Ob Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier oder Sarah Wagenknecht: Sie kämpfen im Fokus der Medienöffentlichkeit um Aufmerksamkeit und ein gutes Image. Michael Klemm, Professor für Medienwissenschaft an der Uni in Koblenz, hat Politiker seit einigen Jahren besonders im Blick: Er erforscht ihre visuelle Selbstdarstellung. Warum ein Obama in Deutschland keinen Erfolg hätte und Varoufakis´ Hemdsärmeligkeit gar nicht so neu ist, verrät er im Gespräch mit Uniblog.
Politiker stehen medial sehr viel stärker unter Beobachtung als andere Prominente und ernten oft Spott und Häme für ihr Verhalten – man denke nur an Peer Steinbrücks Stinkefinger im SZ-Magazin 2013. Ist das ein Grund, warum Politiker stets sehr kontrolliert und zuweilen auch berechnend auftreten?
Für Politiker gilt natürlich ein anderes normatives Anforderungsprofil als für andere prominente Menschen. Medien vergessen nicht und können jedwede verbale und nonverbale Ausdrucksweise auch viele Jahre später im passenden Moment wieder herauskramen und in einen völlig anderen Kontext setzen, der sich strategisch gezielt auch gegen den Politiker wenden kann. Politiker wissen heutzutage also sehr genau, dass jede Handlung unter die Lupe genommen wird und investieren daher auch nicht ohne Grund in Image-Berater.
Sie beschäftigen sich seit einigen Jahren mit der Selbstdarstellung von Politikern. Inwiefern können Politiker ihr Image steuern und sich gezielt selbst inszenieren?
Man muss hier zwischen der Fremddarstellung durch Medienvertreter und der strategischen Inszenierung der Politiker selbst auf ihren Internetseiten und Social-Media-Kanälen unterscheiden. Der Begriff der Inszenierung ist in diesem Zusammenhang gar nicht als böswillige Manipulatiosstrategie zu verstehen, denn letzten Endes muss jeder in der Öffentlichkeit eine gewisse Rolle authentisch ausfüllen – das gilt für Politiker ebenso. Interessant ist für mich beispielsweise, wie sich diese Formen der Selbstdarstellungen auf den eigenen medialen Plattformen der Politiker über die Zeit verändern, beispielsweise was die Ausgestaltung von Geschlechterspezifika angeht.
Solch eine Metamorphose war auch bei Angela Merkel zu beobachten. Wie ist diese Entwicklung verlaufen?
Zu Beginn ihrer Karriere trat Merkel als “Kohls kleines Mädchen”, das noch ein wenig unbeholfen wirkte, in den Fokus der Öffentlichkeit. Später legte sie als CDU-Chefin deutlich mehr Wert auf Kleidung und Frisur. Dennoch hat
sie als Kanzlerin die weiblichen Attribute weitgehend abgestreift und sich eher als geschlechtsneutraler “Manager” inszeniert. Man spricht in dem Fall auch von “Undoing Gender”. In den vergangenen Jahren lassen sich aber ein paar nuancierte Veränderungen feststellen: Merkel trägt nun eine Halskette, auf Wahlplakaten ist stets ihr Portrait mit strahlenden Augen in den Mittelpunkt gestellt. Man kann also inzwischen eine Akzentuierung von Weiblichkeit, vielleicht eher Mütterlichkeit, bei ihr erkennen. Höhepunkt dieser Feminisierung war wohl vor kurzem das Tête-à-Tête mit Francois Hollande in Paris. Allerdings tritt die jüngere Politikerinnen-Generation von Andrea Nahles, Manuela Schwesig oder Julia Klöckner noch wesentlich femininer auf. Damit wollen sie sich in Sachen Selbstdarstellung auch bewusst von Merkel absetzen.
Es gibt Standardposen und bildliche Klischees, die Politiker fast gezwungenermaßen bedienen müssen. Welchen Zweck erfüllen diese?
Solche tradierten Visiotype, beispielsweise der Feldherrnblick oder das “Bad in der Menge”, lassen sich schon in der antiken Herrscher-Ikonografie finden. Sie knüpfen an Traditionen an und strahlen für den Wähler Verlässlichkeit und Sicherheit aus. Eine Politikerin wie Annegret Kramp-Karrenbauer, die mit erhobener Faust am Rednerpult steht, bricht solche starren Visiotype auf und irritiert. Gemeinhin erwartet man ja von Frauen in der Politik immer noch eine weichere Körpersprache, zentriert um die Körpermitte. Andererseits brauchen Politiker auch verstärkt die Inszenierung von Individualität, etwa durch Freizeitaktivitäten, um den Menschen hinter dem Funktionsträger durchscheinen zu lassen.
Wie inszeniert sich ein deutscher Politiker im Vergleich zu einem US-amerikanischen? Lassen sich hier interkulturelle Unterschiede festmachen?
Die Serie
Was gibt es Neues in der Wissenschaft? Wir stellen Personen und Projekte vor, die im Dienst der Universität Koblenz-Landau die Forschung voranbringen.
Natürlich sind deutsche Politiker untereinander schon sehr unterschiedlich. Allerdings lassen sich gewisse kulturspezifische Erwartungen beobachten: In der deutschen Geschichte amtierten meist Kanzler, die eher als klassische Manager aufgetreten sind. Sie sollten die vorliegenden Probleme beiseite schaffen und sich daher mit großen Auftritten und Inszenierungen zurückhalten. In den USA ist eher eine starke, zielstrebige Führungskraft gefragt, die aber einen gewissen Glamour-Faktor mitbringt und die Öffentlichkeit am privaten Alltag teilhaben lässt. Auch für Russland, China oder Südamerika ließen sich hier Besonderheiten festhalten. Solche “Regierungsästhetiken” sind also durchaus interkulturell verschieden. Mit anderen Worten: Würde ein deutscher Politiker versuchen, wie ein Barack Obama zu agieren, würde er damit hier gnadenlos scheitern.
In den letzten Monaten hat der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis durch sein unkonventionelles Auftreten und nicht zuletzt durch die sogenannte “Fingergate”-Affäre viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Stellt er in der europäischen Politikerlandschaft einen neuen Typus dar?
Das glaube ich nicht. Lockerheit und Deformalisierung sind eine klassische Inszenierungsressource. Die betonte Hemdsärmeligkeit gab es schon immer unter Politikern, sogar bei Helmut Kohl oder Michail Gorbatschow. Auch bei den G7- oder G8-Gipfeln sind Politiker ohne Krawatte zu sehen und erscheinen eher leger. Allerdings hat dies meist in Situationen “hinter der Bühne” stattgefunden, also am Rande von Parteitagen oder Gipfelrunden. Das Neue an Varoufakis ist vielleicht, dass er seine bewusste Andersartigkeit auch auf der Bühne zeigt, also auch, während die anderen noch Krawatten tragen.
Interview: Sandra Erber
Publikationen von Prof. Klemm zu diesem Thema sind zu finden unter: https://michaelklemm.wordpress.com