In der Kolumne schreiben unsere Campus-Reporter, allesamt Studierende in Koblenz und Landau, unplugged aus ihrem Alltag. Esther Guretzke berichtet von ihren Bedenken, die Plattform Couchsurfing auszuprobieren und warum es eine gute Idee war, diese über Bord zu werden.
Mein Mann und ich lieben das Reisen. Weil das leider ein teures Hobby ist, meldete ich mich vor einigen Wochen auf der Plattform Couchsurfing an. Jahre zuvor hatte ich davon gehört, mich aber nicht getraut, es auszuprobieren: Man kann doch keine wildfremden Menschen auf seinem Sofa übernachten lassen, oder?
Über den eigenen Schatten springen
Doch, kann man. Man muss sich nur trauen. Ich füllte mein Profil aus und bekam schon bald Anfragen. Koblenz scheint ein beliebtes Ziel für Weltenbummler in Deutschland zu sein. Unsere erste Erfahrung war dann jedoch alles andere als geplant. Eines Abends erreichte mich um 23 Uhr eine Mail: “Hallo Esther, mein Kumpel und ich reisen per Anhalter durch Deutschland und sind sehr spontan und spät nach Koblenz gekommen. Daher stecken wir in einer etwas schwierigen Situation und suchen für heute Abend eine Bleibe.” Draußen regnete es und in meinem Kopf spielten sich allerlei Krimigeschichten ab. Vorsorglich bat ich meinen Nachbarn am Morgen nach uns zu sehen und meinen Mann, das Schloss unserer Schlafzimmertür zu reparieren. Dann sagten wir Kevin und Tony zu. Als es klingelte, waren wir sehr nervös. Wir ahnten nicht, dass wir nicht nur unsere Haustür, sondern auch unsere Herzen öffnen würden. Wir verstanden uns so gut mit unseren zwei Gästen, dass sie sogar einen Tag länger blieben als geplant.
Politik, Kultur und Religion
Was mir diese erste Erfahrung und auch die darauf folgenden Erfahrungen gezeigt haben: Man bietet nicht nur anderen Menschen und sich selbst die Möglichkeit, kostenfrei in einer anderen Stadt zu übernachten, sondern auch, die Leute und den Ort kennenzulernen. Noch nie habe ich mich so viel über Koblenz informiert, wie zu Beginn unserer Couchsurfing-Reise. Welche Sehenswürdigkeiten können die Besucher sich ansehen, welche Cafés sollten sie besuchen und welche Restaurants besser meiden? Den eigenen Wohnort so aufs Neue zu erkunden, ist spannend. Die Abende waren bis jetzt immer ein gemütliches Beisammensein, die Gespräche meist tiefgründig. Die Themen drehten sich um politische Debatten, kulturelle Vielfalt und Gott und die Welt. Und die ruhigsten Gäste waren oft diejenigen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.
Die Reise des Lebens
Es ist bereichernd, neue Personen, Kulturen und Ansichten kennenzulernen. Dabei ist es nicht einmal wichtig, der gleichen Meinung zu sein. Man wagt den berühmten Blick über den Tellerrand. Für mich war es wichtig, diesen Schritt zu gehen, denn dadurch habe ich erkannt, dass es noch mehr Menschen gibt wie mich: Pure Idealisten, die daran glauben möchten, dass die Menschen grundlegend Gutes tun wollen. Denn fremde Menschen sind nicht automatisch schlechte Menschen.
Über die Plattform lernt man viele neue Menschen innerhalb kürzerer Zeit kennen. Der anfängliche Smalltalk greift tiefer und zumindest mein Mann und ich haben begonnen, uns selbst zu reflektieren und zu fragen: Was möchte ich diesen Reisenden von mir mit auf ihren Weg mitgeben? Und damit meine ich nichts Materielles. Nein, die Fragen, die wir uns dank der Begegnungen über Couchsurfing stellen, sind: Was sind meine Prinzipen? Was ist mir persönlich wichtig? Was ist mein Sinn des Lebens? Wer bin ich? Das ist die intensivste und aufregendste Reise von allen.