Rheinland-Pfalz ist spielwütig: An mittlerweile mehr als 140 Schulen im Land wird das Fach “Darstellendes Spiel” unterrichtet. Wegen mangelnder Ausbildungsmöglichkeiten an Universitäten fehlte es bislang jedoch an qualifizierten Lehrkräften. Seit vergangenem Wintersemester bietet die Universität Koblenz-Landau an beiden Campi ein entsprechendes Ergänzungsfach an.
Seit mehr als fünf Jahren gibt es das Fach “Darstellendes Spiel” in der Sekundarstufe I und II an rheinland-pfälzischen Schulen, bisher konnten sich Lehrer immer nur über individuelle Weiterbildungskurse qualifizieren. “Es war auf institutioneller Ebene höchste Zeit, einen solchen Studiengang zu etablieren”, berichtet Dr. Anja Ohmer, Koordinatorin des Studiengangs an der Universität in Landau. “Darstellendes Spiel ist ein sogenanntes Mangelfach. Die Einstellungschancen sind also ausgezeichnet.“ Seit vergangenem Wintersemester haben Lehramtsstudierende für Realschule und Gymnasium sowie Lehrer, die an in diesen Schultypen unterrichten, die Möglichkeit, einen viersemestrigen und praktisch orientierten Zertifikatsstudiengang mit voller Lehrbefugnis parallel zum regulären Studium als drittes Fach zu absolvieren.
Steigerung der Selbstwahrnehmung
Körper- und Selbstbewusstsein sind für Dr. Mayte Zimmermann, geschäftsführende Leiterin des Studiengangs am Campus in Koblenz, eine der wichtigsten Kompetenzen, die Studierende beim szenischen Arbeiten entwickeln. “Oft wird die Arbeitsrealität von künftigen Lehrkräften verkannt. Vor einer Klasse zu stehen, angeschaut zu werden und eine soziale Situation ‘zu inszenieren’, gehört zum Alltag von Bildungsprozessen. Szenisches Arbeiten steigert die Wahrnehmung für die Ordnung des sozialen Miteinanders und die eigene Position in diesem Gefüge. Studierende des Darstellendes Spiels erwerben also auch Kompetenzen, die über Disziplingrenzen der herkömmlichen Unterrichtsfächer hinausgehen.”
Sebastian Schmitz, Student der Germanistik und Geografie für Gymnasiallehramt, war Teil des ersten Jahrganges “Darstellendes Spiel” am Campus Landau. Bereits während seiner Schulzeit wirkte er in einer Theater-AG mit. Schon lange wünscht er sich eine theaterpraktische Vertiefungsmöglichkeit im Studium. “Theater war zwar auch ein Thema, aber bislang eher theoretisch fundiert. Als vor anderthalb Jahren dann eine Rundmail mit dem Hinweis auf den Studiengang bei mir eintraf, war ich sehr neugierig und wollte unbedingt einen der wenigen Studienplätze ergattern.”
Er wünscht sich, in Zukunft als Lehrer mit den erworbenen Kompetenzen einen empathischen und kreativeren Unterricht gestalten zu können. “Schauspielerei gibt Lehrern und Schülern die Möglichkeit, frei im Unterricht zu sein. Man entdeckt sich beim Spielen selbst ganz neu und lernt, die eigene Meinung zu vertreten. Eine der tollsten Erfahrungen dabei ist außerdem, etwas Eigenes zu schaffen.”
Mit Empathie und Kreativität in den Unterricht
Ein Highlight war für Theaterfan Schmitz das Mitwirken als Schauspieler bei der Inszenierung von Anatevka, einem Stück des Dramatikers Joseph Stein, im Rahmen eines Studienprojektes. Elf Mal wurde es seit Oktober vergangenen Jahres in der Deidesheimer Synagoge unter der Regie von Eva Adjoran, Dozentin des Studienganges, aufgeführt. Interessant war für Schmitz während der Vorbereitungen vor allem der Prozess der Rollenfindung. “Für unsere Rollen haben wir uns ganz stark von den Räumlichkeiten der Synagoge inspirieren lassen. So haben wir beispielsweise in der Uni das Setting der Synagoge nachgebaut und über das Raumgefühl unsere Rollen kreiert. Dadurch konnten wir uns während der Proben in verschiedene Facetten der Charaktere hineindenken und die Rolle Stück für Stück selbst konstruieren.” Für sein Abschlussprojekt, das jeder Studierende am Ende des Studiums vorbereiten muss, übernimmt Sebastian Schmitz die Regieassistenz eines Stücks am Chawwerusch-Theater in Herxheim, das in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kultur- und Wissensdialog der Universität in Landau zurzeit geprobt wird.
Auch in Koblenz haben die Studierenden des ersten Jahrgangs inzwischen ihre erste Inszenierung präsentiert, die aus der Auseinandersetzung mit Georg Büchners Fragment Woyzeck entstanden ist. Im Vordergrund dieser Arbeit standen szenische Methoden, die andere Formen des Spielens und der Bühnenarbeit jenseits des klassischen Rollenspiels eröffnen. “Raum, Konstellationen, chorische Formen, Stimme und Bewegung waren wichtige Elemente, die in die Inszenierung eingeflossen sind”, berichtet Zimmermann.
Der Studiengang ist in Landau bisher auf 18 Studierende pro Jahrgang ausgelegt, die Nachfrage ist aber wesentlich größer, wie Anja Ohmer betont. “Im ersten Jahrgang hatten wir um die siebzig Bewerber.” Um sich einen der begehrten Plätze zu sichern, müssen die Bewerber zunächst eine Eignungsprüfung bestehen, für die eine schriftliche Kurzkonzeption eines Inszenierungsprojektes mit Jugendlichen sowie eine dreistündige praktische Prüfung vorgesehen ist. Sebastian Schmitz empfielt, vor der Prüfung das ein oder andere Stück im Theater anzuschauen und möglichst entspannt vor die Prüfer zu treten, auch wenn man keine umfassenden Erfahrungen in der Theaterszene vorzuweisen hat: “Wenn die Prüfer zudem merken, dass man mit Spaß und Kreativität an die Sache herangeht und unverkrampft bleibt, hat man gute Karten.”
Mit Theater Grenzen überwinden
Beide Studiengangsleiterinnen wünschen sich, das Fach künftig für andere Fachbereiche zu öffnen. So ist sich Mayte Zimmermann sicher, dass die Gruppendynamik im Studiengang von unterschiedlichen Disziplinen profitieren würde. In Landau interessieren sich bereits Studierende der Psychologie und des Förderschullehramts für das Fach. „Es wäre schön, wenn wir auch Ihnen künftig eine Möglichkeit bieten könnten”, befindet Ohmer. Für sie ist Theaterspielen ein zentrales Element ästhetischer Bildung und im Kontakt mit anderen Kulturen von entscheidender Bedeutung. “Wenn man aktuell an die Integration von Flüchtlingen denkt, ist Darstellendes Spiel in vielen Bereichen der Kulturellen Bildung ein wunderbares Mittel des Kennenlernens, der Begegnung und des Verstehens der anderen Kultur. Beim Spielen kommen oft nur Tanz, Rhythmus oder Gestik zum Einsatz. Auf dieser Ebene kann man oft ganz ohne Sprache Grenzen überwinden.”
Zimmermann sieht die Aufgabe des Faches außerdem darin, die Strukturen im herkömmlichen Schulbetrieb aufzulockern. „Anders als in anderen Fächern geht es beim Darstellenden Spiel nicht darum, vorgegebene Aufgaben zu lösen und Regeln zu befolgen, sondern gesellschaftliche Regeln in Auseinandersetzung mit der eigenen Individualität, auch mit seinen Ecken und Kanten, zu hinterfragen.“
Sandra Erber
Die Studiengänge werden in Koblenz vom “Zentrum für Zeitgenössisches Theater und Performance” (ZZTP) koordiniert, in Landau vom Zentrum für Kultur- und Wissensdialog (ZKW).