In der Kolumne schreiben unsere Campus-Reporter, allesamt Studierende in Koblenz und Landau, unplugged aus ihrem Alltag. Heute geht Nina Seel der Frage nach, wie sehr das Online-Sein unser Leben bestimmt und was am Offline-Trend so wohltuend sein soll.
Gleich vorweg: Ich mag diesen Ausdruck nicht. Aber Digital Detox – die digitale Entgiftungskur – ist in aller Munde. Was man heute nicht alles fasten kann: Süßigkeiten, Alkohol, Zigaretten und sogar Online-Zeit. Von allem, was Sucht-Potenzial hat, kann man sich über einige Wochen der Entbehrung hinweg lossagen. Weg von den Alltags-“Drogen”, clean werden und den Körper von innen reinigen. Bis man das persönliche Suchtmittel nach der selbst auferlegten Auszeit zum ersten Mal wieder konsumiert und sich die Spirale aufs Neue beginnt zu drehen.
Natürlich strukturiert das Online-Sein unseren Alltag und unser Denken. Morgens die Bahn-App zum Check der Abfahrtszeiten, in der Mittagspause der Blick in die Online-Speisekarte vom Lieblingsrestaurant und abends im Bett das Dauer-Scrollen durch sämtliche Social-Media-Kanäle. Kaum fehlt das WLAN oder neigt sich das Datenvolumen dem Ende zu, sind wir auf kaltem Entzug. Weil wir es gewohnt sind, uns mit praktischen Helfern in Form von Apps jederzeit und überall eine Komfortzone zu schaffen. Gewöhnen wir uns, beispielsweise im Urlaub, das permanente Online-Sein für ein paar Tage ab, merken wir schnell, was die Menschheit alles nicht zum Überleben braucht: Facebook-Feeds voller Katzen-Videos, unlustige Bilder in WhatsApp-Gruppenchats oder Hundeohren-Snaps von C-Promis.
Die Angst vor sozialer Abgeschiedenheit
Zugegeben, es ist schon erschreckend, dass wir Eindrücke und Ausblicke nicht mehr einfach nur genießen, sondern immer auch deren ‘Instagrammabilität’ abschätzen, von jedem Essen gleich ein Foto posten oder beim Kaffee mit der Freundin kaum den Kopf vom Smartphone heben, um noch schnell nebenbei den Messenger zu checken. Aber nehmen wir einfach an, das Online-Sein wäre das neue „aus dem Fenster schauen“. Zu Zeiten unserer Großeltern war das die Lieblingsbeschäftigung der Bevölkerung. Es folgten Radio hören und Fernsehen. Immer wurde es technischer. Da ist es eine ganz natürliche Entwicklung, dass Smartphones und Tablets als heutige Informations- und Unterhaltungsmedien den Alltag begleiten. Immerhin können wir mit beiden sogar an der frischen Luft sein, während wir damals nach der Schule stundenlang bei ICQ und MSN vor unseren Standrechnern hingen. Das Problem heute ist die ständige Erreichbarkeit, die uns durchs Leben hetzen lässt und uns in den Antwort-Zwang treibt. Digital Detox bedeutet heutzutage auch Social Detox – wir haben Angst, etwas zu verpassen.
Die Ironie der Fastenkur
Aber vielleicht müssen wir das ja auch gar nicht. Es mag der Gesundheit förderlich sein, nicht zu viel Zucker und Alkohol zu sich zu nehmen, um unseren Organen auf Dauer nicht zu schaden. Aber diese neue Mode im Sinne einer völligen Befreiung vom (mobilen) Internet, das im Alltag überhand zu nehmen und uns krank zu machen droht, finde ich übertrieben. Zumal Detox doch nur die völlige Abstinenz für die Dauer eines begrenzten Zeitraums bedeutet. Und wie geht es danach weiter? Alles wieder so, wie immer.
Ich plädiere für eine ausgewogene, dauerhaft annehmbare Mischung aus „Kopf hoch vom Smartphone und Blick schweifen lassen in der Realität“ und der Erkenntnis, dass tragbare Medien und das World Wide Web einen großen Teil unseres Lebens ausmachen. Hätte damals keiner das Rad erfunden, gäbe es heute kein WhatsApp. Online-Sein gehört zum Leben dazu und dauerhafte Erreichbarkeit lässt sich regulieren. Mein persönliches Fazit: Mäßigung ist okay, vollkommener digitaler Entzug ist keine Option.