Uni-Menschen

Unsere Profs: Jürgen Goldstein

“Philosophie ist ein bisschen wie Jazz-Musik”, sagt Professor Dr. Jürgen Goldstein vom Koblenzer Institut für Philosophie. Im Interview schwärmt er von seiner Studienzeit und erklärt, warum er sich beim Schreiben von Büchern von Bob Dylan inspirieren lässt.

Der Professorenberuf ist mit einigen Klischees behaftet: lange über Büchern brüten, Zerstreutheit, Einsiedlertum, chaotische Tafelbilder… Trifft davon etwas auf Sie zu?

Wenn man Philosophie betreiben will, sollte man die Liebe zum Buch mitbringen. Bei mir ist es schon so, dass ich in Büchern versinken kann und nicht mehr ganz ansprechbar bin. Anderes ist aber eher Klischee. Wenn man die Lehre mit vielen Studierenden bewältigen muss, ist eine gute Vorbereitung die Bedingung für ein gelingendes Seminar. Also ein chaotischer Typ bin ich nicht und auch nicht der weltfremde Philosoph. Wenn man Familie hat, ist man das sowieso nicht.

Wie waren Sie als Student?

In der Serie Unsere Profs sprechen wir mit Professorinnen und Professoren über Forschung, Lehre und Erinnerungen an die eigene Studienzeit.

Mein Studienalltag war viel weniger durchstrukturiert, als es heute durch den Bachelor und den Master der Fall ist. Ich habe zwei Fächer studiert, Philosophie und katholische Theologie. Letzteres beinhaltete viele Prüfungen. Das habe ich als unangenehm empfunden. Die Philosophie hingegen war “unterreguliert”, möchte ich sagen. Dadurch hatte ich sehr viele Freiheiten. Das hatte den Vorteil, bestimmten Dingen auf den Grund gehen zu können. Manchmal habe ich mich ein oder zwei ganze Semester mit einem Buch beschäftigt. Auf die Dauer ist das genau die richtige Art, um ins Philosophieren zu kommen.

Was meinen Sie: Hat sich das heutige Studentenleben im Vergleich zu Ihrer Studienzeit verändert?

Für Geisteswissenschaften finde ich den Modulaufbau von Bachelor und Master ungeeignet. Eigentlich ist das eine Katastrophe. Ich möchte hier die alten Studienformen keineswegs verherrlichen. Damals war sicherlich nicht alles gut. Trotzdem empfinde ich das Studium heute als überreguliert. Die Studierenden erlebe ich unter einem ständigen Zeitdruck und als sehr ökonomisch ausgerichtet. An dieser Stelle fehlen die Freiräume des langsamen Durchdenkens, die man für ein geisteswissenschaftliches Fach braucht. Ich glaube, dass ich an einer heutigen Universität nicht zu dem geworden wäre, was ich durch die alte Universität letztlich geworden bin.

Was begeistert Sie an Ihrem Fachgebiet?

Philosophie ist das Beste (lacht). Was mich daran reizt ist, dass ich dadurch eine geisteswissenschaftliche Grundausbildung habe, also eine bestimmte Art zu reflektieren, zu argumentieren, eine bestimmte Sprache zu benutzen und auf eine bestimmte Art zu denken. Auf der anderen Seite ist die Philosophie glücklicherweise so themenoffen. Als ausgebildeter Philosoph kann ich mich auf Themen einlassen, die gar nicht genuin philosophisch sind. Ich kann über die Farbe Blau schreiben, ich kann über den Weltreisenden Georg Forster schreiben. Das alles mache ich stets als Philosoph, ohne dass ich dabei einen rein philosophischen Text produzieren muss. Philosophie ist ein bisschen wie Jazz-Musik. Jazz hat keine Mühe, alle möglichen Stilformen zu integrieren und bleibt doch immer Jazz, ohne dass man genau sagen könnte, was diese Musikrichtung eigentlich ist.

Wann haben Sie gemerkt, dass der Weg in die Wissenschaft das Richtige für Sie ist? Gab es Alternativen zur Professorenlaufbahn für Sie?

Ich habe recht früh – schon in den ersten Semestern meines Studiums – für mich erkannt, dass Philosophie nicht “nur” eine Wissenschaft ist, sondern eine Lebensform. Das hat mich ungemein angesprochen. Dass mich dann aber der Weg bis zu einer Philosophieprofessur geführt hat, war nicht abzusehen. Nein, wirkliche Alternativen gab es nicht, ich kann kaum etwas anderes als Philosophie, bin also arbeitsmarkttechnisch gesehen “schwer vermittelbar”. Im nächsten Leben werde ich Musiker. In diesem Leben bin ich mit der Philosophie, der Forschung, der Lehre und dem Schreiben von Büchern vollauf zufrieden.

Musik spielt in Ihrem Leben eine wichtige Rolle.

Ich höre Musik seit meiner Jugend. Beim Hören von Musik habe ich immer noch einen unmittelbaren Zugang zu dieser Art von Jugendlichkeit. Das ist also irgendwie so ein lebensweltlicher roter Faden, den ich sehr genieße, weil ich beim Kauf von Platten oder beim Musikhören ganz bei der Sache bin. Es ist eine Welt für sich, eine Faszination, die ich gar nicht erklären kann und auch gar nicht erklären will. Musik gehört einfach zu meinem Leben, sie ist wie ein Soundtrack des Lebens. Es gibt bestimmte Figuren in der Musik, die mich mehr ansprechen als andere. Dazu gehört vor allem Bob Dylan. Zum einen sind seine Werke eine wunderbare Verschmelzung von Musikalität und Text. Dylan ist einer, der in mir Bereiche berühren kann, die andere nicht berühren. Dylan hat mich in keiner Lebenssituation, egal wie sie war, jemals verlassen. Zum anderen interessiert mich eben auch, wie die Künstler Musik machen. Das kann man bei Dylan gut beobachten. Er ist ein Musiker, der der Musik nicht im Weg steht, auf Intuition vertraut und Spontanität kreiert. Da versuche ich für meinen Teil des Philosophierens und Schreibens etwas abzulauschen. Für das Schreiben eines Texts oder eines Buches muss ich natürlich gut vorbereitet sein, aber wo das Ganze hingeht, habe ich letztlich nicht in der Hand. Ich darf dann dem Buch nicht im Weg stehen, sondern muss es von selbst kommen lassen. So sollte jedes Buch im besten Falle auch einen eigenen Sound haben, so wie jedes Album einen Sound hat. Der Klang der Sprache, die Reihung der Sätze, jenseits aller Notwendigkeiten des Argumentierens und des Aufstellens von Thesen, ist etwas, was einer ähnlichen Ästhetik folgt wie die Frage, warum ein Dylan-Song gut funktioniert. Trotzdem bleibt es am Ende dabei: Über Rock ‘n’ Roll wird nicht diskutiert!

Was gefällt Ihnen an der Arbeit an der Universität?

Was für mich das universitäre Leben – neben der Forschung – ausmacht, sind gelingende Veranstaltungen. Seminare und Vorlesungen sind für mich eigentlich der Kern der Universität. Strukturen sind wichtig, Verwaltung auch, ebenso Studienverläufe. Aber viel wichtiger ist das Zusammentreffen von Köpfen, von Lehrenden und Lernenden. Die Dynamik, die in einem gelingenden Seminar frei werden kann, dieser Funkenflug der Vernunft ist unglaublich belebend, auch für mich. Den Umgang mit den Kollegen schätze ich ebenfalls sehr, weil es sehr interessante Köpfe gibt. Mangels Zeit kommt der Austausch allerdings häufig zu kurz. Was mich an der Universität also wirklich reizt, sind die Menschen, denen ich dort begegne, alles andere ist zweitrangig.

Welches Buch oder Paper liegt gerade ganz oben auf Ihrem Schreibtisch?

Es liegen immer mindestens zwei Sachen auf dem Schreibtisch. Im Augenblick lese ich – abgesehen von Seminarvorbereitungen – ausschließlich Texte von und über Hans Blumenberg. Zum dritten Mal studiere ich jetzt seine unveröffentlichte Habilitationsschrift von 1950 und meine, sie inzwischen auch zu verstehen. Ich habe aber immer mindestens eine alternative Lektüre, die ich mir abends gönne. Aktuell ist es die Autobiographie von Hannes Wader.

Gab es ein Ereignis oder eine Person, das oder die Ihren akademischen Werdegang geprägt hat?

Ja, zwei: Der maßgeblichste Einfluss, der bis heute nachstrahlt, ist der von Hans Blumenberg. Ich bin nach Münster gekommen und habe angefangen, bei ihm zu studieren. In seinen Vorlesungen war mir relativ schnell klar, dass seine Philosophie und die Art des Philosophierens mein Ding sind. Außerdem hat mich Johann Baptist Metz, bei dem ich Katholische Theologie studiert habe, geprägt. Eines seiner größten Verdienste ist es, in mir eine tiefe Erschütterung über Auschwitz ausgelöst zu haben. Das hat die Schule nicht geschafft, obwohl wir bestimmt dreimal den Nationalsozialismus durchgenommen haben. Erst bei Metz habe ich verstanden, was es bedeutet, von diesen Katastrophen bis ins Mark getroffen zu werden. Das verdient meinen größten Respekt. Ganz unabhängig davon, dass ich weder Theologe noch Christ bin. Die Geschichte der Theologie gehört zu unserer abendländischen Herkunft. Das fand ich ungemein spannend, und die Kenntnisse aus der Theologie helfen mir bis heute, als Philosoph geistesgeschichtliche Zusammenhänge unserer Tradition besser zu verstehen.

Welche Dinge mögen Sie fernab des wissenschaftlichen Alltags? Was unternehmen Sie als Ausgleich zur Denkarbeit an der Uni?

Zum einen habe ich Familie, was ein wunderbarer Ausgleich ist. Ich habe einen inzwischen erwachsenen Sohn, und solange der noch klein war, war das von selbst eine andere Lebenswelt. Wenn man nach Hause kam, ging es darum, Spielzeug zu reparieren und keine Bücher zu lesen. Ich reise sehr gerne mit meiner Frau und manchmal mit, manchmal ohne Sohn. Außerdem haben wir einen Garten, und Gartenarbeit ist genauso wie Wandern eine wunderbare Entspannung. Natürlich ist es auch die Musik. Da gibt es einen schönen Satz von Nick Hornby: “Wenn ich Musik schreiben könnte, würde ich mich nicht mit Büchern abgeben.” Ich kann es nicht, aber es ist so schön, anderen zuzuhören, die es können. Das ist der wunderbarste Ausgleich zu all dem akademischen Denken.

Interview: Anna-Lena Hauch

2 Kommentare

  1. Nana Christian sagt

    kein kommentar. Ich frage nach der E-Mail-Adresse des Professors

    • Laura Schwinger sagt

      Hallo Herr Nana,

      die Kontaktdaten von Professor Goldstein finden Sie hier.

      Viele Grüße
      Laura Schwinger

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