Kann man Homosexualität an der Stimme erkennen? Und gibt es den “Gaydar” wirklich? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Prof. Dr. Melanie Steffens. Sie ist Leiterin der Arbeitsgruppe Sozialpsychologie am Campus Landau. Mit dem Uniblog hat sie über ihre Forschung im Bereich Gender und Diversity gesprochen.
Woran arbeiten Sie aktuell in der Geschlechterforschung?
Seit ein paar Jahren sind Dr. Franziska Ehrke und ich dabei, die Unterschätzung von Sexismus im Vergleich zu anderen Diskriminierungsformen zu erforschen. Sexistische Witze werden beispielsweise häufig als harmlos dargestellt. Dann heißt es, Frauen sollten sich nicht so anstellen. Würde man denselben Witz im rassistischen Kontext machen, ginge das wiederum für viele unter die Gürtellinie.
Wie untersuchen Sie dieses Phänomen konkret?
In unserer Serie Aus dem Labor stellen wir Menschen und Projekte vor, die die Forschung voranbringen.
Wir haben eine Reihe von Szenarien entwickelt, die man in unterschiedlichen Diskriminierungskontexten präsentieren kann. Einigen Versuchspersonen haben wir diese Szenarien in einer sexistischen Variante vorgelegt, anderen in einer rassistischen. Wir wollten zum Beispiel wissen: Finden die Proband:innen es diskriminierender, wenn ein Mädchen vom Fußballspiel ausgeschlossen wird oder wenn ein schwarzer Mitschüler ausgeschlossen wird? Und wovon hängt die Einschätzung ab? Insgesamt kommen wir zu dem Schluss, dass Sexismus tatsächlich harmloser erscheint.
Woran liegt das?
Ein Faktor ist der sogenannte wohlwollende Sexismus. Damit sind Formen der Ungleichbehandlung zwischen Geschlechtern gemeint, die an der Oberfläche erst einmal positiv aussehen – zum Beispiel Frauen die Tür aufzuhalten. Personen mit ausgeprägtem wohlwollenden Sexismus zeigen auch mehr feindseligen Sexismus. Sie wollen beispielsweise lieber keine Frau als Chefin haben oder sagen: Frauen schreien Diskriminierung, obwohl sie im fairen Wettbewerb verlieren. Wohlwollender Sexismus ist also ein gefährliches Phänomen. Es kommt im Seidenhandschuh daher, aber hält Frauen “auf ihrem Platz”.
Warum ist Sexismus oft unsichtbar?
Zum einen ist das Bewusstsein für Rassismus im Gegensatz zu dem für Sexismus schon sehr weit verbreitet. Das betrifft übrigens vorrangig die Hautfarbe. Macht man ähnliche Experimente und fragt nach Menschen mit Migrationshintergrund, dann stellt man fest, dass es auch da noch an Problembewusstsein mangelt. Beim Sexismus gibt es außerdem die Schwierigkeit, dass es in manchen Bereichen berechtigte Ungleichbehandlungen gibt. Ich glaube, wir finden es alle okay, wenn hochschwangere Frauen von der Arbeit befreit werden. Die körperlichen Strapazen einer Schwangerschaft und Geburt betreffen Männer nicht im gleichen Maße.
Was hilft, um Menschen für Sexismus zu sensibilisieren?
Das wollen wir mit unserem Projekt herausfinden. Wir haben zum Beispiel untersucht, ob allein die Instruktion unseres Experiments eine Auswirkung haben kann. Da stand dann eingangs etwas wie: “Wir haben festgestellt, dass Sexismus im Vergleich zu anderen Diskriminierungsformen unterschätzt wird.” Das hat im Allgemeinen nicht geholfen. Wenn überhaupt, dann nur bei den konservativsten männlichen Teilnehmenden, wo viel Luft nach oben ist.
Wie spricht man das Problem selbst an?
Eine wichtige Theorie in der Sozialpsychologie ist die Reaktanz-Theorie. Sie besagt: Wenn Sie jemandem mit dem Holzhammer drängeln, dann sagt er “Nein” und geht noch eher in die andere Richtung als in die, in der Sie ihn haben wollen. In einer Serie von Studien, die wir mit meiner Mitarbeiterin Dr. Nadine Knab zusammen machen, versuchen wir das Gegenteil. Wir probieren sogenannte paradoxe Interventionen. Da erklären wir den Teilnehmenden, warum Sexismus nun wirklich überhaupt kein Problem darstellt. So wollen wir sie zum Nachdenken anregen. Damit bringt man verfestigte Standpunkte unter Umständen eher ins Wanken als mit direkter Gegenrede.

Prof. Dr. Melanie Steffens leitet die Arbeitsgruppe für Sozialpsychologie am Campus Landau. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit den Themen Gender & Diversity. Foto: Annika Namyslo
Sie sind auch an einem Forschungsprojekt beteiligt, das Stimmstereotype und Sexualität untersucht.
Ja, das Projekt leitet mein Kollege Dr. Sven Kachel.
In der Beschreibung des Projekts auf Ihrer Homepage erwähnen Sie das Stereotyp “schwule Männer reden nasal”. Stimmt das?
Nein. Also, jein (lacht). Ganz allgemein ist es ja so, dass Stereotype immer stärker sind als das tatsächliche Verhalten der Individuen. Sagen wir mal, es gibt Männer, die sehr nasal sprechen. Wenn unter diesen Männern schon mehr als fünf Prozent schwul sind, hat man ganz schnell das Stereotyp etabliert: Schwule sprechen nasal. Einige homosexuelle Männer sprechen so, vielleicht ist der Anteil höher als bei heterosexuellen Männern. Aber viele Schwule sprechen eben nicht so. Obwohl es das etablierteste Stereotyp über die Sprechweise homosexueller Personen ist, kann man einen Mann am nasalen Sprechen also schlecht als homo- oder heterosexuell einordnen.
Welche Stereotype gibt es noch?
Zum Beispiel, dass lesbische Frauen mit tieferer Stimme sprechen. In unseren bisherigen Stimmanalysen haben wir insgesamt sehr wenig Bestätigung für solche Aussagen gefunden. Auch unter Personen der gleichen sexuellen Orientierung gibt es jede Menge Unterschiede, weil Sprechweisen etwas sehr Individuelles sind. Und sie verändern sich je nach Kontext. Spontane Sprache, wenn wir zum Beispiel nach dem Weg gefragt werden, klingt ganz anders, als wenn wir etwas vorlesen.
Sie haben auch untersucht, wie Zuhörer:innen die Sexualität der Sprechenden einordnen.
Genau. Das ist der zweite interessante Teil: Wenn wir Proband:innen Stimmen vorspielen und sie bitten, die sexuelle Orientierung der Sprechenden einzuschätzen – wie gut können sie das dann? Da gibt es ein Phänomen, das in der Literatur leider häufiger passiert. Es gibt dann plötzlich Schlagzeilen wie “Sexuelle Orientierung an der Stimme erkennbar” oder so. In den Studien selbst reden wir aber von einer korrekten Einordnungswahrscheinlichkeit von vielleicht 54 Prozent. Zum Vergleich: 50 Prozent wäre Zufall. Das Ergebnis ist statistisch signifikant besser als der Zufall, aber trotzdem sehr, sehr viel näher an zufällig als an 100 Prozent. Die korrekten Einordnungen kommen oft durch einzelne Personen zustande, die dem Stereotyp klar entsprechen. Deshalb halten sich solche Annahmen: Das Klischee wird schon bestätigt, wenn nur wenige Leute sich passend verhalten.
Erfüllen gruppenspezifische Sprechweisen nicht auch einen Zweck?
Das ist eine sehr gute Frage, auf die ich noch keine Antwort habe (lacht). Wenn ein paar schwule Männer in einer Kneipe sitzen und dabei sind, Beziehungen anzubahnen, sprechen sie unter Umständen ganz anders als zum Beispiel in einem Bewerbungsgespräch. Menschen passen ihre Stimme generell an die Situation und die beteiligten Personen an – und das total schnell. Wir haben in einer recht aktuellen Untersuchung gezeigt, dass schon die Sprechweise der Versuchsleiter:innen einen Einfluss darauf hat, wie Proband:innen im Labor Texte vorlesen. In der Sozialpsychologie nennen wir das Social Mimicry. Man imitiert andere Personen beziehungsweise passt sich ihnen an.
Könnte Sprache also auch ein Erkennungsmerkmal sein?
Das nennt man ja so schön den “Gaydar” (Anm. d. R.: von englisch gay = homosexuell und Radar). Um das zu untersuchen, haben wir gezielt Schwule und Lesben rekrutiert. Wir wollten sehen, ob sie die sexuelle Orientierung an der Stimme vielleicht besser erkennen als Heterosexuelle. Es hat sich gezeigt, dass der Gaydar gar nicht so ausgeprägt ist, wie man meint.
Interview: Annika Namyslo