Über Trauer zu sprechen, ist für viele noch immer ein Tabu. In einem Lehrforschungsprojekt setzten sich drei Studierende mit diesem emotionalen Thema auseinander und holten die Wanderausstellung Trauertattoo – unsere Haut als Gefühlslandschaft an den Campus Koblenz.
Schwarze Tinte, die Nadel der Tätowierpistole, ein Schmerz, der unter die Haut geht und dort als Bild verweilt. ‚Jacob‘ steht umrahmt von Flügeln auf der Schulter einer Trauernden. Eine andere trägt das Bild eines verstorbenen geliebten Menschens auf dem Arm. Bei einem dritten Hinterbliebenen symbolisiert eine tätowierte Sanduhr die Vergänglichkeit des Lebens. „Tattoos sind eine Möglichkeit, Trauer bewusst nach außen zu tragen. Viele Trauernde sagen, dass der Verlust eines Menschen eine Wunde hinterlässt. Wunden können heilen, aber Narben bleiben. Trauer ist unsichtbar, aber Tattoos sind wie sichtbare Narben“, erklärt Vanessa Oborovski. Gemeinsam mit ihren Kommilitonen Katja Savcenko und René Kosak setzte sie sich in dem zweisemestrigen Lehrforschungsprojekt Trauerbegleitung am Arbeitsplatz von Dr. Ursula Engelfried-Rave thematisch und methodisch mit dem Forschungsgebiet der Trauer auseinander.
Trauerbegleitung inspiriert zu Ausstellung
„Zu Beginn des Lehrforschungsprojekts starteten wir mit einem Intensivwochenende außerhalb der Universität, in dem die eigenen Trauererfahrungen Thema waren. In den Semesterferien wurden Interviews geführt, vorwiegend mit ehrenamtlichen und professionellen Kräften wie Bestattern, Seelsorgern oder Hebammen. Natürlich bestand zunächst auch bei den Studierenden eine gewisse Scheu, an das Thema Trauer heranzugehen. Viele haben selbst schon Trauererfahrungen gemacht“, erzählt Engelfried-Rave. Im Kontext des Lehrforschungsprojekts erfuhr sie über eine Studierende von der Ausstellung TrauerTattoo – unsere Haut als Gefühlslandschaft und nahm mit der Fotografin Stefanie Oeft-Geffarth und der Initiatorin der Ausstellung, Katrin Hartig, Kontakt auf. „Ich habe 14 Jahre ehrenamtlich als Trauerbegleitung verwaister Eltern und trauernder Geschwister gearbeitet. In Einzelgesprächen, aber auch in den Gruppentreffen fielen mir im Laufe der Zeit immer mehr Frauen um die 50 Jahre auf, die sich ein Tattoo stechen ließen. Dies geschah ganz milieu- und klientelunabhängig. Eher noch hatten einige der Personen vorher nichts mit Tattoos zu tun“, erzählt Hartig.
Es packte sie der Drang, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Sie startete einen deutschlandweiten Aufruf, um Interviewpartner zu akquirieren, die über ihre Trauer und die damit verbundenen Tattoos sprechen. Der Rücklauf: 200 Antworten von Menschen zwischen 16 und 70 Jahren. „Trauertattoos sind kein Einzelschicksal“, weiß Hartig heute. Die Hallenser Fotografin Oeft-Geffarth hielt das Projekt bildlich fest. „Der Ort der Trauer ist schon lange nicht mehr der Friedhof. Vielmehr sind es Orte oder Gegenstände, die die Trauerenden am meisten mit dem Verstorbenen verbinden. Durch Bilder sollten die Besucher einen Zugang zu dem noch immer tabuisierenden Thema Trauer erhalten,“ fügt Hartig hinzu. Die Wanderausstellung TrauerTattoo – unsere Haut als Gefühlslandschaft entstand.
Das Thema Trauer aus der Tabuzone holen
Savcenko, Oborovski und Kosak, die den Zwei-Fach-Bachelor der Fächer Soziologie und Psychologie studieren, waren von der Idee fasziniert und holten die Ausstellung von Hartig und Oeft-Geffarth im Rahmen des Lehrforschungsprojekts Trauerbegleitung am Arbeitsplatz an den Campus Koblenz. Den Studierenden ist es ein Anliegen, dass Trauer am Campus Koblenz nicht als Tabuthema behandelt wird. „Wir sollten lernen, viel offener mit unseren Gefühlen umzugehen. Die Ausstellung ist dafür eine gute Plattform. Durch Bilder, Filme und Diskussionsrunden kann ein Austausch stattfinden”, finden die drei.
Neben Aspekten wie Teamarbeit, Zeitmanagement und Organisation lernten die Studierenden ganz nebenbei, wie mach richtig netzwerkt. „Manche Skills haben wir noch nicht selbst entwickelt. Um die Plakate für die Ausstellung zu designen, haben wir uns Hilfe aus dem Informationsmanagement-Studiengang geholt. Nicolas Werle hat wirklich ein großes Dankeschön verdient, da er uns ehrenamtlich bei diesem Projekt unterstützt hat.”
Ausstellungsinitiatorin Hartig war begeistert vom Engagement der Koblenzer Studentengruppe: „Alle zeigten eine große Neugierde und Offenheit“, freut sich Hartig. Sie konnte die Wanderausstellung schon in mehreren Einrichtungen zeigen, unter anderem auch in Bremen, Magdeburg, Saarbrücken und Hamburg. „Leider haben viele Leute noch Vorbehalte und Angst, ganz direkt und offen über Trauer zu sprechen.“
Zum Abschluss des Lehrforschungsprojektes verfassen die Studierenden Forschungsberichte. Savcenko schreibt ihren über Kunst und Trauer: „Die Kopplung beider Bereiche ist eine Alternative, um mit diesem Thema umzugehen. Außerdem sind Tattoos gerade sehr aktuell. Ich bin vom Tätowieren als Kunst beeindruckt, auch wenn ich kein eigenes Tattoo habe, und konnte mir gut vorstellen, dass gerade jüngere Leute dadurch zu Trauer einen neuen Zugang gewinnen“, erklärt sie. Weitere Lehrforschungsprojekte zu Trauer sind geplant, um das Thema aus der Tabuzone zu holen: “Konkret möchte ich ein Lehrforschungsprojekt zum Tattoo als Massenphänomen anbieten und interessierten Studierenden die Möglichkeit geben, dort spezifisch zum Thema TrauerTattoo zu forschen. Im Lehrforschungsprojekt Trauerbegleitung am Arbeitsplatz werde ich zunächst eine kreative Pause einlegen und die erhobenen Daten auswerten. Diese Reflexionsrunde ist wichtig, um Impulse für neue Perspektiven und Ansätze zu bekommen”, verdeutlicht Engelfried-Rave.
Esther Guretzke