Seit 2015 bietet die Universität Koblenz–Landau den Zertifikatsstudiengang Darstellendes Spiel und Theater als Ergänzungsfach für Lehramtsstudierende beider Standorte an. Über 140 Schulen des Landes unterrichten Darstellendes Spiel als Wahlpflichtfach. Annemarie Grieß, Mitglied der Fachschaftsvertretung, spricht über erlebte Theaterpädagogik und den Theaterbegriff.
Darstellendes Spiel (DS) ist ein Unterrichtsfach, das über das hinausgeht, was man aus Theater-AGs kennt. Durch den Einsatz theatraler beziehungsweise darstellender Mittel – etwa Körper, Stimme und Raum – regt es Schüler:innen zur Übung im kreativen und sozialen Bereich an. Dazu sollen Verhaltensweisen ausprobiert und trainiert sowie Problembereiche des eigenen Inneren und des Interaktiven ausgemacht werden. Dabei werden auch Vorstellungen und Inszenierungen erarbeitet.
Entsprechend sind die Anforderungen an Studierende verortet. Eine Beschreibung und Interpretation der Performance-Arbeit Poses (2011) der spanischen Künstlerin Yolanda Domínguez war Teil der Bewerbungsprüfung des Zertifikatsstudiengangs DS für das Sommersemester 2021. “Es gibt an dieser Stelle keine richtigen oder falschen Antworten, sondern uns interessiert Ihr kreatives Denken, Ihre künstlerische Sensibilität und Ihre Lust am Neuen, Fremden und Experimentellen”, heißt es in der Bewerbungsausschreibung.
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Annemarie Grieß, Mitglied der Fachschaftsvertretung, erklärt, auch Scheitern gelte als Erfolg. “Es geht darum, sich selbst auszuprobieren, nicht nur Theorie durchzuarbeiten.” Der Leistungszwang, abliefern zu müssen, entfalle. “Das ist etwas, das DS von jedem anderen Unterricht unterscheidet”, so Grieß. In der Hauptsache ist die 25-jährige Lehramtsstudentin der Germanistik und Biologie am Campus Koblenz. “Der Anstoß, zusätzlich Darstellendes Spiel zu studieren, kam durch eine ehemalige Kollegin im Sprachförderprojekt, bei dem ich schon seit Längerem als studentische Hilfskraft arbeite. Sie studierte bereits DS und erzählte mir regelrecht schwärmerisch von ihren Erfahrungen dort, was meine Neugier weckte. Ungefähr zur gleichen Zeit wurden in Germanistik-Seminaren Flyer verteilt. Daraufhin habe ich mich über Studieninhalte und Bewerbungsverfahren informiert.”
Zwei starke theaterpädagogische Motive formuliert das Zentrum für zeitgenössisches Theater und Performance, das den Studiengang organisiert: Die Aufarbeitung oder Stärkung des Charakters bis hin zur Selbstbehauptung und die Heranführung an Kunst und Kultur auch besonders derer, die ansonsten nichts damit am Hut haben.
Entwicklung im wertfreien Raum
“Einer der wertvollsten Grundgedanken, den ich durch den Zertifikatsstudiengang für mein Theaterverständnis gewonnen habe, ist, dass mein Körper als Teil meines Selbst immer dazugehört und in der theatralen Verhandlung omnipräsent ist,” erzählt Grieß. “Für mich bedeutet Theater Auseinandersetzung, vor allem mit mir selbst, der eigenen Kultur, Geschichte und Wirkung, mit allem, was ich je erlebt oder erfahren habe. Aber auch mit meinem Gegenüber.” Um solche Auseinandersetzungen und Entwicklungen zu ermöglichen, bedürfe es eines wertungsfreien Raums. Und genau der könne im Darstellenden Spiel geboten werden.
Die Studierenden nehmen teil an theaterpädagogischen Maßnahmen wie praktischen Grundlagen am Theater Koblenz, genauso wie an szenischen Experimenten und Inszenierungen. “Mein neu entwickeltes Theaterverständnis ist ein Auftrag ständiger Auseinandersetzung. Grundlage der theaterpraktischen Arbeit sind für mich die Bedeutung genauer Beobachtung, die Wichtigkeit des wertungsfreien Raums und das nachhaltige Interesse an persönlicher Entwicklung durch den Besuch von unterschiedlichen Inszenierungen”, sagt Grieß. Als werdende Lehrerin erhofft sie sich, “dass ich auch andere zu einer solchen Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrem Umfeld bewegen kann.” Darstellendes Spiel sei eine Art Vorbereitung auf den späteren Schulalltag, “die die sonstige Lehre an der Universität nicht zu vermitteln weiß. Im Studium erhalten wir die Möglichkeit, mit uns selbst in Konflikt zu treten. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, sich selbst zu reflektieren. Und im Allgemeinen bin ich mir sicher, dass die Arbeit in diesem Studiengang eine Bereicherung für meinen späteren Beruf und für mein Privatleben ist.”
Weit mehr als genießende Rezeption
Grieß habe gelernt, ihren eigenen Interessen nachzugehen und diese weiterzuentwickeln. Der Theaterbegriff habe sich für sie auf eine besondere Art und Weise geöffnet, was sie vor Beginn des Studiums nicht für möglich gehalten hätte. Das Zentrum für Zeitgenössisches Theater und Performance betont, das Fach sei breiter angelegt als schlichtweg um die “genießende oder reflektierende Rezeption” theatraler Ereignisse zu kreisen. Für Grieß, die kürzlich ihre Abschlussarbeit geschrieben hat, geht dieser Vorsatz auf: “Nach zwei Jahren stehe ich mit meiner anfangs so klar definierten Vorstellung von Theater im Widerspruch. Ich verstehe es nicht mehr als das Ablegen des Selbst und Annehmen einer Figur, Kostüms und Rolle. Theater ist stetiger Wandel, bedeutet die Freiheit von Möglichkeiten, während man doch unfrei ist in seinen Möglichkeiten.”
Bodenständige Frage: “Macht es Spaß?” Bodenständige Antwort: “Ja!” Musste Grieß denn je bei szenischen Gestaltungsaufgaben so tun, als sei sie eine Scheibe Weißbrot, die aus dem Toaster hüpft: “Nein”, sagt sie, und sowieso interessiere sie die Art Kunst “etwas wirklich zu tun, anstatt nur so zu tun als ob,” deutlich mehr: “Stichwort Performance.”
Lukas Strack