Rotraut Walden und Diana Boer sind Expertinnen in Sachen Glück. Im Interview sprechen die beiden Wissenschaftlerinnen darüber, was Glück eigentlich ist, wie man es erreicht und was es für jeden Einzelnen bedeutet.
Ein schönes Haus, gute Noten, toller Job, eine gesunde Familie: Jeder Mensch hat eigene Vorstellungen davon, was zum glücklich sein dazu gehört ist. Wie definiert die Wissenschaft Glück?
Walden: Vor 1979 hatte kaum eine psychologische oder medizinische Fachzeitschrift etwas zu Glück oder gar der Psychologie des Glücks verfasst.
Boer: In den letzten Jahren wurde das Thema Glück immer zentraler in der Psychologie. Es stellte sich heraus, dass Menschen, die sich als glücklich bezeichnen, sich eher als Meister ihres Lebens sehen. Geld gehört zum Beispiel nicht zu den Faktoren, die glücklich machen. Dies ist eine reine Wunscherfüllung oder kurzweilige finanzielle Befriedigung, jedoch kein Glücksfaktor.
Sagt man nicht, dass Menschen mit Geld weniger Sorgen haben?
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Was gibt es Neues in der Wissenschaft? Wir stellen Personen und Projekte vor, die im Dienst der Universität Koblenz-Landau die Forschung voranbringen.
Boer: Richtige Armut hat langfristig negative Konsequenzen für das Wohlbefinden. Abgesehen davon würde ich aber sagen, dass reiche Menschen nicht unbedingt wenigerSorgen haben; sie haben andere. Einkommen ist generell ein Paradoxon. Der psychologische Terminus, der hier zum Tragen kommt, ist der des subjektiven Wohlbefindens. Die Zeit meines Studiums war geprägt von wenig Geld, aber ich habe viel Zeit mit Freunden verbracht und unglaublich tolle Dinge erleben dürfen. Das war zu der Zeit viel mehr wert gewesen. Jeder definiert Glück anders, jedoch meistens über die Erreichung eigener Ziele und Ziele verändern sich über das Leben hinweg. Geld kann helfen, diese zu erreichen, aber es gibt oft auch andere Wege.
Walden: Probanden, die ich in meinem 2003 veröffentlichten Buch „Glück und Unglück – Glücks- und Unglückserlebnisse aus interaktionistischer Sicht“ befragt habe, sagen aus, dass sie glücklich sind, wenn sie eine schwierige Aufgabe bewältig haben, wenn eine Gruppe sie anerkannte oder wenn sie einen Partner oder eine Partnerin kennen lernten. Unglücklich hingegen fühlten sie sich, wenn sie von einem geliebten Menschen enttäuscht wurden, wenn sie einen nahe stehenden Menschen verloren oder wenn sie einer Krankheit ausgeliefert waren.
Boer: Die Frage, die man sich stellen muss, ist: „Wie evaluiere ich mein Leben?“ Man kann absolut zufrieden sein, ohne besonders glücklich oder unglücklich zu sein. Dennoch ist Glück ein sehr komplexer Prozess. Glück ist also nicht einmal Erreichtes und Stagnierendes, sondern etwas Reflexives über einen längeren Prozess hinweg.
Walden: Man kann das Glück immer wieder erreichen. Aus einem Tief kann wieder ein Hoch werden. Jeder Mensch kann da aus persönlichen Erfahrungen sprechen.
Boer: Ein schönes Beispiel sind Beziehungen und soziale Kontexte. Grundbedürfnisse müssen erfüllt sein, damit kein Bedarf mehr besteht. Das macht aber nicht richtig glücklich. Man muss darauf aufbauen, so äußern sich vor allem Wissenschaftler aus der Gesundheitspsychologie. Soziale Beziehungen und Selbstbestimmung, die eigene Freiheit, Autonomie, das Gefühl, nicht eingeschränkt zu sein – das sind Faktoren, die Glück bedingen können. Von außen bestimmt zu werden, macht nicht glücklich.
Walden: Auch Zukunftspläne schmieden kann glücklich machen. Wichtig ist ebenso das Gefühl von Geborgenheit.
Ist nicht-glücklich sein dasselbe wie Unglück?
Walden: Unglück ist nicht das Gegenteil von Glück. Trauer oder Depression sind das Gegenteil.
Boer: Wenn ich nicht glücklich bin, heißt das nicht, dass ich unglücklich bin. Es gibt auch einen neutralen Bereich. Außerdem ist zu beobachten, dass es in den westlichen Gesellschaften eine höhere Strebsamkeit nach Glück gibt. In den ostasiatischen Bereichen versucht man, Extreme zu vermeiden. Es wird versucht, die Balance im Leben zu finden, auch bezogen auf Glück. Das Fazit daraus ist, dass auch immer kulturelle Normen von Bedeutung sind. Glück ist im Grunde ein biochemischer Prozess. Die Belohnung, die uns das Gehirn suggeriert, ist jedoch nur kurz. Schnell tritt ein Plateau ein und man gewöhnt sich an das Gefühl. Man strebt nach noch mehr und ist mit dem ersten Glücksgefühl nicht mehr zufrieden. Ein Experiment verdeutlicht dies gut. Einer Probandengruppe A wurden 20 Dollar gegeben, um damit etwas für sich selbst zu kaufen. Der Probandengruppe B gab man den gleichen Betrag, damit sollten sie anderen etwas kaufen. Gruppe B war deutlich länger und bedeutsamer glücklich. Geld macht glücklich, wenn man es für andere ausgibt. Kreiert man Situationen mit anderen, schafft man gemeinsame Erlebnisse, die einen nachhaltigeren Glückseffekt haben.
Sind Depressionen chronisches Unglücklichsein? Und wie kann man Unglücklichsein überwinden?
Walden: Klinische Studien setzen sich seit langem mit Depressionen auseinander. Dem Begriff Glück stehen Begriffe wie Beklommenheit, Zorn, Einsamkeit, Schmerz, Sorge, Scham und Ausnutzung entgegen.
Boer: Um Unglücklichsein überwinden zu können, sollte man sein eigenes Streben nach seinem Können ausrichten und seine Ziele anpassen. Außerdem machen tatsächlich Wege glücklicher als Ziele. Die Erwartungshaltung und die Vorfreude können glücklich machen. Ein Beispiel bietet ein Urlaub. Nach einem tollen Urlaub gelangt man oft in ein Tief. Das Planen von Ereignissen macht hingegen glücklich. Selbst ein Gedankenspiel, was man alles in einem Urlaub erleben könnte, bereitet einem diese Emotion. Die Frage Wie wäre es, wenn…? setzt Endorphine frei. Eine Langzeitstudie von Robert Waldinger, die sich über 75 Jahre erstreckt, ist in diesem Zusammenhang sehr interessant. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Bildung oder kein Indiz für langfristiges Glück ist, sondern Beziehungen, die die eigene Entwicklung fördern. Damit gemeint sind tiefe, verständnisvolle Beziehungen mit Freunden und in der Partnerschaft. Selbstbestimmung und Weiterentwicklung sind ebenso wichtig.
Walden: Auch Religion kann eine positive Auswirkung auf Glück haben. Es entstehen oftmals positive Erfahrungen, vor allem hinsichtlich der Gemeinschaft als Hauptfunktion und der Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen.
Können introvertierte Menschen, die wenig soziale Kontakte suchen, demnach glücklich sein?
Boer: Soziale Beziehungen zu haben heißt nicht, dass man viele davon haben muss. Auch bei introvertierten Menschen müssen die sozialen Bedürfnisse befriedigt werden, selbst wenn diese Bedürfnisse vielleicht etwas geriner ausfallen. Das heißt, introvertierte Menschen können definitiv glücklich sein.
Was macht die Forschung an Glück interessant?
Boer: Wer hat daran kein Interesse? Glück ist für mich ein situativer Endzustand, den ich durch einen Prozess erreiche. Ich tue etwas, das mich glücklich macht, begebe mich in Situationen, die mich glücklich machen, gestalte Situationen, habe Kontrolle über die mir eigenen Verhaltensweisen. Glück kann man nicht rational bewerten, sondern intuitiv. Ab und an sollte man in sich reinhören. Jeder Mensch ist manchmal nicht glücklich. Es gibt temporäre Phasen der Anstrengung und des Stresses. Aber gerade nach solchen Phasen ist man oft stolz auf sich. Zum Beispiel sind Studierende oft am Ende der Prüfungsphasen glücklich, weil sie eine anstrengende Zeit hinter sich haben. Wer zufrieden sein möchte, muss manchmal auch durch harte Phasen gehen.
Inwiefern empfinden alte und junge Menschen Glück anders oder Männer und Frauen?
Walden: Es gibt über ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen Studien und Untersuchungen zu diesem Thema. Jeder ist auf der Suche nach Glück. Jeder fragt sich, was Glück ist. Eine Studie befasste sich mit Menschen zwischen dem achten und 102. Lebensjahr. So sagen ältere Menschen aus, dass sie durchaus glücklich sind, wenn sie sich daran erinnern, dass der Krieg nicht mehr bedeutsam für sie ist.
Boer: Ältere können aus der Erfahrung heraus besser evaluieren. Jüngere können nur spekulieren, was sie glücklich macht. Dennoch kann man nicht pauschal sagen, dass Reflexionsfähigkeit generationsbezogen ist.
Walden: Männer und Frauen unterscheiden sich auch darin, was Glück für sie bedeutet. Frauen lachen eher, fühlen sich befreit, wach. Männer denken eher darüber nach, was Glück ist.
Boer: In Untersuchungen der Sozialpsychologie hat sich gezeigt, dass es geschlechterspezifische Präferenzen gibt. Frauen schätzen interpersonelle Beziehungen und den Austausch auf emotionaler Ebene. Männer hingegen haben ein kollektives Sozialverhalten. Der Austausch über positive Erlebnisse stimmt beide Gruppen positiv. Außerdem hängt das eigene Wohlbefinden für beide Gruppen ebenfalls vom Wohlbefinden der Liebsten und Nahestehenden ab.
Walden: Es gab eine Untersuchung, bei der ältere Menschen in einem Seniorenheim Pflanzen bekamen, die sie betreuten. Zusätzlich bekamen sie Besuch von Studierenden, der vorab angekündigt wurde. Die Senioren lebten im Schnitt zwei bis drei Monate länger als vergleichbare Probanden.
Boer: Dazu schreibt auch passend Antoine de Saint-Exupéry in Der Kleine Prinz und der Fuchs: „Du musst mir sagen, wenn du mich besuchst, damit ich anfangen kann, mich zu freuen.“
Gibt es eine Glücksformel?
Walden: Wenn ich im Glück bin, sollte ich mich an das Unglück erinnern, damit ich als Kontrast im Glück bleibe. Wenn ich im Unglück bin, sollte ich mich an das Glück erinnern, weil ich dann weiß, dass ich wieder glücklich werde.
Dr. phil. Rotraut Walden ist seit 1993 an der Universität Koblenz-Landau tätig. In ihrer Forschung untersucht sie nicht nur Architektur und Organisationen aus psychologischer Perspektive, sondern setzt sich auch mit der von ihr mitbegründeten positiven Psychologie auseinander. Schon ihre Diplomarbeit widmete sie dem Thema Glück.
Als Professorin für Sozial- und Organisationspsychologie am Campus Koblenz tätig, erstreckt sich der Arbeitsbereich von Prof. Dr. Diana Boer von der Erforschung von Kultur- und Umwelteinflüssen, über Werte, Prosozialität, Musik, Führungsverhalten und Gesundheit, die Meta-Analyse sowie kulturvergleichende Analyseverfahren.
Interview: Esther Guretzke
Sehr interessanter Beitrag. Großes Lob!