Sebastian Kinsler promoviert im Rahmen des Projekts MoSAiK am Campus Landau und möchte die Lehrerbildung im Kontext einer inklusionsorientierten Diagnostik weiterentwickeln. In seiner Dissertation konzentriert sich der Sonderpädagoge auf Professionalisierung im Rahmen von Fallwerkstätten. Dabei interessiert ihn zunächst, wie Studierende an konkrete pädagogische Fälle herangehen und woran sie sich dabei orientieren.
Worum geht es in Ihrer Dissertation?
Sie forschen, organisieren Tagungen oder schreiben Fachartikel: In dieser Serie sprechen wir mit Promovierenden an unserer Universität.
Der Arbeitstitel meiner Dissertation lautet Fallwerkstätten als Interaktionsräume – Multiperspektivität im Kontext inklusionsorientierter Diagnostik. Gegenstand der Forschung sind die Fallwerkstätten, die wir im Rahmen des Projekts MoSAiK erarbeitet haben. Es geht darum, inwiefern sich die Studierenden innerhalb des Lehrkonzepts professionell weiterentwickeln können. Wir haben zunächst aus theoretischer Perspektive überlegt, wie im Kontext von Inklusion der Baustein Diagnostik gekennzeichnet ist. Welche Konzepte gibt es? Was sind Merkmale, die eine inklusionsorientierte Diagnostik aufweisen muss? Daran anknüpfend haben wir das Lehrkonzept der Fallwerkstätten entwickelt und wollen daraus im besten Fall Impulse für eine Professionalisierung dieses Bereiches innerhalb der Lehrerbildung ableiten.
Was kann man sich konkret unter einer Fallwerkstatt vorstellen?
Im Rahmen eines Seminars werden die Studierenden zuerst angeleitet, Fälle zu erheben. Das heißt, sie gehen an Schulen, machen dort Beobachtungen und videografieren nach Möglichkeit Situationen von Unterricht oder Einzelförderung. Danach wird das erhobene Datenmaterial entsprechend der Vorgaben, die wir erarbeitet haben, aufbereitet und innerhalb der Seminarstruktur vorgestellt. Dabei wird erst in Kleingruppen am Fall gearbeitet und dann im Plenum darüber reflektiert, welche Perspektiven es in dem Fall gibt und wie man verschiedene Aspekte interpretieren kann. Ziel einer solchen Fallwerkstatt ist es also, einen Interaktionsraum zu schaffen, in dem die Studierenden einen Fall einbringen und diesen dann gemeinsam mit anderen besprechen können. Aus der forschenden Perspektive interessiert uns, wie sich Konstruktionen eines pädagogischen Falles entwickeln. Das können ganz unterschiedliche Situationen aus der Praxis sein. Wir stellen uns die Frage, wie sich solche Konstruktionen in der Fallwerkstatt durch den Input von anderen weiterentwickeln. Übergeordnet interessiert uns daran, welche Orientierungsrahmen sich für die Herangehensweise ergeben. Das heißt, wie wird Verhalten interpretiert? Wie werden Wahrnehmungen ausgelegt? Wie reflektieren sich die Studierenden selbst, die als Forschende Teil des Falles sind?
Wie erforscht man das konkret? Was sind Ihre Aufgaben?
Wir haben einen qualitativen Zugang zum Datenmaterial. Die Auswertung erfolgt nach der Dokumentarischen Methode. Entlang der Gruppendiskussion, die wir geführt haben, versuchen wir zum Ende jeder Fallwerkstatt nachzuvollziehen, wie die Studierenden an die Fälle herangehen und woran sich die Teilnehmer orientieren. Dabei achten wir auch auf kollektive Orientierungen, die sich durch die gemeinsame Arbeit am Fall zeigen und die nicht nur fallspezifisch sind, sondern sich darüber hinaus auf andere Fälle anwenden lassen.
Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Zunächst finde ich es sehr faszinierend, wie diese Fallwerkstätten ablaufen, wie der Prozess, der bei den Studierenden auftritt, deutlich wird, wie die Reflexion und Interpretation der Studierenden sich wandeln und wie man direkt wahrnehmen kann, wie es zu einer Weiterentwicklung der Studierenden kommt. Es ist auch schön zu sehen, wie aus einer zunächst theoretischen Perspektive eine praktische Umsetzung erfolgt. Meine Motivation liegt darin, Impulse für die Entwicklung in Richtung inklusionsorientierter Diagnostik zu generieren. Ebenfalls ziemlich spannend finde ich, an dieser Stelle kreative Lehrkonzepte zu schaffen, diese auszuprobieren und entsprechend anzupassen. Dieses Gesamtpaket finde ich wirklich interessant.
Haben Sie schon Ergebnisse, über die Sie berichten können?
Ich bin gerade mitten in der Auswertung. Es zeigt sich, dass verschiedene Orientierungsrahmen innerhalb der Gruppendiskussion zum Tragen kommen, teilweise auch andere als erwartet. Ich bin gespannt auf die weiteren Erkenntnisse im Auswertungsprozess.
Wieso haben Sie sich für eine Promotion entschieden?
Bis Anfang 2015 habe ich am Campus Landau studiert und war schon während des Studiums in der Praxis tätig. Ich habe eine große Motivation entwickelt, konstruktiv an der inklusiven Entwicklung des Schulsystems mitzuarbeiten. Das spiegelt sich in meinem Promotionsvorhaben wider. Ich möchte Impulse zu einer Weiterentwicklung von Lehrkonzepten in der Lehrerbildung senden und darüber hinaus die theoretische Diskussion um Diagnostik im Kontext von Inklusion vorantreiben.
Wie wird Ihre Promotion finanziert?
Seit 2016 arbeite ich im Projekt MoSAiK. Die erste Phase lief bis Ende Juni 2019. Seit 2018 bin ich dazu noch am Lehrstuhl bei meinem Chef, Professor Dr. Michael Wagner, angestellt. Dort mache ich die Seminare für den Master of Education im Bereich Diagnostik.
Wie soll es mit dem Projekt weitergehen?
Wir nutzen die Erkenntnisse aus der ersten Phase des MoSAiK-Projekts und entwickeln diese in der zweiten Phase weiter. Wir wollen das Konzept in Richtung eines Blended-Learning-Konzepts unter dem Schlagwort Digitalisierung vorantreiben. Vor allem im Bereich der Lehre wollen wir Möglichkeiten schaffen, um schulart- und phasenübergreifend arbeiten zu können. Die Erfahrung zeigt, dass die gemeinsame Arbeit an der Universität häufig an strukturellen Gegebenheiten scheitert. Deshalb versuchen wir über dieses Blended-Learning-Konzept Möglichkeiten und Anlässe zu schaffen.
Was sind Ihre beruflichen Pläne für die Zukunft?
Der aktuelle Vertrag läuft bis Ende 2023. Das ist noch eine ziemlich lange Zeit. Der nächste Schritt wird sein, die Promotion abzuschließen und das Projekt voranzutreiben, meine Forschung weiterzuführen. Was nach MoSAiK kommt, wird sich zeigen. Die Promotion habe ich angestrebt, um mir Möglichkeiten zu eröffnen. Ich kann mir aber durchaus auch vorstellen wieder in der Schule zu arbeiten. Ob und wie es an der Uni weitergeht, wird sich im Laufe der Zeit zeigen.
Was unternehmen Sie, um sich zusätzlich zu qualifizieren?
Nach meinem Lehramtsstudium habe ich einige Workshops im Bereich qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden besucht, was auch Teil des Promotionsstudium an der Uni war. Darüber hinaus nehme ich natürlich die Angebote vom Interdisziplinären Promotionszentrum (IPZ) in Landau wahr. Dort gibt es gute Workshops unter anderem zum Thema Projektmanagement. Gerade zu Beginn der Promotionsphase war das sehr wertvoll, weil man andere Leute kennenlernt und sich austauschen kann. Teilweise bekommt man konkrete Wege aufgezeigt und es werden einem auch Ängste genommen. Das war eine große Hilfe.
Wie organisieren Sie Ihren Arbeitsablauf?
Das ist je nach Phase ganz unterschiedlich. Die Arbeit an der Uni lässt sich sehr flexibel gestalten. Gerade mit Kind ist das sehr angenehm. In der Vorlesungszeit geht es viel um die Betreuung der Studierenden und von Veranstaltungen, die im Rahmen von MoSAiK und des Lehrstuhls laufen. In der vorlesungsfreien Zeit gehe ich auf Tagungen, bereite Vorträge vor oder arbeite am Datenmaterial.
Was sollten Studierende mitbringen, die an eine Promotion denken?
Sicherlich sind Selbstdisziplin und intrinsische Motivation wichtig, ebenso Offenheit dafür, sich weiterzuentwickeln und neue Sachen zu lernen.
Interview: Carolin Frank