Uni-Menschen

Von Toleranz und Freundschaft: WG mit einem Asylbewerber

Dominik Müller (links) und sein ägyptischer WG-Mitbewohner Mina Louka verbringen viel Zeit gemeinsam. Seit rund einem Jahr wohnen die zwei 27-Jährigen nun zusammen in Koblenz-Güls. Inzwischen sind sie Freunde geworden. Foto: Adrian Müller

Dominik Müller (links) und sein ägyptischer WG-Mitbewohner Mina Louka verbringen viel Zeit gemeinsam. Seit rund einem Jahr wohnen die zwei 27-Jährigen nun zusammen in Koblenz-Güls. Inzwischen sind sie Freunde geworden. Foto: Adrian Müller

Seit fast einem Jahr wohnen der Koblenzer Student Dominik Müller (27) und Mina Louka (27), ein Asylbewerber aus Ägypten, zusammen in einer WG in Koblenz-Güls. Während Müller Diplompädagogik studiert, engagiert sich Louka ehrenamtlich und betreut behinderte Menschen, er lernt Deutsch und integriert sich, wo er kann. Hier erzählt Louka seine Geschichte, die zwei Freunde sprechen über ihr WG-Leben, wie sie sich kennengelernt haben und über die große Debatte zu Asylbewerbern.

Herr Louka, möchten Sie Ihre Geschichte erzählen?

Louka: Bevor ich nach Deutschland kam, habe ich in Alexandria, also in Ägypten, gewohnt. Ich bin dort aufgewachsen. Wie der Rest meiner Familie bin ich koptisch-orthodoxer Christ, was das eigentliche Problem ist. Christen haben in Ägypten zunehmend Probleme und stoßen auf Ablehnung, Diskriminierung und Unterdrückung. Wie die meisten Kopten habe ich ein kleines Kreuz am rechten Handgelenk tätowiert, das meinen Glauben offen zeigt, und auch im Pass ist die Religion vermerkt.

2006 dann begannen die Probleme für unsere Glaubensgemeinde größer zu werden, bis es 2011 zu einem Bombenanschlag auf unsere Kirche kam, bei dem viele Freunde und Bekannte ums Leben kamen und Mitglieder meiner Familie verletzt wurden. Bei der Suche nach meinem Vater und meiner Schwester in den Trümmern habe ich viele Tote gesehen.

Nach dem Anschlag hieß es, wir hätten das Attentat selbst organisiert und es den Muslimen zugeschoben. So haben auch meine muslimischen Nachbarn argumentiert, mit denen ich vorher eigentlich immer gut ausgekommen bin. Sie haben sogar gesagt, sie seien froh, dass Christen gestorben sind und die Kirche zerstört wurde. Das war wie ein Schock für mich. Ich konnte es nicht länger ertragen, mich nicht länger mit der Situation zufrieden geben. Deshalb habe ich Ägypten verlassen.

Warum haben Sie sich für Deutschland entschieden?

Louka: Das hat mehrere Gründe. Zum einen, weil meine Schwester mit ihrer Familie bereits nach Deutschland geflohen. Zum anderen aber auch, weil vor einigen Jahren ein deutscher Arzt meine Mutter operierte, die herzkrank war. In Ägypten konnte das niemand. Er hat meiner Mutter drei weitere Jahre in ihrem Leben geschenkt. Wo Menschen so etwas tun, dachte ich mir, muss es auch für mich eine Chance geben. Und schließlich waren es Menschen aus Deutschland, die meine Gemeinde nach dem Anschlag durch internationale Hilfe unterstützten.

Auf welchem Weg kamen Sie dann nach Koblenz?

Louka: Ich kam ganz normal mit dem Flugzeug in München an, also nicht per Schiff übers Mittelmeer oder mit Hilfe irgendwelcher Schleuser. Das war im Oktober 2013. Dann kam ich nach Trier, wo man mich nach Koblenz weiterleitete. Mein Wunsch, nach Brühl zu meiner Schwester zu kommen, wurde abgelehnt. Man kann das nicht frei entscheiden, sagte man mir.

Müller: Immerhin hat Mina in Rheinland-Pfalz die Möglichkeit, in einer privaten Wohnung zu leben. Erst jetzt richtet die Stadt Koblenz ein großes Asylbewerberheim ein, bislang suchte sie händeringend nach günstigem Wohnraum.

Wo kamen Sie dann unter, Herr Louka?

Louka: Zunächst war ich in einer umgebauten Gaststätte in Bisholder, wo ich mit vielen anderen Männern im unbeheizten Gastraum auf dem Boden schlief. Da waren die Verhältnisse nicht so gut, aber die umliegenden Bürger und die Asylbewerber haben sich schnell angenähert.

Hier haben Sie sich dann kennengelernt?

Müller: Noch nicht direkt. Vor einem Jahr gab es eine Gesprächsveranstaltung, von den Gülser Bürgern organisiert. Ich hatte Angst, dass dort rechte Stimmen laut werden und bin hin gegangen. Es war dann aber ganz anders als gedacht. Mit Ausnahme von ein paar Bedenken war man sich einig, dass man etwas unternehmen musste und helfen wollte. Wir haben dann den „Runden Tisch Asyl“ zusammen mit den Asylbewerbern gegründet, bei dem organisiert werden sollte, wie man unterstützen kann. Auch ein Patenschaftsprojekt wurde ins Leben gerufen, um bei Behördengängen, Wohnungssuche und anderen Dingen zu helfen. Da ist mir dann irgendwann in den Sinn gekommen, dass ich ja einen neuen Mitbewohner suche – und warum das nicht mit einer Patenschaft verbinden?

Kannten Sie Herrn Louka denn da schon?

Müller: Nein, eine Frau aus der Gruppe kannte Mina, er kam dann Mitte Februar zu mir in die WG, wir verständigten uns kurz und er zog am 1. März letzten Jahres ein. Das Schlimmste, was passieren kann, dachte ich mir damals, ist, dass es eine Zweck-WG wird. Aber das kann einem ja auch mit anderen Mitbewohnern passieren. Da man in Rheinland-Pfalz als Asylbewerber freie Wohnwahl hat, war das alles kein Problem.

Louka: Ich hatte nur zwei Koffer aus Ägypten mitgebracht, Dominik hat dann Möbel und allerlei andere Dinge über Bekannte organisiert.

Wie gestaltet sich denn heute das WG-Leben? Unternehmen Sie etwas zusammen oder ist es eine Zweck-WG geworden?

Müller: Wir machen sehr viel zusammen, wir kochen und essen gemeinsam, sind mit Freunden unterwegs, Mina ist jetzt ein fester Bestandteil in meinem Freundeskreis, er kommt auch oft mit, wenn ich mit meiner Band probe. Viel Zeit verbringen wir allerdings bei uns am Küchentisch, wir diskutieren ausgiebig,  haben nicht immer die gleiche Meinung und unterschiedliche Denkansätze. Vor allem was Religion und Islamismus angeht konnten wir noch keinen Konsens finden, aber das beeinflusst unsere Freundschaft nicht. Wir lernen sehr viel voneinander und sind tolerant dem anderen gegenüber. Auch wenn wir uns gedanklich manchmal nicht einig sind, treffen wir uns auf der Handlungsebene, wo wir die gleichen Werte vertreten.

Louka: Zur letzten SommerUni habe ich im Rahmen des Bildungsforums einen Vortrag gehalten und meine Geschichte erzählt, das haben wir zusammen vorbereitet. Auch als der Sohn meiner Schwester getauft wurde, habe ich Dominik mitgenommen.

Viel Zeit verbringen die Zwei am Küchentisch und diskutieren über Religion, Islamismus und soziale Werte. Nicht immer sind sie einer Meinung und es geht hoch her. Doch für beide ist Toleranz sehr wichtig und sie leben nach diesem Prinzip zusammen. Foto: Adrian Müller

Viel Zeit verbringen die Zwei am Küchentisch und diskutieren über Religion, Islamismus und soziale Werte. Nicht immer sind sie einer Meinung und es geht hoch her. Doch für beide ist Toleranz sehr wichtig und sie leben nach diesem Prinzip zusammen. Foto: Adrian Müller

Wie haben Sie sich am Anfang sprachlich verständigt?

Louka: Ich kann sehr gut Englisch sprechen, da ich in Ägypten studiert habe, einen Bachelor in Hotel- und Tourismusmanagement. Anschließend habe ich als Tauchlehrer gearbeitet und da natürlich auch immer viel mit Touristen zu tun gehabt.

Müller: Dennoch haben wir von Anfang an gesagt: Wir sprechen Deutsch. Und die Verständigung wurde dann auch schnell immer besser, nur in den ersten Wochen mussten wir bei abstrakten Themen ins Englische wechseln. Mina hat ja auch sehr schnell begonnen, sich privat einen Deutsch-Intensivkurs zu finanzieren.

Was machen Sie jetzt hier in Deutschland, Herr Louka?

Louka: Zum einen erst mal den Sprachkurs. Dann habe ich letztes Jahr sechs Monate ehrenamtlich in einem Gülser Altenheim gearbeitet. Seit Dezember habe ich die offizielle Arbeitserlaubnis, arbeite nun in einem Behindertenheim und werde bald die Pflege und Betreuung eines beeinträchtigten Jungen übernehmen. Die Arbeit macht mir sehr große Freunde, ich kenne mich in dem Beruf aus, da ich auch in Ägypten bereits über die Kirche mit Behinderten gearbeitet habe.

Ansonsten mache ich das, was andere auch tun: Ich treffe mich mit Freunden, habe immer noch Kontakt zu den anderen Asylbewerbern, mit denen ich zuerst zusammengewohnt habe, gehe spazieren und lerne die deutsche Kultur kennen. Auch gehe ich sehr gerne zur Kirche, weil ich es richtig finde, zusammen in der Gemeinschaft zu beten, wie in einer Familie.

Müller: Es ist toll zu sehen, was Mina alles selbst auf die Beine gestellt hat, wie er sich einbringt und engagiert. Es ist gar nichts Besonderes, dass er hier wohnt, ich habe auch nichts Hochtragendes gemacht, es ist eine Win-win-Situation für beide Seiten. Da könnte jede andere WG auch von profitieren.

Herr Louka, wie geht es jetzt weiter für Sie? Wird Ihr Antrag auf Asyl angenommen?

Louka: Noch habe ich den Status als Asylbewerber, das Verfahren wurde noch nicht eröffnet. Ich bin jetzt erst mal hier, möchte am liebsten kein Geld vom Sozialamt bekommen und auf eigenen Beinen stehen. Ich kann in meiner Heimat nicht mehr bleiben, weil ich es dort nicht aushalte. Die politische Situation ist schlechter denn je für uns Christen. Hier bin ich in Freiheit.

Auch beim gemeinsamen Spülen haben sie Spaß: Der Koblenzer Student Dominik Müller und Mina Louka aus Ägypten. Foto: Adrian Müller

Auch beim gemeinsamen Spülen haben sie Spaß: Der Koblenzer Student Dominik Müller und Mina Louka aus Ägypten. Foto: Adrian Müller

Besteht denn die Möglichkeit, dass Sie noch mal zurückgehen?

Louka: Das ist schwierig, solange sich die politischen Verhältnisse nicht ändern und keine Religionsfreiheit für Christen herrscht. Aber natürlich würde ich gerne zurück, das ist meine Heimat, mein Land.

Müller: Viele Asylbewerber hier sehen das so, es gibt für sie einfach keine Zukunft in ihrem Heimatland. Und dann schwebt da permanent dieses Damoklesschwert über ihnen, da der Status noch nicht geklärt ist und sie mit der Angst leben müssen, abgeschoben zu werden.

Sie verfolgen sicherlich die aktuellen Debatten zum Thema Asylbewerber und die Bedenken, die von einigen Seiten laut werden. Was denken Sie dazu?

Louka: Viele Leute haben Angst vor Asylbewerbern. Aber jede Person, die kommt, hat individuelle Probleme. Manche kommen, weil sie keine Arbeit haben, oder Hunger leiden. Sie kommen, weil sie Geld brauchen. Manche, so wie ich, haben das alles, kommen aber, weil sie es in ihrer Heimat einfach nicht mehr aushalten. Ich möchte kein Geld, ich möchte nur Freiheit und Akzeptanz.

Hannah Wagner

Wer auch die Patenschaft für einen Asylbewerber übernehmen möchte, einen Platz in der WG frei hat, sich anderweitig einbringen oder einfach informieren möchte, kann sich an die Initiative Runder Tisch Asyl wenden.
Auch das Netzwerk Flüchtlinge Willkommen bringt bundesweit Menschen, die privaten Wohnraum zur Verfügung stellen können, mit Flüchtlingen zusammen.