Schon als Kind rezitierte die Ukrainerin Dariia Orobchuk in der Schule das Gedicht über die Loreley. Ihre Leidenschaft für die deutsche Sprache führte sie bis an Rhein und Mosel: Heute promoviert Orobchuck am Institut für Germanistik der Universität Koblenz-Landau.
Ihre osteuropäische Herkunft merkt man Dariia Orobchuk im Gespräch an, der Akzent ist nicht zu leugnen. Aus ihrer Heimat macht die 28-Jährige kein Geheimnis, sie ist ein weltoffener Mensch: „Ich habe mich schon früh für andere Kulturen und Sprachen interessiert“, erzählt Orobchuk. Nach der Schule entschied sie sich, Germanistik zu studieren und unterrichtete anschließend vier Jahre lang Deutsch an einer Universität in der Ukraine. Zudem begann sie, für ein Sprachlernzentrum des Goethe-Instituts zu arbeiten, dessen Aufgabe es ist, die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Welt zu pflegen.
Promotion in Deutschland
Seit Oktober 2015 lebt Orobchuk in Koblenz und promoviert in Sprachwissenschaft zum Thema Metaphern in Wissenschaftsfilmen bei Doktorvater Prof. Dr. Wolf-Andreas Liebert. Zusätzlich ist sie Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung. Als sie den Entschluss fasste, zu promovieren, lag es nah, das in Deutschland zu versuchen. Auf Koblenz kam sie über wissenschaftliche Fachliteratur: „Ich hab viel gelesen, darunter auch Aufsätze von Prof. Dr. Liebert. Mir gefielen seine Aufsätze und ich wollte gerne bei ihm promovieren“, erinnert sich Orobchuk. Sie fasste sich ein Herz, schickte dem Koblenzer Professor ein Exposé und bekam eine Zusage. Der Umzug ließ nicht mehr lange auf sich warten, eine ihrer neuen Kolleginnen vermittelte ihr ein WG-Zimmer in der Vorstadt.
Mit Koblenz hat sich Orobchuk vor ihrer Ankunft nur wenig beschäftigt, doch schnell hatten es ihr die Stadt und besonders der Rhein angetan. In der Schule hatte sie bei einem Abend der deutschen Sprache einmal das Loreley-Gedicht rezitiert: „Seitdem ist der Rhein für mich ein besonderer Ort. In diesem Gedicht ist er stark aufgeladen, ein Mythos. Und auf einmal lebe ich hier.“ Auch sonst hat sie in Koblenz schnell Fuß gefasst: „Für das Studium ist die Stadt perfekt. Man ist schnell vernetzt und kommt mit dem Fahrrad überall hin.“ Besonders die Freundlichkeit der Leute fällt ihr positiv auf: „Das liegt an der Stadtgröße. Je kleiner eine Stadt ist, desto vertrauter sind die Menschen.“ Auch ihre Begeisterung für Kultur kann die junge Ukrainerin in ihrer neuen Wahlheimat ausleben: „Es gibt jeden Monat ein Studierendenangebot vom Theater. Da gehe ich oft mit Freunden hin und anschließend in die Kneipe, um darüber zu diskutieren. Das ist fast schon ein Ritual“, verrät Orobchuk.
Neben dem Theater und der Promotion ist ihr vor allem ehrenamtliches Engagement wichtig: Für die Caritas hat Orobchuk Flüchtlinge aus Syrien und Somalia mit Deutschunterricht und bei der Suche nach einer Wohnung unterstützt. Aktuell hilft Orobchuck einer Familie aus Aserbaidschan beim Deutschlernen. Zudem ist sie im Organisationsteam des Senkrechtstarter-Projekts der Konrad-Adenauer-Stiftung, das Schüler mit Migrationshintergrund und aus Nicht-Akademiker-Familien fördert, um ihnen den Weg an die Hochschulen zu ebnen. Von den Mitarbeitern des Mentorenprojekts GeKOS bekam sie eine Flüchtlingsfamilie vermittelt, deren vier Kinder sie ebenfalls betreute. Für ihren Einsatz wurde Orobchuck vor kurzem mit dem DAAD-Preis des Auswärtigen Amtes für hervorragende Leistungen ausländischer Studierender in Deutschland ausgezeichnet. Der Preis wird an der Universität Koblenz-Landau jährlich für besondere wissenschaftliche Leistungen und ein hervorragendes gesellschaftliches Engagement an internationale Studierende oder Doktoranden vergeben.
Wurzeln in der Ukraine
Einen großen Kulturschock hat Orobchuk nach ihrem Umzug nach Deutschland nicht erlebt, war sie doch durch ihr Studium halbwegs vorbereitet. Über die Ukraine zu reden, ist ihr ein besonderes Anliegen: „Gespräche über Politik sind wichtig. Es ist immer gut, einen zweiten Blickwinkel zur Medienberichterstattung zu bekommen“, ist sich Orobchuk sicher. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf auf dem Land. „Wir hatten einen Bauernhof, dementsprechend wusste ich früh, wie man sich um Tiere kümmert oder Kartoffeln pflanzt.“ Sie berichtet von einer behüteten Kindheit, fernab von Technologie und Großstadthektik. Der Glaube spielt für die Leute in ihrem Heimatdorf eine wichtige Rolle: „Wenn man sonntags nicht in der Kirche war, dann fragen die Nachbarn auch mal nach“, sagt Orobchuk und schmunzelt.
Weihnachten findet in der Ukraine am 7. Januar statt, ganz ohne Geschenke. Stattdessen werden zwölf Gerichte gekocht, die für die zwölf Monate stehen. „Ich vermisse das ukrainische Essen schon“, gesteht sie. „Es gibt dort keine Supermarktkultur, dafür aber viele Märkte und Bauern. An den Ecken stehen alte Frauen und verkaufen Gemüse aus dem heimischen Garten.“ In der Ukraine hat es eine besondere Bedeutung, Gastgeber zu sein: „Dann kocht man die gesamte Nacht davor jede Menge Gerichte, um eine möglichst große Auswahl zu bieten. Der Gast muss selbstverständlich alles probieren, worauf auch geachtet und was auch angemahnt wird.“
Im Ausland neue Farben kennenlernen
Was der 28-Jährigen nicht fehlt, sind Fragen nach ihrem Familienstand. In ihrer Heimat ist es üblich, keine ‘Lücken’ im Lebenslauf zu haben. Dementsprechend sind die meisten mit 22 Jahren fertig mit der Ausbildung und gründen spätestens mit 25 eine Familie: „Ich werde oft nach Hochzeit oder Nachwuchs gefragt. In meinem Dorf finden die Leute das komisch, dass ich immer noch studiere“, verrät Orobchuk. „In Deutschland sieht man das zum Glück entspannter.“
Für die junge Frau ist klar, dass die Zeit in Deutschland sie zu einem anderen Menschen macht. Passend zu ihrem Promotionsthema findet sie dafür eine Metapher: „Kennt man nur seine Heimat, dann sieht man die Welt in einer Farbe. Lebt man dann eine Zeitlang woanders, kommen neue Farben hinzu und vermischen sich.“ Ihre Zukunft sieht Orobchuck im akademischen oder interkulturellen Zweig. Auf jeden Fall möchte sie noch mehr von Europa sehen und an neuen Orten leben und arbeiten, bevor sie irgendwann in ihre Heimat zurückkehrt.
Felix Bartsch