Professor Dr. Thomas Müller-Schneider ist Soziologe durch und durch. Mit großer Leidenschaft analysiert er gesellschaftliche Gefüge. Er weiß, warum Paare glücklicher sind als Singles und arbeitet daran, die Zukunft der Menschheitsgeschichte zu erforschen. Mit seinem Studium in Bamberg stellte der gebürtige Würzburger die Weichen für seine akademische Laufbahn und wurde nach Promotion und Habilitation Anfang 2003 nach Landau berufen. Hier hat der 57-Jährige seinen Platz gefunden.
Der Professorenberuf ist mit einigen Klischees behaftet: Lange über Büchern brüten, Zerstreutheit, Einsiedlertum, chaotische Tafelbilder… Trifft davon etwas auf Sie zu?
Wenn eines dieser Klischees zutreffen sollte, dann die Tatsache, dass man als Professor gerne in seiner Bude hockt und liest. Ich verbringe gerne Zeit in der Bibliothek oder zuhause im Lesezimmer und breite Bücher vor mir aus, beschäftige mich mit Texten und gehe in mich. Trotzdem bin ich kein Einsiedler und mag den wissenschaftlichen Austausch außerhalb meiner eigenen vier Wände.
Wie waren Sie als Student?
Ich war von Anfang an relativ ehrgeizig und habe mein Studium innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen. Es war mir schon immer wichtig, gute Leistungen zu bringen, unabhängig davon, dass meine akademische Karriere noch gar nicht vorherzusehen war. Meine Zielstrebigkeit hatte auch damit zu tun, dass ich nach dem Vordiplom Vater wurde, womit natürlich andere Dinge wichtig waren, als einfach „rumzustudieren“. Ich habe mich trotzdem immer über den verpflichtenden Lehrstoff hinaus für andere Themen interessiert, das zieht sich durch meine gesamte intellektuelle Karriere hindurch.
Was meinen Sie: Hat sich das heutige Studentenleben im Vergleich zu Ihrer Studienzeit verändert?
Ja und Nein. Was die Reglementierung betrifft, hat sich im Diplomstudiengang, wie ich ihn damals absolviert habe, bis heute nicht allzu viel geändert. So wahnsinnig viele Freiheiten gab es damals auch nicht. Dafür gibt es heute tolle Angebote wie den Zwei-Fach-Bachelor, im Rahmen dessen man beliebig seine Interessen in verschiedenen Fächern kombinieren kann. Es gibt also trotz verstärkter Modularisierung noch Möglichkeiten für Studierende, sich breitflächig zu orientieren.
Wann haben Sie gemerkt, dass der Weg in die Wissenschaften das Richtige für Sie ist? Gab es Alternativen zur Professorenlaufbahn für Sie?
Ich bin sehr naiv ins Studium gestartet. Ich dachte mit 20 Jahren, ich studiere Soziologie, weil man damit die Welt verändern kann. Beruflich hatte ich überhaupt keine Perspektive und habe mir keinerlei Gedanken darüber gemacht, was aus mir wird. Während des Studiums habe ich gemerkt, dass ich doch an den Broterwerb denken muss, zumal ich eine kleine Familie hatte. Die Alternative wäre immer Meinungsforschung gewesen, weil ich gern Methoden der empirischen Sozialforschung und Statistik gemacht habe. Aber richtig Spaß hätte ich mit kommerzieller Forschung auf Dauer nicht. Es kam das Angebot für eine Assistenzstelle an der Uni Bamberg und somit war für mich die wissenschaftliche Laufbahn klar.
Warum Soziologie? Was begeistert Sie an Ihrem Fachgebiet?
Seit tausenden von Jahren leben wir in einem Strom von gesellschaftlichen Entwicklungen. Ich finde es faszinierend, zu analysieren, was in unserer Gesellschaft tagtäglich vor sich geht und soziale Phänomene wie Wanderungsbewegungen oder Paarbeziehungen erklären zu können. Im Kern geht es mir darum, zu verstehen, wie Menschen sich in ihrem Leben einrichten und diesen Alltag nachzuvollziehen. Ich versuche, auch andere Disziplinen ins Spiel zu bringen, und es macht mir Spaß, diese mit der Soziologie in eine gemeinsame Sozialwissenschaft zu integrieren oder ökonomische und biologische Erklärungen für menschliches Verhalten zu ergänzen.
Was gefällt Ihnen an der Arbeit an der Universität?
Die Lehre macht mir großen Spaß. Inhaltlich ist meine Veranstaltung zur Sozial- und Gesellschaftstheorie mein Favorit, da ich dort genau das lebe, was ich zuvor beschrieben habe: Alle Disziplinen in einen Topf zu werfen und gesellschaftliche Phänomene gemeinsam mit den Studierenden zu analysieren. Ich möchte mit ihnen in die Diskussion kommen, weil mich interessiert, was in den Köpfen los ist. In der Methodenlehre sehe ich mich in der Rolle des Therapeuten im Umgang mit Zahlen. Viele kommen von Mathe verschreckt an die Uni mit dem festen Wunsch, nie mehr etwas mit Zahlen zu tun haben zu wollen. Da entdecke ich häufig meine didaktisch-pädagogische Ader und versuche, den Studierenden zu vermitteln, dass man keine Sozialwissenschaft betreiben kann, wenn man die Statistik vernachlässigt. Wenn ich sehe, wie bei einigen der Groschen fällt, freut mich das. Außerdem schätze ich an der Uni die intellektuelle Freiheit, ein Thema bis zum Ende durchführen zu können. Ich war nun sechs Jahre mit dem Liebesthema unterwegs. Im kommenden Frühjahr erscheint eine größere Buchpublikation dazu.
Welche neuen Erkenntnisse gibt es in der Forschung zu Paarbeziehungen?
Es sieht so aus, dass Menschen nach wie vor bevorzugt in der Paarbeziehung leben. Trotz aller Freiheiten, die wir heute haben, sind wir in der Zweierbeziehung am glücklichsten. One Night Stands, also Sex ohne Liebe, ist sozusagen die zweitbeste Lösung. Das Phänomen der Polyamorie beschreibt die Fähigkeit, mehrere Menschen auf einmal lieben zu können. Aber nur wenige Menschen haben eine Neigung dazu und bringen die psychologischen Voraussetzungen dafür mit. Auch diejenigen sind aber nur genau so glücklich wie die Paare einer Zweierbeziehung. Die meisten lehnen Polyamorie aus Eifersucht von vornherein ab. Das hat auch natürliche, evolutionäre Ursachen. Die Neurobiologie kann belegen, dass es in der menschlichen Natur verankert ist, dass wir in Zweisamkeit leben wollen.
Paare sind also glücklicher als Singles?
Ja. Meine Forschung hat gezeigt, dass Paare massiv glücklicher sind als Singles, weil sie ihr Liebesleben als sehr viel schöner empfinden als jene, die mangels Beziehung auf One Night Stands zurückgreifen müssen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Liebesleben und der Lebenszufriedenheit. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass ein hoher Prozentsatz der Befragten ihren Partner noch nach 15 bis 20 Jahren liebt wie eh und je. Das kann man sogar an den Gehirnströmen festmachen: Die Gehirne von Paaren, die in einer langjährigen Beziehung leben, leuchten an den gleichen Stellen in gleicher Intensität wie die Gehirne von frischverliebten Paaren, da zeigt sich kein Unterschied.
Oft heißt es, dass der Sex im Laufe einer Beziehung schlechter wird. Es ist aber so, dass er mit den Jahren nicht mehr so wahnsinnig wichtig genommen wird. Die Häufigkeit nimmt ab, aber die meisten sind zufrieden und selbst nach Jahren ist der Sex von Paaren noch schöner als der von One Night Stands. Wichtiger ist dann die echte Zuneigung und Liebe. Es gibt aber auch Menschen, die eine psychische Veranlagung haben, Sex und Gefühle besser trennen zu können und viele verschiedene Sexualpartner einer Liebesbeziehung vorziehen.
Wie gestaltet sich das mit Fernbeziehungen?
Meines Wissens nach funktionieren die auf Dauer eher nicht. Man kann sie für eine Weile aufrecht erhalten, wenn die Gefühle stark genug sind, aber Menschen wollen das Leben in Körpernähe verbringen. Fernbeziehungen sind ein moderner Hype, richtig zufriedenstellend läuft das nicht. So gesehen ist unsere moderne, flexible Arbeitswelt kontraproduktiv für Beziehungen. Liebe und Karriere beißen sich.
Was halten Sie von Dating-Apps?
Tatsache ist, dass das Enttäuschungspotenzial sehr groß ist, vor allem auf Seiten der Frauen, die sich nach eigenen Angaben meist mehr davon versprechen. Männer nutzen diese Apps eher für den Zweck, für den sie im Ruf stehen, dafür vorgesehen zu sein. Da herrscht eine Asymmetrie in der Erwartungshaltung und hinsichtlich des Verwendungszwecks zwischen den Geschlechtern. Die Quintessenz ist: Die Möglichkeiten in der Kontaktaufnahme steigen, die zweitbeste Lösung, wenn man schon keine Beziehung haben kann, ist der schnelle Sex. Aber das Risiko enttäuscht zu werden, ist größer.
Woran arbeiten oder forschen Sie gerade?
Ich befinde mich in einem Zwischenstadium, in dem ich meine Buchveröffentlichung zum Thema Liebe und Beziehungen abschließe und mich schon mit meinem neuen Themenkomplex zur Entwicklung der Menschheitsgeschichte befasse. Ich beschäftige mich damit, dass in unserer Gesellschaft fast alles immer besser wird: Die Gewalt wird weniger, die Menschen sind gesünder, leben länger, haben weniger Risiken und so weiter. Das scheint nicht nur in Europa, sondern weltweit zu passieren. Trotzdem leben wir in einer Zeit, in der es auch gilt, dramatische Rückentwicklungen zu vermeiden. Der Populismus hat Saison, wir erleben kulturelle Widerstände gegen Modernisierung und Weiterentwicklung, möglicherweise verschmutzen wir unsere Umwelt stärker als wir sie heilen können. Wir müssen sehen, dass wir die Nebenfolgen des Fortschritts in den Griff kriegen. Ich will mich mit dieser Wegscheide der Menschheitsgeschichte beschäftigen, an der wir uns gerade befinden. Ich denke, die nächsten 40 bis 50 Jahre sind dafür entscheidend, ob wir uns kollektiv in die Mülltonne treten oder ob es klappt, die Menschheit durch Vernunft, Wissenschaft und Fortschritt aus dem Sumpf herauszuziehen.
Gab es ein Ereignis oder eine Person, das oder die Ihren akademischen Werdegang geprägt hat?
Als ich mich damals entschied, nach Bamberg zu gehen, ahnte ich noch nicht, dass dort der Weltgeist der Soziologie wehte. Ich ging bei den beiden Koryphäen der modernen Soziologie, Ulrich Beck und Gerhard Schulze, in die Lehre, besuchte freiwillig zusätzliche Seminare bei Beck und bekam die Assistenzstelle bei Schulze. Der direkte Austausch mit den beiden Soziologen hat mich sehr bereichert.
Welche Dinge mögen Sie fernab des wissenschaftlichen Alltags? Was unternehmen Sie als Ausgleich zur Denkarbeit an der Uni?
Ich schaue gern gute Filme, ob im Kino oder im Fernsehen. Und ich gehe leidenschaftlich gerne wandern. Dabei kann ich total abschalten und entspannen, weil der Kopf leer und frei wird. Das habe ich schon damals in der Fränkischen Schweiz gerne gemacht und das bietet sich hier im Pfälzer Wald natürlich auch an. Das beste daran sind die bewirtschafteten Hütten, in denen man sich bei einer Schorle ausruhen kann. Ich fühle mich in Landau sehr wohl. Viele sagen ja, hier fehle es an Kultur. Aber dann fährt man eben mal nach Karlsruhe oder Mannheim. Mir persönlich ist es sehr viel lieber, einen kurzen Weg zwischen Wohn- und Arbeitsort zu haben und dann mal zur Kultur zu fahren, statt mitten in der Kultur zu leben, aber zu meiner Arbeit pendeln zu müssen.
Nina Seel