Kolumne

Immer wieder sonntags

Heute schreibt Campus-Reporterin Hannah Wagner. Illustration: Designstudio Mathilda Mutant

Heute schreibt Campus-Reporterin Hannah Wagner. Illustration: Designstudio Mathilda Mutant

In der Kolumne schreiben unsere Campus-Reporter, allesamt Studierende in Koblenz und Landau, unplugged aus ihrem Alltag. Heute sinniert Hannah Wagner über das wichtigste ihrer Rituale und seine gesellschaftliche Relevanz: Den Tatort. 

Dödö – Dödö – Dödödööö – Dö! Nichts hat sich in mein Gehirn so eingebrannt, wie die Titelmusik zum Tatort und nichts symbolisiert für mich so sehr das Ende der Woche. Der Retro-Oldschool-Nostalgie-Vorspann ist noch der gleich wie 1970: Damals wurde am 29. November die erste Folge ausgestrahlt. Inzwischen ist es die beliebteste Krimireihe der Deutschen. Fast 50 Jahre nach dem ersten Tatort hat sich sicherlich vieles verändert: Die Gesellschaft, die relevanten Themen, die Schauspieler, die Inhalte. Nur Vor- und Abspann mit den eingängigen Tönen von Klaus Doldinger sind geblieben und Beweis dafür, dass der Tatort Kultstatus hat.

Die Meinungen zu diesem Klassiker des deutschen Fernsehens gehen allerdings auseinander: Entweder er gehört fest zum sonntäglichen Ritual oder er wird kategorisch abgelehnt. Entweder, man ist zur Sendezeit nicht erreichbar, oder man hat viel Platz auf den Straßen und in Restaurants.

Dödöööööööööö

Für mich ist Sonntagabend um 20.15 Uhr Tatort-Zeit. Da gibt es keine Ausnahme. Da gehe ich nicht ans Telefon, da werden vorher ausreichend Getränke neben der Couch platziert, die Vorhänge zugezogen und der Fernseher laut gestellt. Dödö – Dödö – Dödödööö – Dö… tönt es aus den Lautsprechern. Mit meiner Mutter spreche ich über die Geschichten der Kommissare, deren persönliche Wehwehchen und die Einbettung in die Gesamthandlung. Wir mögen zwar nicht jede Figur, aber wir kennen sie alle. Wir mögen auch nicht jeden Tatort, aber schauen ihn immer bis zum Schluss.

Mit dabei, beim sonntäglichen Prozedere, sind auch mein Handy sowie die grenzenlosen Weiten des Internets: Auch wenn ich mich normalerweise nicht auf Twitter rumtreibe, während des Tatorts verfolge ich parallel die Tweets zu #tatort. Je verrückter die Story, desto lustiger die Kommentare. Im Sekundentakt wird das Geschehen kommentiert und analysiert – und es sprechen erstaunlich viele darüber.

Spießig oder Spiegel der Gesellschaft

Nicht selten habe ich mich in einem Anflug von Selbstreflexion gefragt, ob es der Vorbote zu einer möglichen zukünftigen Spießigkeit sein könnte, dieser festen Gewohnheit zu frönen? Glücklicherweise hat der Tatort aber (fast immer) gesellschaftliche Relevanz, bildet er doch aktuelle Diskurse, Probleme oder Sachverhalte ab: Leistungsdruck, Demenzerkrankung, Flüchtlingskrise, Familiendrama, Verarmung, Zwangsprostitution – um nur einige Inhalte zu nennen. Während der vielschichtigen Themenkonstruktionen sehne ich mich manchmal nach einem stinknormalen Banküberfall. Aber das ist wohl in unserer komplexen Welt kaum mehr möglich.

Wahrscheinlich ist es sowieso das Beste, den Tatort als Ritual zu sehen: Rituale begleiten Veränderungen und Übergänge. So gesehen ist der Tatort vielleicht, neben aller Relevanz als Spiegel der Gesellschaft, einfach eine Zeremonie am Ende des Wochenendes, eine Einstimmung auf die nachfolgende Woche. Rituale können Kraft geben und Übergänge erleichtern. Im Hinblick auf Montagmorgen ist das durchaus verständlich.