Raus in die Welt

¡Pura Vida!: Freiwilligendienst in Costa Rica

Lisbeth Wolf verbrachte nach ihrem Abitur einige Zeit in Costa Rica. Hier arbeitete sie als freiwillige Schildkrötenschützerin. Foto: Philipp Sittinger

Lisbeth Wolf verbrachte nach ihrem Abitur einige Zeit in Costa Rica. Hier arbeitete sie als freiwillige Schildkrötenschützerin. Foto: Philipp Sittinger

Wie viele Abiturientinnen wollte Lisbeth Wolf nach der Schule erst einmal raus aus Deutschland. Raus aus allem, was sie seit Kindheitstagen kannte und hinaus in die unbekannte Welt. Da sie unbedingt bei einem Naturschutzprojekt arbeiten wollte, fiel ihre Wahl auf Costa Rica – ein Land, das als Biodiversitäts-Hotspot für seinen unglaublich hohen Artenreichtum bekannt ist.

Elf Monate habe ich in dem kleinen Land in Lateinamerika verbracht. Ich lebte in dem winzigen Dorf El Progreso, was auf Deutsch übersetzt der Fortschritt heißt und auf der Halbinsel Peninsula de Osa liegt. Dort habe ich in einem Projekt zum Schutz der Meeresschildkröten gearbeitet, die jedes Jahr von Juli bis Dezember an den Stränden der Bahia Drake ihre Eier ablegen.

Wunderschöne Strände, blaues Wasser und Palmen kennzeichnen die Küste der Bahía Drake. Foto: Lisbeth Wolf

Wunderschöne Strände, blaues Wasser und Palmen kennzeichnen die Küste der Bahía Drake. Foto: Lisbeth Wolf

Vom Flair des Dorflebens

Und tschüss… !

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El Progreso besteht aus drei größeren Sandstraßen und gefühlt hundert Einwohnern. Es gibt zwei Lebensmittelläden, eine Schule, zwei Kirchen und sogar ein kleines Non-Profit-Hostel. Außerdem befindet sich in der Nähe eine Landebahn für kleine Passagierflugzeuge, mit denen vornehmlich Touristen hin- und her geflogen werden. Deren Ziel ist aber meist nicht das Dorf, sondern die weiter entfernten Luxus-Lodges und der größere Nachbarort Agujitas.

Das Dorf ist von beiden Seiten durch Flüsse begrenzt, die man mangels Brücken zu Fuß oder mit dem Auto durchquert. Das geht während der Trockenzeit recht gut. Doch während der sechsmonatigen Regenzeit passiert es häufiger, dass die Flüsse zu stark anschwellen und das Dorf abgeschnitten wird. Während dieser Zeit ist es nicht nur für die Leute, die auf der anderen Flusseite arbeiten, schwierig, sondern auch die Versorgung mit Medizin und Lebensmitteln wird dann zum Problem. Sowohl die Abgeschiedenheit als auch die ständigen Strom- und Wasserausfälle haben anfangs ziemlich an meinen Nerven gezerrt. Aber nach den ersten Monaten, als ich die Sprache gelernt und die Situation vor Ort akzeptiert hatte, hat mir all das schon fast nichts mehr ausgemacht.

Ein Arbeitsplatz zum Träumen: Hier kommen Jahr für Jahr Meeresschildkröten zur Eiablage an den Strand. Foto: Lisbeth Wolf

Ein Arbeitsplatz zum Träumen: Hier kommen Jahr für Jahr Meeresschildkröten zur Eiablage an den Strand. Foto: Lisbeth Wolf

 

Wir waren zwei Freiwillige aus Deutschland, die für den Zeitraum eingesetzt waren. Zeitweise wurden wir von anderen Kurzzeitfreiwilligen unterstützt, die aber immer nur ein paar Wochen geblieben sind. Zu Beginn waren wir beide nicht allzu begeistert von der Vorstellung, für so lange Zeit die einzigen internationalen Freiwilligen zu sein. Aber wir haben uns am Ende doch so gut in die Dorfgemeinschaft eingelebt, dass wir uns besser mit den Dorfbewohnern identifizieren konnten als mit den Kurzzeitfreiwilligen und Touristen.

Traumjob Schildkrötenschützerin

Als Freiwillige von ACOTPRO (Asociación de conservación y protección de tortugas de Progreso) war es unsere Hauptaufgabe, während der Schildkrötensaison nachts am Strand zu patrouillieren und nach Spuren Ausschau zu halten. Wird eine Schildkrötenspur entdeckt, fängt die richtige Arbeit an. Zunächst muss das Tier vermessen, seine Art bestimmt und nach Verletzungen, Narben oder anderen Auffälligkeiten untersucht werden. Ist die Schildkröte danach zurück ins Meer verschwunden, werden die eingebuddelten Eier wieder ausgegraben, gezählt und das Nest ausgemessen. Anschließend wird das Nest wieder verschlossen und die Spuren verwischt, sodass Eierdiebe möglichst keine Notiz davon nehmen. Die gesammelten Schildkröteneier werden dann zum überwachten und abgesperrten Brutplatz gebracht und wieder eingegraben. Diese Arbeit ist notwendig, da Eierdiebe aus El Progreso und der Umgebung ebenfalls nachts den Strand ablaufen und die Nester plündern – der Handel mit Schildkröteneiern ist zwar verboten, aber diese gelten gerade in sehr ursprünglichen Gegenden als Delikatesse.

Die eingebuddelten und markierten Eier sind durch einen Zaun vor Fressfeinden geschützt. Foto: Lisbeth Wolf

Die eingebuddelten Eier sind durch einen Zaun vor Fressfeinden und Eierdieben geschützt. Foto: Lisbeth Wolf

Eine ausgewachsene Schildkröte bei der Eiablage zu beobachten, gehört definitiv zu den beeindruckendsten Dingen, die ich bisher erleben durfte. Meine Lieblingsaufgabe war jedoch die Freilassung der Babyschildkröten, die ungefähr sechs Wochen, nachdem wir die Eier eingegraben haben, geschlüpft sind. Meist sind um die 100 Schildkröten in einem Nest. Sie werden ein paar Meter vor der Brandung freigelassen. Das ist wichtig, damit die Schildkrötenbabys ein Gespür für ihre Umgebung bekommen – weibliche Schildkröten kehren nämlich zur Eiablage immer zu genau dem Strand zurück, an dem sie selber geschlüpft sind.

Neben der direkten Arbeit mit den Schildkröten fielen natürlich noch andere Aufgaben an. Besonders wichtig war das Müllsammeln am Strand, eine Aufgabe, die mich nachhaltig geprägt hat. Wenn ich bedenke, wie viele Plastikflaschen, Schuhe, Zahnbürsten, Plastikspielzeuge und Strohhalme ich in einem Jahr an einem einzigen Strandabschnitt gesammelt habe, dann reagiere ich mittlerweile schon sehr empfindlich, wenn alle Welt ihr Gemüse einzeln in Plastik verpackt und in jedem Getränk ein Strohhalm steckt.

Die frisch geschlüpften Schildkröten auf dem Weg ins Meer. Foto: Lisbeth Wolf

Die frisch geschlüpften Schildkröten auf dem Weg ins Meer. Foto: Lisbeth Wolf

In der Zeit, in der keine Schildkröten in die Bahia Drake zur Eiablage kamen, gab es für uns Freiwillige wenig zu tun. Das war teilweise sehr unbefriedigend und zermürbend. Die einzige Tätigkeit bestand dann oft darin, irgendwo für zwei Stunden Laub zu harken oder die Schule zu putzen. Manchmal haben wir aber auch Dorfbewohnern mit ihren eigenen Projekten geholfen, zum Beispiel als Dolmetscher für Touristen, die durch den Regenwald geführt wurden.

Eine prägende Erfahrung

Obwohl es oft nicht einfach war, ist mir der Abschied von El Progreso und den Dorfbewohnern sehr schwer gefallen. Ich bin immer noch voller Sehnsucht, wenn ich an diese elf Monate denke, in denen ich Mangos von den Bäumen pflücken konnte und bei Sternenlicht am Strand patrouillierte. Elf Monate, in denen das Wort Stress überhaupt nicht in meinem Alltag vorkam und die lautesten Geräusche das Zirpen der Grillen und die Schreie der Papageien waren. Das dortige Lebensgefühl, jeden Tag zu nehmen, wie er kommt, hat meine persönliche Auffassung vom Leben deutlich verändert. Meine Zeit in El Progreso hat viel in mir bewegt und mir verdeutlicht, was ich vom Leben eigentlich möchte. Deshalb lege ich jedem ans Herz, an irgendeinem Punkt seines Lebens eine solche Reise ins Ausland und zu seinem Selbst anzutreten.

Lisbeth Wolf