In der Kolumne schreiben unsere Campus-Reporter, allesamt Studierende in Koblenz und Landau, unplugged aus ihrem Alltag. Heute berichtet Rebecca Singer von Gewohnheiten und Routinen im Alltag, die sich manchmal nur schwer durchbrechen lassen.
Mein Fahrrad fährt wie von selbst zur Uni. Meine Füße kennen den Weg. Heute drei Studien in der Unibib durchackern, das ist das Ziel. Es ist 9.15 Uhr, ich bin da und trotte noch im Halbschlaf zu meinem Spind – wie immer Nummer 85. Ich entdecke ein Schloss, Mist, besetzt. Schon beim Betreten der Bibliothek scanne ich die Lage. Das Schicksal meint es heute nicht gut mit mir. Eine anderer Studentin hat meinen Platz ergattert. Er ist ganz hinten in der Ecke und einfach perfekt: Man hat Überblick über den gesamten Raum, kann seine Gedanken in Ruhe schweifen lassen und sitzt nicht direkt vor einer Wand. Selten kommt einer vorbei und meine Augen finden Entspannung beim Blick aus dem Fenster.
Positive oder dunkle Macht der Gewohnheit?
In der Kolumne schreiben unsere Campus-Reporter, allesamt Studierende in Koblenz und Landau, unplugged aus ihrem Alltag.
Schlechter kann der Tag nicht starten. Ob ich es trotzdem schaffe, an meiner Abschlussarbeit zu feilen? Gewohnheiten tun gut. Jeden Tag sitze ich in die Bibliothek, mit den gleichen Leuten trinke ich Kaffee und esse mittags in der Mensa. Um 17 Uhr ist Feierabend. Jeder hat gewisse Routinen im Alltag, die dafür sorgen, dass man nicht über jede Kleinigkeit nachdenken muss.
Bei Google tippe ich Gewohnheiten ein. Ich lese: Es gibt die positive Macht der Gewohnheit, die motivieren soll und Erfolg bringt. “Die meisten Gewohnheiten ergeben Sinn”, wird ein Wissenschaftler zitiert. “Durch sie können wir in der Komplexität der Welt überhaupt überleben.” Unser Gehirn wäre ohne Automatismen mit der Flut von Reizen und Situationen heillos überfordert. Die dunkle Macht der Gewohnheit dagegen dominiere unser Verhalten, auch wenn unsere eigentlichen Ziele und Absichten dagegenstehen. Das Gehirn unterscheide dabei nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten. Einmal angewöhnte Verhaltensweisen lassen sich schwer abgewöhnen, selbst wenn man es wirklich will.
Ein Zellhaufen namens Basalganglien
Gewohnheiten kann man sich zunutze machen: Wer weiß, wie die Mechanismen funktionieren und wo sie ansetzen, der kann sie verändern. Im Marketing werden Methoden eingesetzt, die Konsumenten dazu bringen können, Gewohnheiten auszubilden. Eine Webseite erklärt das anhand von Gehirnströmen: Hier wird eine Studie von Wissenschaftlern am Brain and Cognitive Sciences Department des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zitiert. Ratten liefen dabei durch ein Labyrinth und suchten ein Stück Schokolade. Die gemessenen Gehirnaktivitäten waren die ganze Zeit erhöht. Nach häufiger Wiederholung fanden die Ratten die Schokolade immer sicherer und die Gehirnströme änderten sich: Anstelle der Areale, die für komplexe Denkprozesse und Entscheidungen zuständig sind, arbeitete jetzt nur noch ein Zellhaufen im Gehirninneren. Der mit Reflexen und Instinkten in Verbindung gebrachte Gehirnteil wird Basalganglien genannt. Die Basalganglien seien eine Art Handlungsgedächtnis, das Bewegungsmuster beinhaltet, die sich einmal als erfolgreich erwiesen haben. Während der Rest des Gehirns ruht, können gewohnte Muster abgerufen werden.
Als ich in der Bibliothek meinen Stammplatz erreiche, sitzt dort meine Kommilitonin. Sie sagt: „Hey, ich weiß, ich sitze auf deinem Platz. Wenn du willst, setze ich mich um, dann kannst du hier bleiben.“ Ich schmunzle und ignoriere meine Basalganglien. Meine Ziele für die Abschlussarbeit erreiche ich heute wohl auch auf dem Sitzplatz nebenan.
Rebecca Singer