Uni-Menschen

“Ich versuche zu verstehen”: Porträt eines Geflüchteten

Der Syrer Wael Alhalaki wagte die Flucht nach Deutschland und möchte an der Universität Koblenz-Landau studieren. Im Uniblog erzählt er von seinem neuen Leben hier. Foto: Lisa Engemann

Der Syrer Wael Alhalaki wagte die Flucht nach Deutschland und möchte an der Universität Koblenz-Landau studieren. Im Uniblog erzählt er von seinem neuen Leben hier. Foto: Lisa Engemann

Wochenlang war er unterwegs. Zu Fuß durch die Wüste, mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer, mit dem Bus durch Deutschland. Zwei Jahre später steht er auf dem Campus Koblenz. Das Hemd ist gebügelt, der Schal sorgfältig um den Hals geknotet. In der Tasche ein Notizbuch mit Vokabeln. Wael Alhalaki ist auf dem Weg zu seinem Sprachkurs. Er kommt aus Syrien und möchte an der Universität Koblenz-Landau studieren. Ein Porträt über einen wissbegierigen jungen Mann.

“Hallo, wie geht’s?”, grüßt Alhalaki freundlich. Der 28-Jährige ist einer der Geflüchteten, die an einem Sprachkurs am Campus Koblenz teilnehmen, um sich auf das Studium vorzubereiten. In seinem Heimatland Syrien hat er bereits Anglistik studiert, doch um in Deutschland studieren zu können, muss er erst den Test zu Deutsch als Fremdsprache bestehen. “Ich verstehe vieles, aber ich kann noch nicht sprechen und schreiben wie ein Deutscher”, sagt Alhalaki mit arabischem Akzent. Über ehrenamtliche Helfer, einen berufsvorbereitenden Kurs des Jobcenters und einen Sprachkurs an einem Institut erreichte er ein Sprachniveau nach dem anderen. Er hofft, im kommenden Jahr den Test auf C1-Niveau zu bestehen. “Ich möchte mich gerne in Anglistik weiterbilden”, sagt er und blickt ernst durch die Gläser seiner Brille.

Mittelfinger zur Begrüßung und Polizei vor der Tür: Aller Anfang ist schwer

Alhalakis englische Sprachkenntnisse aus dem Studium in Damaskus waren auf seinem Weg nützlich: “Ich konnte mich im Flüchtlingsheim als Übersetzer engagieren”, erzählt er. Alhalaki trifft sich heute noch regelmäßig mit den Mitarbeitern des Heims, in dem er zwei Monate verbrachte, obwohl er jetzt in einer eigenen Wohnung in Bad Breisig lebt. Bis hierher war es ein langer Weg. Doch: “Nichts auf dem Weg konnte schlimmer sein, als die Situation in meinem Land”, erzählt Alhalaki.

Nachdem er die Grenze zum Libanon überwunden hatte, lebte und arbeitete er für ein Jahr dort. Doch auch im Libanon war er nicht in Sicherheit und so wagte er die Überfahrt zwischen der Türkei und Griechenland in einem der überfüllten Schlauchboote, die man aus den Nachrichten kennt. 2015 erreichte Alhalaki Deutschland. Mit anderen Geflüchteten kam er mit einem Bus aus Österreich in Leipzig an. “Es war chaotisch. Da war eine Demonstration und die Menschen warfen Steine und machten so”, sagt er und zeigt den Mittelfinger. “Wir Flüchtlinge haben das nicht verstanden, dachten, das wäre eine Begrüßung und winkten aus dem Bus.” Alhalaki lacht und wirkt dabei, als hätte er das Erlebte verkraftet. Er erzählt jedoch auch von einem Freund, der bei seinen Nachbarn nicht gern gesehen ist. Dieser notiert sich oft Begriffe, die er im Fernsehen hört, um sie zu lernen. Einmal lernte er “Tötung aus dem Hinterhalt” und warf den Notizzettel dann in den Müll. Ein paar Tage später stand die Polizei vor seiner Tür, gerufen von den Nachbarn, die den Zettel gefunden hatten. Alhalakis Freund überlegt seitdem zweimal, was er in den Müll schmeißt.

Ob rechte Demonstranten oder misstrauische Nachbarn – Alhalaki bleibt ruhig: “Ich akzeptiere diese Menschen.” Auch wenn der Anfang in einem neuen Land schwer ist. Nicht nur menschlich, sondern auch bürokratisch. Auf der Suche nach dem richtigen Wort, um zu erklären, was für bürokratische Schwierigkeiten er meint, holt Alhalaki ein Notizbuch heraus. Die Seiten sind dicht mit deutschen, englischen und arabischen Wörtern in unterschiedlichen Farben beschrieben. Er überfliegt die Zeilen und deutet schließlich auf ein Wort. “Formalitäten”, sagt er etwas unsicher und lacht. “Die deutsche Routine musste ich erstmal lernen.”

Goldener Herbst, goldene Zukunft?

Lernen, das macht Alhalaki gern. Wenn er nicht gerade im Programm der Universität Koblenz-Landau für Flüchtlinge zur Hinführung zum Studium einen Kurs besucht, lernt er. Doch ohne die Hilfe anderer wäre auch er nicht so weit gekommen, sich für das Programm zu bewerben. Im Libanon hatte er ein deutsches Ehepaar kennengelernt, das ihm in Deutschland half, sich zurecht zu finden. “Ich bin so dankbar, sie behandeln mich wie ihren Sohn”, sagt er mit nachdrücklicher Stimme.

Alhalaki geht offen auf Menschen zu und hat bereits Freunde gefunden. Mit ihnen geht er manchmal wandern, zum Beispiel am Riedener Waldsee. “Die Blätter auf dem Waldboden in dem goldenen Licht im Herbst sind sehr schön”, erzählt er. In Syrien gebe es vereinzelt Wälder und Berge. Als normaler Bürger könne man dort aber nicht die Aussicht genießen, weil sie im Besitz der Armee seien.

Auf seinem Weg zur Uni trifft Alhalaki jeden Tag nette Menschen im Bus. “Wir sprechen dann darüber, wie das bei uns und wie das bei euch ist”, erzählt er. Hier in der Gegend fühlt sich Alhalaki sicher. Sicherheit ist das Wichtigste. Was wünscht er sich noch? “Ein gutes Leben, gute Arbeit, Liebe… und Akzeptanz von der Gesellschaft”, sagt er nachdenklich. “Aber wenn ich etwas erwarte, muss ich auch etwas bieten”, fügt er hinzu. Dafür lernt er jeden Tag.

Lisa Engemann