Kolumne

Erwachen nach dem Winterschlaf

Heute schreibt Campus-Reporterin Lisa Engemann. Illustration: Designstudio Mathilda Mutant

Heute schreibt Campus-Reporterin Lisa Engemann. Illustration: Designstudio Mathilda Mutant

In der Kolumne schreiben unsere Campus-Reporter, allesamt Studierende in Koblenz und Landau, unplugged aus ihrem Alltag. Heute spielt Lisa Engemann mit dem Gedanken, ob man sich mehr den Jahreszeiten anpassen sollte, statt sie auszublenden.

Der Frühlingsanfang ist immer wieder der Inbegriff von neuem Leben: Blühende Bäume verwöhnen mit ihrem Duft unsere Nasen, Rapsfelder mit ihrer gelben Farbe unseren Blick und die Vögel wecken uns schon morgens mit ihrem Zwitschern auf. Dieses Erwachen der Natur steht im Kontrast zur kalten Härte des Winters. Die Verwandlung zum Frühling ist spürbar – aber wie stark spürt man wohl den Unterschied, wenn man im Winter keine Heizung hatte und erst die Wärme der Frühlingssonne die Kälte aus dem Körper vertreibt? Und wenn es Sommergemüse wirklich nur im Sommer gäbe?

Beeinträchtigungen haben etwas Gutes

Wir trotzen den widrigen Umständen der Natur mit allen menschlichen Raffinessen. Dank Heizung, Wärmedämmung und anderen Errungenschaften spüren wir die Kälte des Winters nur marginal. Der eisige Wind durchdringt uns nicht monatelang bis auf die Knochen und kostet uns vielleicht das Leben – so wie es bei manchen Tieren der Fall ist.

Der Mensch des 21. Jahrhunderts lässt sich von so etwas wie Jahreszeiten nicht beeinträchtigen. Doch was würde passieren, wenn wir wie Tiere der Dunkelheit und Kälte im Winter und der Hitze im Sommer ausgesetzt wären? Während wir im Sommer in einer fast permanenten Siesta zur Muße gezwungen wären, würden im Winter alle auf der Suche nach Wärme in einer Gemeinschaft einkehren. Wie bei einer Herde von Wildpferden zum Beispiel. Der Mangel und die Entbehrungen des Winters würden uns dann die Freiheit, das Sonnenlicht und das frische Weideland des Sommers mehr wertschätzen lassen.

Auf die Kleinigkeiten achten

Man muss sich deshalb nicht gleich den Extremen aussetzen. Ich möchte ein bisschen mehr auf die Veränderungen der Jahreszeiten achten: Aufblühen im Frühling, genießen und träge sein im Sommer, sich besinnen im Herbst und einkehren im Winter – ein bisschen tun wir das durch die Veränderungen des Tageslichts, das uns mehr oder weniger Energie für den Tag gibt. Doch was ist mit den Kleinigkeiten? Ich esse zum Beispiel immer die gleichen Tomaten, im Sommer wie im Winter. Kohl wächst hier im Winter eher und schützt mich mit seinem Vitamin C-Gehalt mindestens genauso gut vor der nächsten Erkältung wie die Tomaten. Schmecken die Tomaten dann nicht viel besser, wenn ich sie nach einer längeren Zeit wieder essen kann? Und wenn sie bis zum Sommer Zeit hatten, in der Sonne zu reifen?

Ich möchte auf keinen Fall, dass es im Winter nichts als Kohlsuppe und kalte Füße gibt. Ich bin froh, mich warmhalten und mein Essen auswählen zu können. Aber vielleicht sollte ich weniger dem folgen, was gerade bequem ist? Stattdessen könnte ich das zu mir nehmen, was die Natur mir hier zur Verfügung stellt und was mein Körper eher braucht. Ich könnte meine Wohnung im Winter nicht hell erleuchten und aufheizen, sondern auch mal Dunkelheit und Kälte wahrnehmen. Das könnte sogar besser für die gesamte Welt sein. Und ich würde im Frühling wieder richtig zum Leben erwachen – wie die Wildpferde auf ihrem blühenden Weideland.

Lisa Engemann