Um Ende der neunziger Jahre aus dem Exil einen Brief in den Irak zu schicken, braucht es einige Anstrengungen. Es gibt noch kein Facebook, kein Twitter, nur Briefboten, die Post gegen viel Geld über die Grenze schmuggeln. Vom Weg eines Liebesbriefs, den der junge Salim aus Bengasi in Lybien an seine Geliebte Samia schickt, handelt Abbas Khiders neuer Roman „Brief in die Auberginenrepublik”. Am Mittwoch las Khider – derzeitiger Poetikdozent am Campus Landau und Anwärter auf den deutschen Buchpreis – in der Villa Streccius aus seinem Roman.
Als der Autor zu lesen beginnt, ist es still im Raum in der Villa Streccius. Das Publikum ist bunt gemischt, Studenten bis hin zu Rentnern interessieren sich für Khider und seinen Roman. Khider sitzt an einem runden Tisch, lässig im schwarzen Kapuzenpullover. Die Zuhörer lauschen seinen Worten, raunen, lachen, seufzen oder kommentieren das Gehörte leise, während er mit durchdringender Stimme und heftig gestikulierend liest. Er trägt drei verschiedene Kapitel vor. Sie handeln von Menschen, die dem Brief auf seiner Reise in den Irak begegnen, etwa ein Taxifahrer.„Auf den vielen Stationen des Briefs begegnet der Leser Opfern und Tätern sowie dem Alltag und auch dem Terror im Irak”, erklärt Anja Ohmer, Leiterin des Zentrums für Kultur- und Wissensdialog (ZKW) des Campus Landau. „Die Liebesgeschichte spielt nur am Rand eine Rolle.”
Vor jedem Kapitel findet Khider ein paar Minuten Zeit, um Hintergründe zu erläutern und die Zuhörer auf das kommende Kapitel inhaltlich vorzubereiten und einzustimmen. Khider liest etwa eine Stunde, danach stellt er sich im Gespräch mit Ohmer zahlreichen Fragen: Was bedeutet für ihn Heimat? „Heimat ist für mich kein Ort“, sagt Khider. „Heimat ist für mich meine Familie, meine Freunde. Heimat kann alles sein, zum Beispiel auch ein Glas Wein.“
Wie hat er die Revolution in Ägypten erlebt? Auch dazu hat Khider eine Geschichte parat, die seine Zuhörer schmunzeln lässt: „Auf dem Tahrir-Platz, auf dem an diesem Tag viele Menschen demonstriert haben, gibt es einen McDonalds“, beginnt er seine Erzählung. Das Essen dort könne sich aber kaum jemand leisten. Eine alte Frau sei durch die Menge gegangen und habe unter den Demonstranten Brot verteilt. „Mit den Worten ‘Das ist der Cheeseburger der Revolution’ gab sie mir ein Stück von dem Laib“, sagt Khider mit seinem ansteckenden Lachen. Es sind diese pointenreichen Geschichten über die Umbrüche im Nahen Osten, die die Romane des Autors so aktuell machen, obwohl die Handlungen oftmals schon Jahre zurück liegen.
Im Januar schon war der Autor in Landau zu Gast und las im Rahmen der Poetikdozentur aus seinen Romanen „Der falsche Inder“ und „Die Orangen des Präsidenten“. „Khider ist viel Leid widerfahren“, sagt Ohmer. „Und obwohl auch seinen Protagonisten viel Leid widerfährt, schafft er es, keine Betroffenheitsprosa zu schreiben.“ Vielmehr seien seine Romane auf eine spannende und ironisch-lakonische Weise verfasst.
Khider schreibt gegen das Vergessen an: „Diktatoren haben Angst vor Literatur“, sagt der Autor. Aber: „Mit Worten kann man kämpfen.“ Und obwohl Khider nicht gern über Politik spricht, gibt er im Gespräch mit Moderatorin Ohmer und dem Publikum die ein oder andere Meinung oder Anekdote preis, die unweigerlich politisch klingt: Er vergleicht den Plan der USA, im Irak seit 2003 eine Demokratie inmitten der Diktaturen der Nachbarländer zu errichten, mit dem Vorhaben, eine „Nutte im Puffhaus“ einzuquartieren und ihr zu sagen, sie solle enthaltsam bleiben. Es ist nicht zuletzt die Einfachheit seiner Sprache – Khider schreibt seine Romane auf Deutsch -, die dem Leser die Geschichten und ihre Protagonisten näher bringen.
Sarah Ochs