Aus dem Labor

Die Angst fliegt mit: Psychotherapeut Jens Heider im Interview

„Ich selbst fliege auch nicht besonders gerne, habe aber die Erfahrung gemacht, dass vor allem Langstrecken für mich schwierig sind. Eine ehemalige Kommilitonin von mir ist Flugbegleiterin und hat mich mal in ein Cockpit mitgenommen. Wenn man sieht, wie routiniert die Abläufe dort sind, gewinnt man schnell Vertrauen und stellt fest, dass es sich um einen ganz normalen Job handelt. Wissen hilft also", erklärt Dr. Jens Haider. Fotos: Lisa Leyerer

„Ich selbst fliege auch nicht besonders gerne, habe aber die Erfahrung gemacht, dass vor allem Langstrecken für mich schwierig sind. Eine ehemalige Kommilitonin von mir ist Flugbegleiterin und hat mich mal in ein Cockpit mitgenommen. Wenn man sieht, wie routiniert die Abläufe dort sind, gewinnt man schnell Vertrauen und stellt fest, dass es sich um einen ganz normalen Job handelt. Wissen hilft also", erklärt Dr. Jens Haider. Fotos: Lisa Leyerer

Etwa 15 Prozent der Deutschen leiden unter Flugangst. Von leichtem Unwohlsein an Bord eines Flugzeugs bis hin zu Panikattacken aus Angst vor einem Absturz gibt es vielerlei Gründe, die Menschen davon abhalten, in einen Flieger zu steigen. Die Angst, die in der Fachsprache Aviophobie heißt, kann therapiert werden. Dr. Jens Heider, psychologischer Psychotherapeut und Leiter der Psychotherapeutischen Universitätsambulanz am Standort Landau, erklärt, wie Flugangst entsteht und gibt Tipps, wie man mit ihr umgehen kann.

Erst einmal ganz grundlegend gefragt: Warum haben Menschen Angst?

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Angst ist ein ganz allgemeines Phänomen. Wir brauchen dieses Gefühl zur Regulation unseres menschlichen Lebens. Sie dient der Vermeidung unangenehmer und gefährlicher Situtationen. Ohne Angst wären wir vermutlich morgen tot, weil wir einfach ohne zu gucken über die Straße laufen würden. Ängste können biologisch, psychisch oder sozial bedingt sein, sind also entweder genetisch verankert oder basieren auf einer traumatischen Erfahrung. Wenn Angst zur ernsthaften psychischen Erkrankung wird, dann spricht man von einer Phobie.

Was ist der Unterschied zwischen Angst und Phobie?

Für eine Phobie braucht man ein konkretes Objekt, auf das man seine Angst projiziert, sei es eine Spinne oder die Situation des Fluges. Ängstlich fühlen kann man sich auch ganz unspezifisch und unbegründet.

Können Sie das Phänomen der Flugangst näher erklären?

Flugangst hat verschiedene Facetten. Das heißt, dass sie sich oft aus mehreren Ängsten zusammensetzt. Dahinter verbirgt sich nicht nur die Angst vor einem Absturz, sondern Platzangst, Höhenangst oder die Furcht vor Terror. Möchte sich jemand gegen Flugangst therapieren lassen, so müssen die genauen Beweggründe der Angst diagnostiziert werden. Bei der Flugangst spielt oft auch die Angst vor dem Unbekannten eine Rolle. Eine Mischung aus Unwissen, Unerfahrenheit und Gefühle des Kontrollverlusts können sie auslösen. Wenn man die Flugsituation nur unter sehr starker Angst ertragen kann und jeglichen Flug versucht zu vermeiden, spricht man von Flugphobie. Menschen, die darunter leiden, empfinden eine Beeinträchtigung in ihrem Leben, dadurch, dass sie zum Beispiel nicht mit ihrer Familie in den Urlaub fliegen können oder Berufe meiden, in denen Flugreisen erforderlich wären.

Wie äußert sich diese Angst?

Wenn jemand in einer Flugsituation wirklich Panik, also sehr starke Angstgefühle hat, dann äußert sich das zum einen psychisch in gedanklicher Aufregung und Unsicherheit und zum anderen körperlich mit Herzrasen, Schweißausbrüchen, Zitterattacken und starker muskulärer Anspannung.

Jens Haider erklärt Uniblog-Reporterin Nina Seel die Angstkurve. Ängste verlaufen nicht stetig steil nach oben, sondern in Kurven. Ist das höchste Angstniveau erreicht, sinkt die Kurve mit der Zeit wieder nach unten ab. Erlebnisse wie Turbulenzen können die Kurve aber schnell wieder ansteigen lassen. Dann ist es wichtig, sich der Situation zu stellen, um schnellstmöglich wieder in einen entspannten Zustand zu finden.

Dr. Jens Heider erklärt Uniblog-Reporterin Nina Seel die Angstkurve. Ängste verlaufen nicht stetig steil nach oben, sondern in Kurven. Ist das höchste Angstniveau erreicht, sinkt die Kurve mit der Zeit wieder nach unten ab. Erlebnisse wie Turbulenzen können die Kurve aber schnell wieder ansteigen lassen. Dann ist es wichtig, sich der Situation zu stellen, um schnellstmöglich wieder in einen entspannten Zustand zu finden.

Kann man sich an diese Angst gewöhnen, je öfter man fliegt?

Auf einer Skala von 1 bis 10 können wir nicht permanent Angst auf Niveau einer 10 haben, vielmehr verläuft die Angst in Kurven. Unser Körper kann extrem starke Stresssituationen nicht dauerhaft aufrecht erhalten, da irgendwann ein Gewöhnungseffekt eintritt. Für viele Menschen ist der Start besonders schlimm. Wenn man sich zu Beginn des Fluges voll und ganz auf die Angst einlässt, dann sinkt die Kurve nach etwa 20 bis 30 Minuten. Diesen Vorgang müsste man in kürzerer Zeit mehrfach wiederholt erleben, bis der Körper begreift, dass die Angst “unberechtigt” ist. Die Angstkurven würden flacher, man steigt nicht mehr gleich bei einer 8, sondern vielleicht bei einer 5 ein und die Angst schnellt auch nicht mehr so stark nach oben.

Wie kann man Flugangst behandeln?

Das Mittel der Wahl in der Verhaltenstherapie ist die Konfrontationstherapie. Angst entsteht, weil unsere Erwartungen und Gedanken so extrem sind, dass wir bereits mit dem Eintritt der Angst rechnen und sie so noch befördern. Diesem Gefühl sollte man vorbeugend begegnen und sich ganz bewusst der Situation aussetzen mit dem Wissen, was auf einen zukommt. Es kommt aber immer auf die Art der Angst an. Höhenangst kann man zum Beispiel durch wiederholtes Besteigen hoher Türme abtrainieren. Gegen die Angst vor dem Gefühl, nicht aussteigen zu können, kann man während einer Bahnfahrt oder in geschlossenen Räumen Übungen machen. Handelt es sich um Absturzangst, helfen in Extremfällen Seminare, die von Fluggesellschaften zur Bewältigung von Flugangst angeboten werden. Dort wird versucht, über die kognitive Ebene, also über die Veränderung unserer Gedanken, die Angst zu mildern. Das funktioniert durch Aufklärung über den Flug an sich. Den Teilnehmern wird zum Beispiel erklärt, welche technischen Prozesse ablaufen und welche Geräusche während des Fluges zu hören sind. Außerdem wird in diesen Seminaren mit Zahlen und Sicherheitsstatistiken gearbeitet.

Lassen sich Ängste überhaupt mit rationalen Argumenten bekämpfen?

Bis zu einem gewissen Grad ja. Wenn in der akuten Situation ein bestimmtes Angstniveau erreicht ist, dann hilft aber auch kein rationales Statistik-Argument mehr. Deshalb braucht es neben der kognitiven Ebene eine Verhaltenstherapie, in der man die Situation des Fliegens erlebt. Häufig wird mit Flugsimulatoren gearbeitet und viele Patienten beschreiben, dass sich der virtuelle Flug sehr real anfühlt. Das liegt daran, dass unserem Gehirn in dieser Situation egal ist, ob sich der Körper am Boden oder in der Luft befindet, da die Flugsituation immer die gleichen Angstgefühle auslöst.

Welche Tipps haben Sie gegen akute Flugangst?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Anstatt permanent zu versuchen, sich zu beruhigen und die Gedanken von der Angst wegzulenken, empfehle ich, mutig zu sein und sich einmal voll und ganz auf die Angst einzulassen und sie auszuhalten. Man kann in die Angst hineinspüren: Wie sieht sie aus, wie äußert sie sich und wie fühlt sie sich an? Das hilft manchmal besser, da man von jeder Ablenkung immer wieder mit den Gedanken in die reale Situation zurückkehrt und so jedes Mal einen kleinen “Schock” erfährt. Die andere Möglichkeit liegt in der Entspannung. Alles was den Körper beruhigt, hilft. Atem- und Entspannungsübungen, entspanntes Sitzen mit den Füßen fest auf dem Boden. Natürlich kann Ablenkung durch Musik, Bücher oder Filme auch hilfreich sein. Je nachdem, wen man neben sich sitzen hat, wirkt es beruhigend, darüber zu sprechen, auf Verständnis zu stoßen und so Vertrauen in die Situation zu gewinnen.

Wie sieht es mit Alkohol oder Beruhigungsmitteln aus?

Alkohol entspannt die Nerven, das funktioniert auch über den Wolken. Dennoch würde ich nie empfehlen, Angst mit Alkohol zu betäuben, da sie damit nicht an der Ursache behandelt wird. Rescue-Tropfen oder Baldrian können helfen, wenn man daran glaubt – der berühmte Placebo-Effekt. Für eine medizinische Wirkung benötigt ein von starker Flugangst geplagter Patient verschreibungspflichtige Tabletten, die die Angst für eine Zeit unterdrücken. Aber auch hier gilt das gleiche Prinzip wie beim Alkohol: Betäubung hilft nur, die akute Situation zu überstehen, nicht aber, die Angst am Schopf zu packen.

Kann man vor dem Flug etwas zur Vorbereitung tun?

Ein entspannter Körper fliegt am besten. Ein niedriges Stresslevel vor dem Abflug hilft, die gesamte Reise ruhig anzugehen und nicht schon mit erhöhtem Stresspegel ins Flugzeug einzusteigen. Man sollte möglichst nicht am ersten Tag des Urlaubs sofort losfliegen, sondern erst in aller Ruhe die Koffer packen und dann ein paar Tage später aufbrechen.

Nina Seel

Bereits erschienene Artikel mit Dr. Jens Heider
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