Aus dem Labor
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Unscheinbare Schönheiten: Flechten und Moose

Die Biologin Dr. Dorothee Killmann und ihr Ehemann Burkhard Leh freuen sich über Steine, auf denen die Hunsrück-Flechte wächst. 2015 hat Killmann die Flechte gemeinsam mit Kolleg:innen auf einer Exkursion entdeckt. Foto: Konrad Funk

Die Biologin Dr. Dorothee Killmann und ihr Ehemann Burkhard Leh freuen sich über Steine, auf denen die Hunsrück-Flechte wächst. 2015 hat Killmann die Flechte gemeinsam mit Kolleg:innen auf einer Exkursion entdeckt. Foto: Konrad Funk

Wir alle kennen die gelben, grau-weißen oder grünlichen Flecken auf Steinen und an Bäumen. Nicht jede:r weiß aber, dass es sich dabei um Flechten beziehungsweise Moose handelt. Deren Struktur lässt sich meist nur mit einer Lupe erkennen. Was zeichnet diese Gewächse aus? Sind sie für Bäume schädlich? Dies und mehr rund um kleine Pflanzen erzählt uns Biologin Dr. Dorothee Killmann. 

In unserer Serie Aus dem Labor stellen wir Menschen und Projekte vor, die die Forschung voranbringen.

Dr. Dorothee Killmann, Forscherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Campus Koblenz, nimmt die Follower:innen ihres Instagram-Kanals immer wieder mit auf Wandertouren und Waldspaziergänge. Dabei richtet sie ihre Linse besonders auf kleine und oft unscheinbare Lebewesen: Moose, Farne, Algen, Flechten und Pilze. „Ich gehe viel spazieren und wandern. Auf Exkursionen oder wenn ich am Wochenende draußen unterwegs bin, fallen mir immer wieder biologisch interessante Orte ins Auge. Dann schaue ich, ob der jeweilige Lebensraum für Forschungsarbeiten relevant sein könnte“, schildert sie. Es ist wichtig, Flechten- und Moosarten zu dokumentieren, um das Vorkommen von Arten näher untersuchen zu können. Daher hilft Killmann zum Beispiel bei der Inventarisierung von Moosen und Flechten mit und arbeitet dabei unter anderem mit dem Nationalpark Hunsrück-Hochwald zusammen.

Ohne Wurzeln und Blätter

Im biologischen Archiv lagern Flechten und Moose aus der ganzen Welt, oft gefunden bei Forschungsreisen.

Im biologischen Archiv lagern Flechten und Moose aus der ganzen Welt, oft gefunden bei Forschungsreisen. Fotos: Sarah-Maria Scheid

Die Vielfalt der Natur zeigt sich vor allem im Sommer: Bäume tragen grünes Laub und viele Pflanzen blühen farbenfroh. Diese Diversität beschreibt aber nur einen Bruchteil aller Arten. Oft werden die ganz Kleinen vergessen: Die Rede ist von den sogenannten „niederen Pflanzen“. Killmann erläutert: „Alle Pflanzen, die aus den drei Grundorganen Wurzel, Spross und Blatt bestehen, nennt man Kormophyten oder höhere Pflanzen. Dazu zählen unsere heimischen Laubbäume, aber auch diverse uns bekannte Blütenpflanzen oder Farne.“ Pflanzen, die keines dieser Organe haben, bezeichnet man in der Regel als niedere Pflanzen.

Niedere Pflanzen haben keine aktiven Leitungsbahnen für Wasser. Deswegen wachsen sie nicht in die Höhe, sondern bleiben vergleichsweise niedrig. „Moose transportieren Wasser durch eine Art Sog: Das Wasser wird wie Wachs an einer Kerze hochgezogen“, führt Killmann aus. Ein Merkmal der niederen Pflanzen ist, dass sie das ganze Jahr Photosynthese betreiben und wachsen können. Im Winter, wenn die Temperaturen niedrig sind, wachsen die Organismen allerdings sehr langsam. Pflanzen, die auffällige Blüten bilden, vermehren sich durch Samen. Moose hingegen entwickeln Sporophyten, in denen die Sporen gebildet werden. Flechten stellen wiederum in Fruchtkörpern ihre Sporen her. Die Ausbreitung der Sporen findet in der Regel mithilfe von Wind oder Wasser statt. Sie können ganzjährig produziert werden. Ihre verschiedenen Wuchsformen und ihre bunten Farben machen Flechten zu wahren Schönheiten der Natur.

Leben in einer Lebensgemeinschaft 

Die heimische Landkartenflechte wächst häufig auf Steinen. Sie bildet dabei Flecken, die wie Länder auf einer Karte aussehen.

Die heimische Landkartenflechte wächst häufig auf Steinen. Sie bildet dabei Flecken, die wie Länder auf einer Karte aussehen.

Flechten findet man an Bäumen, auf Steinen oder dem Erdboden. Hinsichtlich ihrer Wuchsform unterteilt man sie in Krusten-, Blatt- und Strauchflechten. Krustenflechten wachsen dicht am Untergrund, oft auf Steinen. Blattflechten heben sich mit ihrem Vegetationskörper von der Oberfläche ab. Strauchflechten hängen weitestgehend frei in der Luft oder stehen vom Boden ab. Wenn sie auf Bäumen wachsen, schaden sie ihnen damit im Allgemeinen nicht. „Sie sind Aufsitzerpflanzen und wachsen auf der Oberfläche der Rinde,” führt Killmann aus. „Mit Pilzhyphen, einer Art Wurzelsystem, halten sie sich in feinen Unebenheiten im Untergrund fest. Parasitische Formen wie die Mistel, die dem Baum Wasser entzieht, gibt es unter den Flechten nicht.“ Schaden könnten sie Bäumen nur aufgrund ihres Gewichtes. Beispielsweise wenn sie sich zu stark vermehren oder über die jungen Triebe der Bäume wachsen. Dann könnten Äste oder Knospen abbrechen.

Flechten bestehen nicht nur aus einem Lebewesen. Sie entstehen durch Symbiose, also Lebensgemeinschaft. „Eine Symbiose beschreibt eine Lebensgemeinschaft zweier Organismen mit gegenseitigem Nutzen. Früher dachte man, eine Flechte bestünde aus einem Schlauch- oder Ständerpilz und einer speziellen Algenart. Man weiß erst seit wenigen Jahren, dass Flechten aus diesen Komponenten sowie einem weiteren hefeartigen Ständerpilz bestehen, also aus insgesamt mindestens drei Partnern“, berichtet Killmann.

Flechten als Indikatoren der Luftqualität

Nicht nur die Wuchsform der Flechte ist eine Besonderheit. Schon während des Studiums hat Dorothee Killmann Flechten als Indikatoren für die Luftqualität untersucht: Viele Arten reagieren auf spezifische Schadstoffe in der Luft und nehmen diese Substanzen über ihre gesamte Oberfläche auf. Besonders sehr verzweigte Flechten wie die Elchgeweihflechte lagern Schadstoffe ein.

Dieser Fund war für die Wissenschaftler:innen etwas ganz Besonderes: Die unscheinbare Hundsrück-Flechte.

Dieser Fund war für die Wissenschaftler:innen etwas ganz Besonderes: Die unscheinbare Hunsrück-Flechte.

Manchmal gelingt der Forscherin bei ihren Exkursionen auch ein neuer Fund. 2015 hatten Killmann und ihre Kolleg:innen besonderen Grund zur Freude: „Bei einer Kartierung im Nationalpark Hunsrück-Hochwald haben wir eine neue Flechte auf einem Stein entdeckt.“ 2018 wurde die Hunsrück-Flechte dann nach wissenschaftlicher Untersuchung als neue Art bestimmt und der Öffentlichkeit vorgestellt. Selbst die damalige Ministerin Ulrike Höfken war mit dabei. Aktuell lagert sie im Herbar, einem Pflanzenarchiv am Campus Koblenz.

Moose als Moorbildner

Moose sind wichtig für das Waldklima: Sie speichern Wasser und halten den Wald feucht, außerdem bieten sie Lebensraum für Waldbewohner. Auch bei der Bildung von Mooren haben Moose eine wichtige Aufgabe: „Intakte Moore speichern Kohlenstoff, die Funktion als Kohlenstoffsenke hat einen großen Einfluss aufs Klima. Einige Torfmoosarten stehen in den Mooren dauerhaft im Wasser und verrotten dabei am unteren Ende nicht; dadurch wird Kohlenstoff gespeichert“, führt Killmann aus.

 

Das Herzstück der Moore sind die Sphagnum-Arten, auch Torfmoose genannt, zu denen zum Beispiel das sparrige Torfmoos gehört.

Das Herzstück der Moore sind die Sphagnum-Arten, auch Torfmoose genannt, zu denen zum Beispiel das sparrige Torfmoos gehört.

Leider sind in Deutschland nur noch wenige Moore zu finden. Sie wurden in der Vergangenheit oft trockengelegt, um Forst- oder Ackerfläche zu gewinnen. Die Abteilungen der Biologie und Geographie der Universität in Koblenz forschen zur Renaturierung der Moore im Nationalpark Hundsrück-Hochwald. Leider, erzählt Killmann, scheitere es oft an einer schlechten Umsetzung. Im Schwarzwald zum Beispiel wurden sogenannte Spundwände in die Moore eingezogen. Sie sollen für Abdichtung sorgen, damit das Wasser nicht unkontrolliert abfließen kann. Allerdings laufe das Wasser an den Wänden vorbei. An anderer Stelle seien die Wände so dicht gesetzt, dass gar kein Wasser mehr ablaufen könne und das Moos zu schimmeln beginne. „Eine gewisse Durchlässigkeit für ablaufendes Wasser muss gegeben sein“, erklärt die Biologin. Naturschutzgebiete und Naturreservate sind Killmann zufolge eine gute Möglichkeit, um Moose zu schützen. Am besten würde man aber gar nicht eingreifen und die Natur sich selbst überlassen. 

Artenreiche Pracht

Der Artenreichtum der niederen Pflanzen ist nicht zu unterschätzen. Dies kann man besonders in Gebieten mit hoher Luftfeuchtigkeit und Niederschlagsfrequenz erkennen. In Rheinland-Pfalz trifft das auf die westliche Eifel und den Pfälzerwald zu. Auch der Schwarzwald oder das Alpenvorland weisen diese Eigenschaften auf. „Sogar im Ruhrgebiet, einer sehr dicht bebauten Region, kehren einige Flechtenarten zurück“, berichtet Killmann. Die Flechten- und Moosvielfalt ist in Mitteleuropa überall ähnlich groß, wobei in Ländern mit höheren Temperaturen oder feuchterem Klima andere Wuchsformen dominieren. Wo es sehr luftfeucht ist, überleben mehr Blatt- und Strauchflechten, in trockeneren Regionen eher Krustenflechten.

Aktuell arbeitet Dorothee Killmann mit einem Team weiterer Flechtenkundler:innen an einer Neuauflage der Roten Liste der Flechten Deutschlands. In diesem Buch werden die Gefährdungskategorien einzelner Arten neu aufgearbeitet. Denn Flechten und Moose sind nicht nur vielfältig und artenreich, sie sind auch ein wichtiger Bestandteil unseres Ökosystems

 Sarah-Maria Scheid

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