Auf Ihrem Gebiet ist Dr. Christine Altstötter-Gleich eine gefragte Interviewpartnerin: Da rufen schon mal die Redaktionen von GEO oder der Brigitte an, um etwas über das Steckenpferd der Landauerin zu erfahren. Die 56-jährige Dozentin an der Universität Koblenz-Landau ist eine der wenigen Forscherinnen, die sich im deutschen Raum intensiv mit dem Thema Perfektionismus auseinandersetzen.
Ich bin fünf Minuten zu spät. Als Perfektionist falle ich wohl aus?
Ja (lacht). Perfektionistische Menschen sind häufig sehr gewissenhaft. Und das würde dann natürlich implizieren, dass man auch pünktlich ist.
Was versteht man eigentlich unter einem perfektionistischen Menschen?
Das Kernelement ist, dass diese Menschen an sich hohe Maßstäbe setzen. Das ist aber nur ein Aspekt. Ein anderer Aspekt, weswegen Perfektionismus immer wieder in der Debatte ist, ist der, dass er natürlich auch einen Risikofaktor darstellt. Wie beispielsweise Burnout, Depressionen oder Essstörungen. Perfektionismus kann sich nämlich auch auf den eigenen Körper beziehen.
Welche Berufsgruppen sind denn für einen problematischen Perfektionismus prädestiniert?
Da kann man keine hervorheben. Wenn ich einen anspruchsloseren Beruf habe, ist das Risiko natürlich geringer. Also dort, wo keine besonders hohen Standards gesetzt werden. Aber da gibt es wirklich sehr wenige. Man kann auch nicht sagen, dass es sich nur auf akademische Berufe bezieht. Wir würden uns wahrscheinlich wünschen, dass es mehr perfektionistisch veranlagte Handwerker gebe. Wir profitieren ja auch viel von Perfektionisten.
Bei Ihnen meldet sich auch schon mal die „Brigitte“. Sind Frauen anfälliger für das Thema?
Die Serie
Was gibt es Neues in der Wissenschaft? Wir stellen Personen und Projekte vor, die im Dienst der Universität Koblenz-Landau die Forschung voranbringen.
Die Forschung sagt, dass es keine Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Aber potenziell sind Frauen über andere Faktoren gefährdet als Männer. Frauen müssen in der Regel mehr Rollen ausfüllen. Sie wollen gern perfekt Beruf und Familie in Einklang bringen. Männer dagegen konzentrieren sich häufiger auf ein Gebiet, ihren Beruf. Aber auch das kann problematisch sein, denn wenn nur eine Sache Quelle der Anerkennung ist, ist man bei Problemen in diesem Bereich anfälliger, kann Misserfolge nicht so gut ausgleichen. So gesehen spielen Geschlechterunterschiede meiner Meinung nach durchaus eine Rolle.
Wie sieht es denn bei den Studierenden und den Mitarbeitern an der Universität mit Perfektionismus aus?
Das muss man schon trennen. Bei Studierenden ist es ja so, dass sie oft in Prüfungssituationen stecken. Und die Möglichkeit des Scheiterns und das Nichterreichen von selbst gesteckten Zielen gehört zum täglichen Leben. Zumal es mittlerweile ja viele Prüfungen gibt. Ich habe zum Beispiel Leute hier sitzen, die bei einer 1,3 in Tränen ausbrechen, während andere jubelnd aus dem Raum stürzen. Und natürlich setzen die Kollegen auch oft an sich hohe Maßstäbe.
Beraten Sie eigentlich auch Leute?
Eigentlich forsche ich ja nur. Aber da ich zu diesem Thema sehr präsent bin, bleibt es natürlich nicht aus, dass sich bei mir auch mal Menschen melden, die Rat brauchen. Beispielsweise hat mich vor kurzem ein Mann angerufen, der nach seinem Dafürhalten unter seiner zu perfektionistischen Frau litt und Rat suchte. Perfektionismus drückt sich oft in der überkritischen Haltung des Partners oder der Partnerin aus. Perfektionisten haben ja eher den Fokus auf Dinge, die nicht klappen. Ein anderes Beispiel ist ein Elternpaar, das sich um seinen Sohn sorgte, da er durch seinen Perfektionismus sein Studium nicht beenden könne. Er hatte so einen extrem hohen Anspruch an seine eigene Leistung, dass er vor lauter Angst zu versagen seine Prüfungen immer weiter hinausgezögert hat.
Was haben Sie in diesem Fall geraten?
Ich rate eigentlich immer, sich in eine ortsnahe Therapie zu begeben. Am besten bei einem kognitiven Verhaltenstherapeuten.
Ist ein Perfektionist ein guter oder ein schlechter Chef?
Gesunde und funktionale Perfektionisten sind gute Chefs. Weil sie immer wieder zu Höchstleistungen anspornen, davon profitiert natürlich eine Abteilung. Ihnen gelingt es, die Mitarbeiter zu motivieren. Dagegen sind dysfunktionale Perfektionisten schlechte Chefs, da sie hauptsächlich ihr Augenmerk auf das richten, was nicht so gut gelingt. Sie neigen dazu, nur zu Verbalisieren, was nicht klappt, und nicht das zu Loben, was gut funktioniert. Das demotiviert natürlich die Kollegen.
Benedikt Schülter