Seit rund zehn Jahren erforschen die Mitarbeiter der Psychotherapeutischen Universitätsambulanz Landau (WiPP) die Wirksamkeit von Behandlungen bei somatoformen Störungen. Jetzt soll ein groß angelegtes Forschungsprojekt neue Erkenntnisse bringen.
Übelkeit, Rückenschmerzen, Schwindel und andere ungeklärte Beschwerden gehören zum Alltag von Menschen mit sogenannten somatoformen Störungen. Für die körperlichen Symptome der Patienten lassen sich keine medizinischen Ursachen vom Facharzt finden – trotz unzähliger Untersuchungen und Facharztkonsultationen. Frustration und Beeinträchtigungen im alltäglichen Leben sind häufige Folgen der verzweifelten Suche nach einer Ursache für den unerklärlichen Schmerz oder die körperliche Beschwerde ohne Befund. Eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die körperlichen Empfindungen, regelmäßige Medikamenteneinnahme und die Schonung des Körpers verschlimmern die Symptome meist noch. Ein Teufelskreis entsteht. Eine psychologische Therapie kann helfen, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Dr. Jens Heider, Leiter der Forschungs- und Lehrambulanz, erklärt: „In der Regel treten Symptome jahrzehntelang auf. Die wiederholte Erfahrung der Patienten, dass von Ärzten keine Ursache gefunden wird, beeinträchtigt meist die Beziehung und erschwert somit den Weg zu einer psychologischen Therapie. Die Befürchtung der Betroffenen ‚Keiner kann mir helfen‘ bestätigt sich dadurch.“
Bessere Hilfe durch Emotionsregulations-Training
Seit Ende März können sich Patienten, die unter einer somatoformen Störung leiden, in der WiPP Landau nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen behandeln lassen. Unter der Leitung von Dr. Jens Heider und Dr. Katharina Köck sollen Betroffene in 20 Einzelsitzungen einen besseren Umgang mit ihren Beschwerden erlernen. Neu ist: Statt wie bisher eine kognitive Verhaltenstherapie durchzuführen, wird das Behandlungsangebot um einen wichtigen Baustein ergänzt. „Es kommt ein Emotionsregulationstraining zu der normalen Behandlung hinzu. Dieser Faktor fiel bislang immer unter den Tisch. Dabei gibt es einen Verbesserungsbedarf für die Behandlung von somatoformen Störungen. Die Wirksamkeit der Therapien ist durchschnittlich geringer als für andere Störungen wie Angst oder Depression.“ Emotionen seien oft eine Teilursache für die Entstehung von Symptomen. „Es werden Körperreaktionen wahrgenommen, die für Gefühle wie Angst oder Ärger ganz normal sind. Patienten haben aber Probleme, diese Gefühle wahrzunehmen und zu benennen, sie ordnen Symptome falsch ein. Betroffene erleben oft Angst, Ärger oder Niedergeschlagenheit.“ Der Umgang mit negativen Gefühlen ist ein wesentlicher Aspekt des aktuellen Behandlungsangebots.
Die Serie
Was gibt es Neues in der Wissenschaft? Wir stellen Personen und Projekte vor, die im Dienst der Universität Koblenz-Landau die Forschung voranbringen.
Um die Wirksamkeit festzustellen, werden die ausgewählten Patienten zufällig der bewährten oder neuen Behandlungsmethode zugeteilt. So soll sichergestellt werden, dass Effekte eindeutig auf das Emotionsregulationstraining zurückgeführt werden können. „Natürlich werden die Patienten darüber aufgeklärt, in welcher Behandlungsgruppe sie sich befinden.“ Vier geschulte Psychologische Psychotherapeuten übernehmen die Therapiesitzungen in Landau. Vor und nach der Behandlung wird eine umfassende Diagnostik durchgeführt. Teilnehmen kann, wer seit mindestens sechs Monaten unter mindestens drei körperlichen Beschwerden mit medizinisch ungeklärter Ursache leidet und dadurch stark belastet ist. Die Altersgrenzen liegen zwischen 18 und 69 Jahren. Eine ausführliche Diagnostik entscheidet darüber, ob die Person für die Behandlung im Rahmen des Forschungsprojekts aufgenommen wird. Interessenten können sich noch bis zum Frühjahr 2015 bei der Psychotherapeutischen Universitätsambulanz melden.
Forschung auf Champions League-Niveau
Das Behandlungsangebot findet neben Landau auch in Ambulanzen anderer deutscher Städte statt. Sieben Arbeitsgruppen in Marburg, Mannheim, Wuppertal, Hamburg, München und Gießen führen zeitgleich die neue Therapie unter standardisierten Bedingungen durch. Initiator Professor Winfried Rief von der Philipps-Universität Marburg hat die Studie konzipiert, bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Die Ergebnisse werden zentral gesammelt und ausgewertet. „Die große Stichprobe an Teilnehmern erlaubt es uns, auch kleine Effekte zu finden. Bislang haben wir nur lokale Studien gemacht und sind nun an diese große Studie angedockt“, erläutert Heider. Vielversprechend: Die sogenannte Multicenter-Studie „encert“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. „Das ist sehr wichtig für uns, wir betreiben jetzt Forschung auf Champions League-Niveau. Davor haben wir in der Bundesliga mitgespielt, waren aber in unseren Mitteln beschränkter“, freut sich Heider. „Solche Studien können sehr hochwertig publiziert werden, weil die methodischen Voraussetzungen vorhanden sind. Zum Beispiel muss die Diagnostik vollkommen von der Therapie getrennt sein, um die Diagnostik nicht durch die Person des Therapeuten zu beeinflussen.“ Bis zum Sommer 2015 laufen die Behandlungen, im Frühjahr 2016 werden die Studie abgeschlossen und die Ergebnisse publiziert.
Katharina Greb
Wer mehr über das Behandlungsangebot oder Forschungsprojekte erfahren möchte, kann sich unter www.wipp-landau.de informieren.