Kolumne

Das Leben da draußen

Heute schreibt Campus-Reporterin Lisa Engemann. Illustration: Designstudio Mathilda Mutant

Heute schreibt Campus-Reporterin Lisa Engemann. Illustration: Designstudio Mathilda Mutant

In der Kolumne schreiben unsere Campus-Reporter, allesamt Studierende in Koblenz und Landau, unplugged aus ihrem Alltag. Heute macht sich Lisa Engemann Gedanken über die Chance, genau diesen Alltag zu durchbrechen und sich einfach mal treiben zu lassen.

Zeit und Raum sind relativ, hat das nicht schon Albert Einstein festgestellt? Ich kenne mich nicht so sehr mit der physikalischen Krümmung von Raum und Zeit gemessen an der Lichtgeschwindigkeit aus. Was ich jedoch weiß, ist, dass sich die gleichen Zeiträume – sagen wir, ein Tag oder eine Woche – sehr unterschiedlich anfühlen können.

Es gibt Zeiten, da passiert nicht viel. Ich bleibe im altbekannten Alltagsrhythmus und verdächtige mich beinahe selbst, der langweiligste Spießer auf der Welt zu sein. Und dann kommt alles auf einmal anders, weil ich mich bewege und damit den Rhythmus ändere. Das bedeutet nicht, dass ich aus dem Takt komme. Ich würde es eher mit dem Höhepunkt in einem Musikstück vergleichen, auf den alles hinspielt. Wenn der Alltag auf diese Weise durchbricht, befinde ich mich in einem Sog aus Erlebnissen, die mich in ihren Bann ziehen und die ich erst rational einordnen kann, wenn ich wieder zur Ruhe komme. Warum ich das schreibe? Weil mir bewusst geworden ist, wie wertvoll und befreiend es ist, einfach mal raus zu gehen und die Welt auf sich zukommen zu lassen. Jede Sekunde passiert so viel an so vielen Orten. Ich kann innerhalb von 24 Stunden so viel erfahren, dass mir der Beginn des Tages vorkommt, als liege er eine Woche zurück. Das vergisst man manchmal, wenn man im vertrauten Rhythmus bleibt.

Die volle Dosis Leben

Ich überlege mir gern am Beginn eines Tages, wie er verlaufen wird: Heute gehe ich hierhin und dorthin und mache dieses und jenes. Es gibt mir Sicherheit, zu wissen, was passieren wird. Aber es macht das Leben auch nicht gerade lebendig. So wirklich lebendig fühle ich mich nur, wenn ich nicht von einem To-do-Punkt zum nächsten eile, sondern die Dinge einfach geschehen lasse. Dadurch entsteht ein Zeitfenster, in dem alles und nichts passieren kann. In dem man Dinge sieht, die man sonst nicht sieht – weil man die Augen dafür verschlossen hatte. Menschen begegnet und sich mit ihnen austauscht, wie man es niemals hätte vorhersehen können. So viel von der Welt erfährt, wie in keiner TV-Doku auf dem Sofa. Das Leben passiert da draußen und wir können es nicht kontrollieren.

Jetzt könnte es sein, dass ich mir auch das als imaginären To-do-Punkt einplane. Dass ich erwarte, etwas wahnsinnig Aufregendes von der Welt zu erleben. Und dann sind die Erwartungen zu hoch und es kommt vor, dass das Leben mich enttäuscht. Was tun? Vielleicht versuchen, nichts zu erwarten. Offen bleiben, für das, was kommt. Das ist es, was solche Zeiten atemberaubend macht: Dass sie nicht vorhersehbar sind. Es kommt garantiert anders, als man denkt. Aber letztendlich immer genau richtig.

Lisa Engemann