Studierende der Universität in Landau haben jedes zweite Jahr die Möglichkeit im Dorf Gani-Dah, im Osten Malis, ein Praktikum zu machen. Ins Leben gerufen hat das Projekt Birgit Biehl, die schon seit vielen Jahren nach Mali reist, dort Entwicklungsarbeit leistet und unter dem Pseudonym “Chris Marten” Romane veröffentlicht, die sich um Afrika drehen. Sie hat den Verein Gani-Dah e.V. gegründet.
Die Praktikanten unterrichten in der von Biehl aufgebauten Schule und helfen den Dorfbewohnern bei Sozial- und Umweltprojekten. Im vergangenen Jahr waren die Landauer Studentinnen Marie-Elene Bartel und Tanja Hellman für vier Wochen in Gani-Dah und reisten anschließend für 14 Tage durch das Land. Gegen Ende ihrer Reise begannen die ersten Unruhen in dem afrikanischen Staat. Im Interview berichtet Biehl über die Lage im Dorf Gani-Dah.
Sie reisen oft nach Mali. Wann waren Sie zuletzt dort?
Birgit Biehl: Seit 18 Jahren reise ich nach Mali, ich fühle mich dort heimisch. Ich glaube, ich kenne das Land inzwischen besser als Deutschland. Von Februar bis Anfang April 2012 war ich zuletzt in Mali. Ich habe dort neben meiner Arbeit wieder zwei Studentinnen der Universität in Landau bei ihrem Praktikum in unserem Projektdorf Gani-Dah betreut, Marie-Elene und Tanja.
Seit einigen Jahren unterstützen Sie mit vielen Maßnahmen das Dorf Gani-Dah im Osten Malis. Wie ist die Lage dort? Haben Sie Kontakt zu den Dorfbewohnern?
Da das Dorf etwa 85 Kilometer von einer befestigten Straße entfernt liegt, also recht unzugänglich ist, wurde es bislang von direkten Kampfhandlungen verschont. Die Kinder gehen regelmäßig zur Schule und bekommen ihre tägliche Mittagsmahlzeit. Aber die Menschen leben in großer Angst.
Im Norden Malis haben zahlreiche Angehörige der Familien im Dorf unter schrecklichen Bedingungen fliehen müssen. Rebellen sind auch in der Nähe von Gani-Dah aufgetaucht, sie beobachten die Grenzübergänge nach Burkina Faso. Die Menschen verlassen nach Möglichkeit das Dorf nicht mehr, denn auf den Wegen zu den Märkten der Umgebung hat es Überfälle, Plünderungen und Vergewaltigungen gegeben, Menschen sind erschlagen worden. Aus Angst vor weiteren Überfällen werden die Leichen nicht begraben. Dies hat die Ernährungslage sehr verschärft. Die Preise für Reis und Hirse sind um ein Vielfaches gestiegen. Ich weiß dies alles aus Telefonaten mit meinem Freund Mohamed Saliha Haidara, dem Direktor der Schule von Gani-Dah, dem es etwa einmal pro Woche gelingt, mit dem Handy anzurufen. Leider brechen die Gespräche meist nach zwei bis drei Minuten ab. Bei unserem letzten Gespräch hörte ich im Hintergrund das Geschrei von Soldaten einer meinem Freund unbekannten Armee, die alle Höfe kontrolliert und nach versteckten Rebellen abgesucht haben.
Wir konnte noch rechtzeitig unser Projektgeld von der Bank in Mopti holen und neun große Medikamentenpakete abschicken. Die Versorgung ist damit für einige Zeit gesichert. Inzwischen wissen wir auch aus hiesigen Medien, wie grausam von den Kämpfern beider Seiten Rache genommen wird – zum einen für die Eroberung des Nordens durch die Rebellen, zum anderen drücken sich hier aber auch die Jahrhunderte währenden ethnischen Konflikte eines am Ende der Kolonialzeit mit dem Lineal auf der Landkarte zusammengezwungenen Landes aus, in dem zahlreiche Völker leben und zahlreiche Sprachen gesprochen werden.
Unser Projekt unterhält ein ganzes Netzwerk von Kontakten und guten Freunden im ganzen Land und so bekomme ich auch zahlreiche Mails, die mir – je nach Stromversorgung – aus unterschiedlichen Provinzen des Landes genaue Beschreibungen der Lage liefern, insbesondere dramatische Schilderungen aus den Städten Mopti und Sévaré, die auch in den hiesigen Medien im Fokus standen. Dort unterhalten wir für unsere Projekte die Ressourcen, die Straßen dort müssen wir benutzen, um in das Dorf zu gelangen. Das ist zur Zeit durch die Kämpfe und die Truppen- und Flüchtlingsbewegungen nicht möglich. Eigentlich wollte ich Ende Januar wie üblich nach Gani-Dah fahren, aber diese Sicherheitslage verbietet die Reise.
Unterscheiden sich die Berichte von Ihren Freunden und Bekannten aus Mali von der Berichterstattung aus den hiesigen Medien? Wie nehmen die Bürger Malis die Lage wahr?
Die Berichte unterscheiden sich deutlich in ihren Schwerpunkten: In unseren Medien herrscht natürlich eine eher eurozentristische Sichtweise vor, die sogenannte “westlichen Interessen” in den Mittelpunkt stellt. Im Fokus steht die Gefährdung auch unseres Lebens durch eine Ausbreitung von al-Qaida in der Sahara. Für Frankreich ist insbesondere die Gefährdung wirtschaftlicher Interessen wie Uranabbau oder Erdöl- und Erdgasförderung von Bedeutung. Mehrfach war zu lesen, Mali liege eigentlich vor unserer Haustür – vor einigen Monaten noch wusste kaum jemand, wo dieses Land überhaupt liegt. Inzwischen gibt es detailliertere Analysen der Lage, allerdings vermisse ich noch immer die Darstellung von Konfliktursachen wie ethnische Konflikte und die politischen Versäumnisse der letzten 20 Jahre. Sehr freigiebig hat die Bundesrepublik ein korruptes, aber befreundetes Regime gefördert. Natürlich stehen den Bürgern Malis diese überkommenen Konflikte sehr viel näher – etwa die Konflikte mit den Tuareg als den “Weißen”, die Konflikte zwischen Bambara und Dogon, zwischen Songhoy und Tuareg, die Konflikte zwischen den Familien, die in der Verteilung lukrativer Posten am Drücker sind, und denen, die an diese Familien sogar Wegezölle entrichten müssen. Nichts weiß man hier von diesen Ursachen der Konflikte und ich hoffe sehr, dass man die scheinbaren Siege der französischen Armee genügend zu relativieren weiß.
Sie kooperieren auch mit der Universität in Landau. Regelmäßig reisen Studierende nach Gani-Dah, um dort ein Praktikum zu machen. Kann dieses Projekt in der momentanen Situation weiter geführt werden?
In der momentanen Situation natürlich nicht. Die Straßen sind durch die allgemeine Mobilmachung und die Flüchtlinge blockiert. Die Rebellen werden zu einer Guerillataktik übergehen, die auch das jetzt befreit scheinende Land mit Attentaten überziehen könnte. Ich bin im Krisenregister des Auswärtigen Amtes registriert. Von dort bekomme ich detaillierte Meldungen, die aktuell eine Fortsetzung der Projekte als zu unsicher erscheinen lassen. Aber die Weiterarbeit ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Unsere Projektgelder liegen auf einem Festgeldkonto. Wir warten nur auf den Moment, bis die nächsten Studenten aus Landau und ich in Sicherheit unsere Arbeit fortsetzen können. Wir haben konkrete Pläne für den Ausbau des Schulkomplexes, der Schulgärten, des Gesundheitszentrums und planen den Bau eines Wasserwerks über unserem Brunnen. Arbeit gibt es genug.
Sarah Ochs
Krieg in Mali Mali liegt in Westafrika. Im März 2012 stürtzten Soldaten den Malischen Präsidenten, dem sie Unfähigkeit bei der Bekämpfung der aufständichen Tuareg im Norden des Landes vorwarfen. Mittlerweile sind Teile von Mali in den Händen von Islamisten. Als im Januar 2013 der Kollaps der malischen Armee und damit ein Einzug der Islamisten in die Hauptstadt Bamako drohte, schickte Frankreich Soldaten nach Mali. Das Auswärtige Amt hat für Mali eine auf unbestimmte Zeit gültige Reisewarnung ausgesprochen. Gani Dah liegt im Osten Malis. Es ist nahezu unzugänglich und kann nur durch eine mehrtägige Reise auf unbefestigten Straßen erreicht werden. |