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Urban Exploration: Morbide Faszination für verlassene Orte

Seit fünf Jahren hält die Wahlpfälzerin Vivien Räbiger in ihren Fotos die Schönheit verlassener Orte fest. Foto: Philipp Sittinger

Seit fünf Jahren hält die Wahlpfälzerin Vivien Räbiger in ihren Fotos die Schönheit verlassener Orte fest. Foto: Philipp Sittinger

Vor sieben Jahren zog Vivien Räbiger für ihr Lehramtsstudium von Berlin nach Landau. Nach dem Bachelor hat sie sich als selbständige Fotografin auf Hochzeiten spezialisiert, privat fotografiert sie sehr gern verlassene Orte mit morbidem Charme. Im Interview erzählt sie von ihrer Begeisterung für diese Lost Places und gibt einen Einblick in die Faszination von Urban Exploration.

Wie sind Sie zum Fotografieren gekommen?

Ich habe schon mit 16 fotografiert. Damals habe ich mir Kameras von Freunden ausgeliehen, da ich keine eigene hatte. Ich komme ursprünglich aus Berlin und habe dort viel Streetfotografie in der Stadt gemacht oder Freunde und Architektur fotografiert. Irgendwann haben mir Motive gefehlt und ich habe die Kamera erst einmal bei Seite gelegt. Vor etwa vier Jahren hat mich ein Freund in eine verlassene Papierfabrik mitgenommen. Die Atmosphäre dort, diese Ruhe und die Natur haben mich so beeindruckt, dass ich mir eine neue Kompaktkamera zugelegt und das Fotografieren wieder aufgenommen habe. Ich fing an, speziell nach solchen vergessenen Orten zu suchen und im Laufe der Zeit kamen andere Motive dazu. Es hat noch drei weitere Jahre gedauert, bis ich mir eine gute Spiegelreflex geleistet habe. Inzwischen habe ich aufgerüstet und besitze eine Vollformatkamera, da ich gerade als Hochzeitsfotografin qualitativ hochwertige Fotos machen muss und mit dem Standard mithalten möchte.

Was versteht man unter Urban Exploration?

Urban Exploration ist die Lust und Leidenschaft, verlassene, vergessene Objekte, Gebäude oder Orte zu suchen und sie mit Fotos für die Ewigkeit festzuhalten. Wobei der Ausdruck in erster Linie das Entdecken dieser Plätze bezeichnet. Jene, die nur auf Entdeckungstour sind, verpönen oft alle Fotografen, die daraus Kunst machen. Mancher Fotograf möchte wirklich nur schnell den besten Schuss bekommen, aber ich finde beides interessant. Manchmal fahre ich für ein einziges schönes Motiv los und lasse mir dann viel Zeit. Ich kann die Kamera aber auch in der Tasche lassen und mir einfach das Gebäude anschauen. Da gibt es so viel zu sehen: Alte Dokumente, Spuren der Zeit oder Zweifachtapete übereinander, die erahnen lässt, was mit diesem Raum alles schon passiert ist.

Wie finden Sie diese Plätze?

Am Anfang muss man viel recherchieren und die Augen offen halten. Das kann manchmal einfacher sein, als es klingt. Wenn ich weiß, ich fahre nach Köln, dann gebe ich bei Google einfach „verlassene Orte Köln“ ein. Im Ausland helfen Stichworte wie abandoned places oder Urbex für Urban Exploration in Kombination mit der Stadt und schon findet man viele Beiträge.

Alt, verstaubt und doch stimmungsvoll: Mit ihrer Kamera fängt die Fotografin den besonderen Charme dieses verlassenen Hauses in Belgien ein. Fotos: Vivien Räbinger

Alt, verstaubt und doch stimmungsvoll: Mit ihrer Kamera fängt die Fotografin den besonderen Charme dieses verlassenen Hauses in Belgien ein. Fotos: Vivien Räbiger

Wenn man etwas neu entdecken will, muss man mit wachem Blick durch die Gegend fahren. Es hilft, wenn man sich mit den geschichtlichen Gegebenheiten der jeweiligen Umgebung auskennt: In Pirmasens war früher die Schuhproduktion ganz groß. Wenn man so etwas weiß, kann man recherchieren, wie die Fabriken hießen, wo die Besitzer gewohnt haben und was mit den Häusern passiert ist. In Österreich gab es viele Kurorte, deren Hotels seit der Wende leer stehen. Im Osten findet man verlassene russische Militärkasernen, im Ruhrpott gibt es viele alte Stahlwerke und Zechen und in der Nähe von Landau befinden sich amerikanische Raketen-Teststationen.

Sehen Sie in allem ein Fotomotiv?

Das passiert oft, aber ich kann das auch gut ausblenden und selektiere sehr stark. Was verlassene Gebäude angeht, habe ich einen Riecher. Ich fahre durch die Städte und checke sehr schnell, ob ein Objekt interessant sein könnte oder nicht. Ich finde es immer toll, wenn ich durch Straßen laufe und diesen modrigen Geruch wahrnehme. Ich mag diesen natürlichen Verfall und die Geschichten, die die Gebäude erzählen. Mit meinen Fotos versuche ich, Gefühle auszulösen und die Stimmung so rüber zu bringen, wie ich sie vor Ort empfunden habe.

Welche spannenden verlassenen Orte haben Sie in Landau gefunden?

Ich  habe auf dem Gelände der Landesgartenschau in ein paar verlassenen Hallen fotografiert, inzwischen ist da aber vieles zum Wohngebiet umgebaut. Ich mag ohnehin eher die Plätze, die nur wenige Menschen kennen und die nicht so offen zugänglich sind. Generell gefällt mir in der Pfalz die Natur. Im Gegensatz zum hektischen, wilden Berlin mag ich diese Ruhe hier. Ich fahre auch gerne alleine in den Urlaub und schlafe dann in einem verlassenen Hotel, da ich mir vorgenommen habe, kein Geld mehr für Übernachtungen auszugeben. Ich muss aber sagen, dass ich mich in Landau sehr zurück halte, da ich hier wohne und nicht mit der Polizei in Konflikt kommen möchte. Es gibt schon reizvolle Orte in der Umgebung, grundsätzlich verrät man die Objekte und Adressen aber nicht.

Warum gibt man die Orte nicht preis?

Um sie zu schützen. Wenn so ein Objekt einmal im Umlauf ist, dann fällt es ganz schnell dem Vandalismus zum Opfer, das ist wirklich traurig. Ich habe zum Beispiel in einem verlassenen Schloss in Frankreich fotografiert. Je bekannter es wurde, desto stärker hat die Zerstörung zugenommen, seien es kaputte Wandspiegel, zersplitterte Glasdächer, besprayte Wände oder geklaute Möbel. Der Besitzer kommt mit der Sicherung des Objekts gar nicht hinterher. Ich selbst gehe in kein Gebäude, das nicht schon offen ist, ich würde da niemals etwas kaputt machen. Es gibt da so ein schönes Motto: „Lass nichts da außer Fußabdrücke und nimm nichts mit außer Fotos.“

Inwiefern spielt das Gesetz bei der Urban Exploration eine Rolle?

Es ist immer Hausfriedensbruch und damit eine Straftat. Obwohl die Orte verlassen und leer stehend sind, ist es ja nicht das Eigentum des Fotografen. Manchmal sind in den Wohnungen noch Fotos und Dokumente wie Geburtsurkunden zu finden. In verlassenen Krankenhäusern und Arztpraxen findet man ganz oft Patientendaten und da ist die Polizei schon dahinter. Da oftmals aber kein Besitzer mehr ausfindig gemacht werden kann, droht auch nur selten eine Anzeige. Ich war an über 300 Orten und bin bisher zwei, drei Mal von der Polizei mit einer mündlichen Verwarnung rausgeholt worden.

Welche Orte möchten Sie unbedingt noch fotografieren?

Da gibt es zum Beispiel ein leer stehendes Casino in Bulgarien und ein verlassenes Schloss in Italien. Das Castle Samezzano hat 365 Räume und jeder Raum sieht anders aus. In Fotografen-Kreisen nennet man es  “Non plus ultra”, weil es eben genau das ist. Dieses architektonische Wunder macht mich wirklich sprachlos. Es ist aber nicht ganz einfach, dort hinein zu kommen.

Wie organisieren Sie Ihre Fototouren?

Das kommt ganz auf die Entfernung an. In Belgien bin ich öfter mal für einen Tagestrip, weil es nicht so weit weg ist. Meistens mache ich Wochenendtouren, gehe aber auch auf Fotoreisen. Vergangenes Jahr war ich mit zwei Freunden in Italien, die auch verlassene Orte fotografieren. Innerhalb von zehn Tagen haben wir 60 Orte angefahren, in 40 Objekte sind wir rein gekommen. Die Tage begannen mit Sonnenaufgang und endeten mit Sonnenuntergang: Man steht um 3 Uhr auf, damit man ab 4 Uhr im ersten Haus schon Fotos im frühen Morgenlicht machen kann. Besonders mag ich die blaue Stunde am Abend. Nach dem letzten Objekt fällt man ins Bett und weiß schon gar nicht mehr, was man alles erlebt hat.

An der Westseite des Gardasees, zwischen Riva und Limone, hat Räbinger ein leer stehendes Restaurant entdeckt. Der Zugang ist nur durch einen schmalen Tunnel entlang der Seestraße möglich.

An der Westseite des Gardasees, zwischen Riva und Limone, hat Räbiger ein leer stehendes Restaurant entdeckt. Der Zugang ist nur durch einen schmalen Tunnel entlang der Seestraße möglich.

Grundsätzlich empfehle ich jedem, nicht alleine zu gehen. Bei dem Hobby sind schon Leute umgekommen, weil es sich meistens um einsturzgefährdete Gebäude handelt. Ich bin zweimal böse gestürzt und hatte Glück, dass jemand bei mir war.

Wie haben Sie den Weg in die Selbständigkeit gefunden?

Ich habe Mathe und Deutsch auf Grundschullehramt studiert, arbeite seit meinem Bachelorabschluss aber als Lehrerin an der Volkshochschule und gebe dort Deutschkurse für Ausländer. Die Fotografie war lange Zeit meine private Leidenschaft. Vergangenes Jahr hat mich eine Freundin gefragt, ob ich ihre Hochzeit fotografieren kann. Ich hatte großen Respekt davor, denn anders als bei den Lost Places handelt es sich bei der Hochzeitsfotografie um Momente, auf die man schnell reagieren muss. An stillen Orten kann ich mir Zeit nehmen, es kritisiert mich niemand und ich stehe nicht im Mittelpunkt. Da meine Freundin von ihrer kirchlichen Hochzeit aber schon gute Fotos hatte, habe ich die Chance doch genutzt, mich auszuprobieren und die Bilder wurden super. Das hat mich motiviert und von einem ihrer Gäste bekam ich direkt den Folgeauftrag. Inzwischen habe ich mich als Fotografin selbständig gemacht und in diesem Jahr acht Hochzeiten begleitet. Im Sommer fotografiere ich überwiegend Hochzeiten, im Winter kann ich mehr unterrichten und auf Reisen gehen. Das Referendariat möchte ich eigentlich nicht mehr machen, da ich sonst die Fotografie für eineinhalb Jahre aufgeben müsste.

Wie sehen Ihre Pläne aus?

Ich habe gerade im Marock in Landau ausgestellt und wurde jetzt vom Kunstverein Landau angefragt, ob ich nächstes Jahr zu einer Ausstellung zum Thema Industrialisierung etwas beitragen kann. Dafür soll ich Industrieruinen hier in der Region ablichten, zum Beispiel eine Streichholzfabrik. Außerdem habe ich vor kurzem einen Kalender für das Jahr 2018 rausgebracht, den man bei mir bestellen kann. Bis zum 9. Dezember bin ich noch erreichbar, danach gehe ich wieder auf Reisen.

Haben Sie einen Profi-Tipp für alle Hobbyfotografen?

Einfach machen, üben, den Computer ausschalten und mehr rausgehen, auch gerade dann, wenn es geregnet hat. Allein seine Umwelt aufmerksam zu betrachten, schult das Auge. Ich bin damals auch mit anderen Fotografen mitgegangen und habe zugeschaut. Natürlich habe ich auch Workshops besucht, aber was Qualität, Kamera-Equipment und Bildbearbeitung angeht, kann man sich viel selbst aneignen. Das wichtigste ist: Auch mit einer kleinen Kompaktkamera kann man gute Bilder machen, wenn man einen Blick für Motive, Details und Bildaufbau hat. Nicht die Kamera macht den Fotografen, sondern der Mensch hinter der Kamera zählt.

Nina Seel

Dieses Interview ist ein Beitrag zur Blogparade von Petra Hirsch vom “Maximilians” in Landau. Vom 1. bis zum 24. Dezember öffnen 24 Blogger täglich ein Türchen im Pfälzer-Blog-Adventskalender für Sie. Klicken Sie auf diesen Link, um zu allen Beiträgen zu gelangen.

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