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Mein Exil ist besser als sein Ruf: Rafik Schami im Interview

Rafik Schami im Gespräch mit dem SWR-Reporter Martin Durm beim Auftaktabend der Landauer Poetikdozentur. Foto: Berend Berkela/Medienzentrum

Rafik Schami im Gespräch mit dem SWR-Reporter Martin Durm beim Auftaktabend der Landauer Poetikdozentur. Foto: Berend Berkela/Medienzentrum

Rafik Schami zählt zu den beliebtesten Autoren deutscher Gegenwartsliteratur. In Deutschland hat der vor über 40 Jahren aus Syrien Geflüchtete eine neue Heimat gefunden, lebt seit vielen Jahren in der Pfalz. Im Wintersemester 2014/15 hat er die Landauer Poetikdozentur übernommen. Der Autor und leidenschaftliche Erzähler sprach über „Mein Exil ist besser als sein Ruf. Bemerkungen zu den Bedingungen, unter denen meine Literatur entsteht“ – frei und kurzweilig, wie man es von dem Geschichtenerzähler kennt.

In Ihrer Poetikvorlesung sprachen Sie darüber, welchen Einfluss das Exil auf Ihre Literatur hat und dass Ihr Exil besser ist als sein Ruf: Welche sind die positiven Seiten Ihres Exils?

Die Freiheit! Das ist das teuerste Gut der Menschheit.  Eine Tochter oder ein Sohn der Freiheit und der Demokratie kann sich das nicht vorstellen, wie das Leben unter einer Diktatur aussieht. In der Schule bemühte ich mich damals, ein paar Jungen von sozialkritischen Gedanken zu überzeugen, musste aber leise darüber sprechen. Obwohl auch im christlichen Glauben verankert ist, den Schwachen zu lieben, war es gefährlich, über diese politischen Ideen zu sprechen. (Rafik Schami ist Christ und besuchte in Damaskus eine christliche Eliteschule. Anmerkung der Redaktion). Die Freiheit, zu denken und zu schreiben, hier mit Ihnen zu sitzen und zu sprechen, ohne Angst, dass mich jemand anzeigt, ist nicht selbstverständlich! In Deutschland, Frankreich, der Schweiz etc. ja, aber nicht überall. Die zweite positive Seite ist, dass ich hier mein Leben in Frieden und Sicherheit einrichten konnte. Das bildhafte Sitzen auf dem Koffer ist verschwunden. Dennoch gibt es immer noch negative Elemente in meiner Seele. So hatte ich beispielsweise Angst, als Anfang der 1990er Jahre in Ostdeutschland Asylantenheime in Brand gesetzt wurden. Aber die Demokratie hat gezeigt, dass sie stärker ist.

Sie haben auch über die negativen Seiten Ihres Exils gesprochen. Was waren die unerfreulichen Aspekte?

Dass ich meine Mutter nicht mehr sehen durfte, dass ich meine Mutter nicht beerdigen durfte. Das sind Verletzungen! Ich hätte dem Land nicht geschadet, wenn ich meine Mutter hätte beerdigen dürfen. Aber die Diktatur ist rachsüchtig gegen ihre Gegner. So sadistisch ist das Regime. Das hat mich sehr verletzt! Wie auch manch idiotischer Nahost-Experte, der in mir einen Gegner sieht. Ich bin Gast in seinem Land und habe ihm nichts getan! Ich greife das Regime in Syrien an, weder den Islam noch die arabische Kultur, wie einer  dieser selbsternannten „Experten“ unterstellt. Das schmerzt! Und ich frage mich: Was sind das für Deutsche, die sich freiwillig in den Dienst eines Diktators stellen und so ungastlich werden?

Sie haben auch von dem Kulturschock berichtet, den Sie in Deutschland anfangs erlebt haben – allerdings im umgekehrten Sinn…

… ja, das war in Heidelberg. Ich wohnte damals im Collegium Academicum. Je mehr ich Deutsch sprechen und verstehen konnte, umso enttäuschter war ich. Ich will nicht angeben, aber jeder syrische Intellektuelle kennt die französischen, amerikanischen, russischen oder deutschen Erzähler, vor allem die deutsche Philosophie, aber auch die klassische Musik. Und in Deutschland fragte ich einen Experten über Adorno, ob er Al Razi, Ibn Ruschd oder Ibn Chaldun kenne. Und er verneinte. Ibn Chaldun ist der erste moderne Universal-Historiker der Welt! Ich fragte, kennst du diesen Musiker, diese Sängerin? Er sagte wieder „Nein“. Schriftsteller? Fehlanzeige! Geschichte? Keine Ahnung! Ich fragte mich, wo bin ich hingeraten? Die wussten nicht einmal, wo Syrien liegt oder dass Syrien nicht gleich Libyen ist. Nicht einmal, dass die Christen in den arabischen Ländern Urchristen sind. Das war damals ein Schock für mich.

Sie leben seit über 40 Jahren im Exil. Seit dieser langen Zeit vergeht kein Tag, an dem Sie nicht an Ihre Heimatstadt Damaskus denken. Wie halten Sie diese Sehnsucht aus?

Indem ich darüber schreibe. Das Schlimme ist: Nach dem Schreiben ist die Sehnsucht noch größer. Ich schließe die Buchdeckel und denke: „Was für eine schöne Stadt!“

 Das Gespräch führte Kerstin Theilmann

 Das komplette Interview mit Rafik Schami erscheint in der kommenden NeuLand-Ausgabe (April 2015).

2012 hat Rafik Schami mit Freunden den Verein Schams e.V. zur Förderung und Unterstützung von syrischen Kindern und Jugendlichen in Flüchtlingslagern gegründet. Im Libanon werden sie betreut und in Zeltschulen geschickt. In Beirut betreibt der Verein einen Kindergarten. Weitere Informationen zum Verein und zu Spendenmöglichkeiten unter www.schams.org.