Stereotype sind sinnvolle Mechanismen, denn sie helfen uns im Alltag, schneller zu denken und zu handeln. Sie sind jedoch auch Erwartungsfallen, in die wir tappen können: Hat man Angst, durch das eigene Verhalten negative Vorurteile zu bestätigen, kann das dazu führen, dass man tatsächlich dem Stereotyp entspricht. Diesen Effekt nennt man Stereotype Threat. Silvana Weber hat dieses Phänomen für ihre Dissertation bei Migranten untersucht. Im Uniblog berichtet die Doktorandin am Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik in Landau über ihre Ergebnisse.
Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie wüssten, dass andere von Ihnen denken, Sie könnten etwas nicht, nur weil Sie Frau sind oder Mann, Akademiker oder Arbeiter, Deutscher oder Türke? Benachteiligt? Unfair behandelt? Ausgegrenzt? Gerade Schüler mit Migrationshintergrund fühlen sich manchmal von Mitschülern oder Lehrern abgelehnt, nur weil sie oder ihre Familie aus einem anderen Land stammen. Da das zu einer ungerechten Situation in der Schule und auch im Leben außerhalb der Schule führt, möchte ich erforschen, was genau in solchen Lern-Leistungssituationen abläuft und wie man betroffene Personen unterstützen kann. Meine Forschung soll zu einer höheren Chancengleichheit und einer gelungenen Integration beitragen.
Leistungsunterschiede erklärt
Leistungsunterschiede zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund sind durch die PISA-Studien gut dokumentiert. In meiner Dissertation habe ich mich mit psychologischen Prozessen beschäftigt, die zu diesen Leistungsunterschieden im schulischen Bereich beitragen können. Stereotype Threat, ein sozialpsychologisches Phänomen, kann negative Auswirkungen auf alle Personen haben, die sich Gruppen zugehörig fühlen, die von negativen Stereotypen betroffen sind. Mädchen in Mathe, Jungs im Lesen, alte Menschen und deren Gedächtnisleistung, Männer und Empathie, Frauen und Autofahren – man könnte diese Liste noch weiter fortsetzen, denn das Phänomen ist seit 1995 recht gut untersucht. Relevant ist nicht, was andere Menschen tatsächlich über mich persönlich denken, sondern „was ich glaube, dass andere über mich und meine Gruppe denken.“ Betroffene Personen sind besorgt, anhand von negativen Gruppen-Stereotypen beurteilt zu werden oder auch durch ihr eigenes Verhalten diese unbeabsichtigt zu bestätigen. Dieses Gefühl der Bedrohung durch Stereotype kann eine Verschlechterung der Leistung in unterschiedlichen Lern- und Testsituationen erklären, allerdings nur bei ausreichend schwierigen Aufgaben.
Identifikation mit zwei Kulturen – Chance oder Nachteil?
Ziel meiner Dissertation war es, die zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen bei Migranten genauer zu verstehen sowie mögliche Einflussfaktoren zu identifizieren. Warum sind manche stärker von der Bedrohung durch Stereotype betroffen als andere? Hierbei spielt die kulturelle Identität der Jugendlichen eine entscheidende Rolle. Dazu gehören einerseits die Stärke der Identifikation mit dem ethnischen Hintergrund sowie andererseits die Identifikation mit dem Aufnahmeland. Vorangegangene Forschung hat gezeigt, dass die Migranten, die sich mit beiden Kulturen stark identifizieren, die besten Ergebnisse bezüglich Wohlbefinden, Bildung und Gesundheit zeigen. Im Gegensatz dazu leidet die Leistung in Situationen, in denen man mit Vorurteilen konfrontiert wird umso mehr, je mehr man sich mit der stereotypisierten Gruppe – also dem eigenen ethnischen Hintergrund – identifiziert. Eine alternative, nicht-stereotypisierte Identität – also die Identifikation mit dem Aufnahmeland – kann einem in solchen Situationen hingegen helfen und als eine Art „Puffer“ wirken.
Das Zugehörigkeitsgefühl zum Aufnahmeland stärken
Spannend ist vor allem die Frage, ob man diesen „Puffer“ auch gezielt stärken kann. Wir haben in einem Experiment in Österreich, wo die Studie für meine Dissertation durchgeführt wurde, Jugendlichen zwei verschiedene Aufgaben gegeben: In der Kontrollgruppe haben wir die Schüler gebeten, Sätze zu vervollständigen, inwiefern sie sich von anderen Österreichern unterscheiden, zum Beispiel „Im Gegensatz zu anderen Österreichern esse ich gerne…“. In der Experimentalgruppe haben die Schüler Gemeinsamkeiten zwischen sich und der österreichischen Kultur herausgearbeitet, zum Beispiel „So wie viele andere Österreicher auch esse ich gerne…“. Das sollte ihre kulturelle Identität und ihr Zugehörigkeitsgefühl zum Aufnahmeland Österreich stärken. Ähnliche Übungen waren in den USA bei African Americans erfolgreich, um dem Phänomen Stereotype Threat vorzubeugen. Wir wollten überprüfen, ob auch bei uns Schüler davon profitieren könnten. Denn mit einer starken, nicht-stereotypisierten Identität, das heißt wenn ich weiß, wer ich bin, wo ich dazugehöre und was für mich wichtig ist, bin ich weniger angreifbar für die Bedrohung durch negative Stereotype – so die Hypothese. Und tatsächlich zeigte sich, dass diejenigen jugendlichen Migranten, deren Identifikation mit dem Aufnahmeland wir gestärkt hatten, in einem Leistungstest besser abschnitten, obwohl sie zuvor mit negativen Vorurteilen gegen ihre ethnische Gruppe konfrontiert wurden. Das gibt Grund zur Hoffnung und motiviert zu weiterer Forschung.
Insgesamt haben in den drei Jahren meiner Dissertation fast eintausend Jugendliche an unseren Studien teilgenommen. Und hier kommt noch eine gute Nachricht zum Schluss: Alle Schüler wurden im Anschluss an die Studien über Stereotype Threat aufgeklärt. Mit diesem Wissen sind sie besser auf derartige Situationen vorbereitet und gegen den leistungshemmenden Effekt gewappnet.