wohlbefinden bei. Man kann sich also überlegen, wie man sich selber kleine erfreuliche Momente schaffen kann.

Man sieht immer noch Senioren, die einkaufen gehen, obwohl sie zur Risikogruppe gehören. Können Sie dieses Verhalten erklären?

Nun, wer fühlt sich überhaupt alt und betroffen? Ich kenne Menschen, die sich auf Grund ihrer körperlichen Gesundheit und Fitness überhaupt nicht angesprochen fühlen. Vor kurzem bot ich meiner 70-Jährigen Nachbarin an, für sie einkaufen zu gehen, woraufhin sie mich völlig überrascht ansah. Sie musste nämlich auch noch für ihre 90-Jährige Mutter einkaufen und hat sich selbst gar nicht in diese Risikogruppe eingeordnet. Hier liegt ein typischer psychologischer Befund vor: Alt sind immer diejenigen, die älter sind als wir selbst. Hinzu kommt die Frage, ob die Menschen überhaupt eine alternative Möglichkeit haben, als selbst einkaufen zu gehen. In unserer Überflussgesellschaft reicht es auch nicht, auf den Einkaufszettel “Milch” und “Butter” zu schreiben, denn da kann man viel verkehrt machen. Außerdem ist das Risiko sehr schwer einzuschätzen und letztlich unsichtbar. Wie groß das Risiko ist, dass im Supermarkt 100 Infizierte herumlaufen, kann man nicht sehen. Wenn eine ältere Dame sich von ihrem Sohn den Einkauf vor die Tür stellen lässt und diesen dann einfach bei sich einräumt, ist das Risiko trotzdem da. Stellen wir alle Einkäufe jetzt also erst einmal ein paar Tage bei Seite? Zuletzt darf man nicht vergessen, dass Selbstständigkeit insbesondere für ältere Menschen etwas sehr Wichtiges ist.

Haben Sie eine Erklärung für das momentane Einkaufsverhalten der Menschen?

Da habe ich schon einige abenteuerliche Erklärungen zu gehört (lacht). Ein großer Faktor mag sicherlich die Angst vor einer Verschlimmerung der Lage sein. Man überlegt sich für den Fall, längere Zeit nicht einkaufen gehen zu können, womit man zur Not überleben kann. Daher kommt dann die Zusammenstellung von Klopapier Nudeln, Mehl und Tomatenkonserven. Hamsterkäufe setzen eine Dynamik in Gang, bei der immer mehr Menschen einen Mangel wahrnehmen und daher mitmachen. In Notsituationen gibt es immer zwei mögliche Verhaltensformen: Auf der einen Seite erlebt man eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft. Gerade deshalb, weil es eine globale Krise ist, wird unser Zusammenhalt umso mehr gestärkt. Auf der anderen Seite gibt es die Einstellung: “Erst einmal wir, dann die anderen.” Daraus können dann solche Hamsterkäufe resultieren.

Haben Sie eine Einschätzung, ob und wie sich die Krise nachhaltig auf das Verhalten der Gesellschaft auswirken könnte?

Ich glaube, man merkt gerade, dass viele Dinge möglich sind, von denen man das vorher nicht erwartet hätte. Das sieht man ganz stark im virtuellen Bereich. Das Argument, alle müssten persönlich zur Konferenz anreisen, verliert an Kraft, je länger wir sehen, dass es auch anders funktioniert. Ich habe den Eindruck, dass die digitale Methode zeitsparender ist, weil man alles strukturierter angehen kann. Ein zweiter Punkt ist, dass wir jetzt die Nachteile der Globalisierung zu spüren bekommen. Das kommt aktuell besonders im medizinischen Bereich zum Tragen, wenn uns bewusst wird, wie abhängig wir diesbezüglich von anderen Ländern sind. Vielleicht wird es in diesen Bereichen künftig eine Lokalisierung geben. Ganz zentral und positiv sehe ich die Verbesserungen im Klimaschutz. Fahrten und Reisen werden nicht unternommen, Unternehmen stagnieren in ihrer Produktion. Wer hätte schon gedacht, dass der CO2-Ausstoß innerhalb kürzester Zeit so drastisch sinken kann? Jetzt wissen wir, dass das funktioniert. In der Politik lässt sich künftig nicht behaupten, dass man nicht mehr machen könne.

Gibt es auch Chancen für die Psyche der Menschen?

Was die Psyche angeht, gilt häufig das Sprichwort: “Was nicht tötet, härtet ab!” Wenn wir jetzt also lernen, dass wir diese Zeit überwinden und schaffen, trauen wir uns vielleicht auch danach mehr zu. Das könnte eine Chance sein.

Interview: Anna-Lena Hauch