Für ihre Masterarbeit hat Rebecca Singer mehr als 600 Zeitungsartikel gelesen und ausgewertet. Die Studentin der Sozial- und Kommunikationswissenschaften am Campus Landau ging der Frage nach, ob sich in den vergangenen Jahren die Berichterstattung über Politiker verändert hat. Das Ergebnis: Ja, aber anders, als sie erwartet hatte.
Was haben Sie in Ihrer Masterarbeit untersucht?
Mein Thema war die Personalisierung in der Berichterstattung. Untersucht habe ich das anhand von Zeitungsberichten über Koalitionsverhandlungen, die in den letzten 69 Jahren veröffentlicht wurden.
Was ist mit Personalisierung in der Berichterstattung gemeint?
Viele Kommunikationswissenschaftler gehen davon aus, dass die Berichterstattung über Politiker in den letzten Jahren zunehmend personalisiert wurde. Das heißt, dass Personen mehr im Vordergrund stehen als Themen. Es gibt noch einen zweiten Teil von Personalisierung, der wird Privatisierung genannt. Da geht es nicht nur darum, ob über eine Person berichtet wird, sondern auch wie und was über diese Personen geschrieben wird. Dabei unterscheidet man zwischen rollennahen oder rollenfernen Eigenschaften, also zwischen solchen, die etwas mit Politik zu tun haben, und welchen, die politikfern sind. Wenn eine berufsspezifische Eigenschaft wie Durchsetzungsfähigkeit erwähnt wird, wäre das zum Beispiel keine Privatisierung.
Was war Ihre These?
Wie organisiert man die letzte Phase des Studiums? In unserer Serie berichten Studierende von ihren Abschlussarbeiten.
Wenn man sich wissenschaftliche Artikel über Personalisierung anguckt, dann deutet sehr viel darauf hin, dass diese im Laufe der Zeit zugenommen hat. Aber gar nicht so stark, und vor allem erst in den letzten Jahren. Deshalb war meine These, dass ich in den jüngeren Jahren einen Personalisierungs- und Privatisierungstrend finde.
Wie sind Sie vorgegangen?
Ich habe eine quantitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Das heißt, ich habe Zeitungsartikel der vergangenen Jahre gelesen und deren Inhalte kodiert, sie quasi in Kategorien eingeteilt. Dazu habe ich ein Codebuch erstellt, in dem diese und andere Informationen zusammengetragen sind. Ich habe die Artikel erst mal nach formellen Kriterien wie dem Datum, der Überschrift und dem Zeitungstitel kodiert. Dann gab es inhaltliche Kriterien, die ich mit Skalen erfasst habe. Wenn z.B. in einem Artikel ausschließlich über Themen und nicht über Personen berichtet wurde, hat er auf der Personalisierungsskala die Zahl 1 bekommen. Wenn hauptsächlich über Personen und auch etwas über Themen berichtet wurde, dann war das eine 4.
Wie viele Zeitungsartikel haben Sie gelesen?
Das waren 622. Ich habe immer die Ausgabe vom ersten Tag nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen genommen. Ich habe die vier größten deutschen Tageszeitungen untersucht, also die Süddeutsche, die Frankfurter Allgemeine, die Frankfurter Rundschau und die Welt, zudem die größte Boulevardzeitung, die Bild. In diesen fünf Zeitungen wurde in den vergangenen Jahren über 19 Koalitionsverhandlungen berichtet.
Sind in den Zeitungen gleich viele Artikel erschienen?
Nein. Das ist ganz interessant, wie sehr sich das unterscheidet. Gerade in der Bild-Zeitung standen deutlich weniger Artikel zu Koalitionsverhandlungen, nämlich nur 64, während alle anderen zwischen 120 bis 150 Artikel dazu veröffentlicht haben. Das war für mich auch etwas problematisch, weil ich nicht so gut zwischen Qualität- und Boulevardzeitung vergleichen konnte.
Wie lange hat es gedauert, die Artikel zu lesen und zu kodieren?
Ungefähr drei Wochen. Ich habe mich morgens hingesetzt und jeden Tag fünf bis zehn Stunden lang Artikel durchgelesen. Manchmal ging es ganz schnell, wenn sie nur von Themen handelten. Ging es aber um Personen, musste ich auch immer noch den Grad der Privatisierung bestimmen und genauer lesen. Dieser Teil der Arbeit war ziemlich trocken. Aber so ist das eben manchmal und die Ergebnisse sind ja trotzdem spannend.

Ganze 622 Zeitungsartikel hat Rebecca Singer gelesen und nach verschiedenen Kriterien kodiert. Foto: Philipp Sittinger
Welche Ergebnisse haben Sie gefunden?
Am Anfang war ich etwas enttäuscht, weil ich entgegen meiner Erwartung einen negativen Trend entdeckt habe: Insgesamt ist die Personalisierung in den vergangenen Jahren weniger geworden. Aber ich konnte eine deutliche Zunahme der Privatisierung ab 1994 feststellen. Rollenferne Eigenschaften, persönliche Aspekte und Privatleben von Politikern wurden also häufiger in Artikeln behandelt. Außerdem ist die Anzahl der Artikel, die sich nur mit Themen befassen, angestiegen, während die Anzahl derer, die über die Personen berichten, ungefähr gleich geblieben ist. Wir haben also keine Abnahme von Personalisierung, sondern eine Zunahme von Artikeln, die sich nur mit Themen befassen. Das liegt vielleicht auch daran, dass Koalitionsverhandlungen immer differenzierter behandelt werden.
Was ist Ihre Schlussfolgerung?
Es sieht so aus, als ob insgesamt intensiver und differenzierter berichtet wird und eine intensivere Personalisierung stattfindet.
Wird generell mehr berichtet?
Die Zeitungen sind auf jeden Fall viel umfangreicher geworden und es gibt auch immer mehr Artikel. In den ersten Jahren enthielt eine Zeitung etwa drei bis fünf Artikel über die Koalitionsverhandlungen. Mittlerweile sind es bis zu 20 Artikel.
Gibt es einen Unterschied zwischen den Zeitungen?
Eine Unterhypothese von mir ist, dass Boulevardzeitungen personalisierter berichten als die anderen – und das hat sich bestätigt. Alle Aussagen, die ich über die Bild-Zeitung machen kann, sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie viel weniger Artikel enthielt, die für meine Untersuchung relevant waren. Aber auf der Personalisierungsskala von 1 bis 5 hat die Bild einen durchschnittlichen Wert von 3,6 und die anderen Zeitungen haben einen Wert von 2,7.
Was haben Sie noch herausgefunden?
Die Art wie über Frauen berichtet wird, hat sich verändert. Als 1961 die erste Ministerin eingestellt wurde, hieß es im Artikel dazu: “Eine Frau als Ministerin – ist das nicht übertriebene Gleichberechtigung?” So etwas wäre heute gar nicht möglich. Trotzdem wird auch heute noch anders über Politikerinnen berichtet als über ihre Kollegen. Bei Frauen werden deutlich mehr rollenferne, persönliche Eigenschaften genannt und häufiger aus dem Privatleben berichtet. Und das, obwohl wir seit 14 Jahren Angela Merkel als Kanzlerin haben.
Haben Sie neben den Ergebnissen etwas für sich gelernt?
Ja, auf jeden Fall. Beim Lesen der Artikel habe ich parallel immer nachgeschaut, wer zu der Zeit im Kabinett oder in der Opposition war. So habe ich viel über die verschiedenen Regierungskonstellationen und ehemalige Präsidenten und Kanzler gelernt. In den ersten Artikeln wurde andauernd darüber berichtet, wer eigentlich katholisch oder evangelisch ist und wie viele Anhänger der jeweiligen Konfessionen im Kabinett waren. Das war damals ein total wichtiges Thema und das interessiert ja heute niemanden mehr.
Warum haben Sie sich für dieses Thema entschieden?
Ich wollte zunächst eigentlich etwas Politikwissenschaftliches machen. Aber ich habe gemerkt, dass mir die entsprechenden Methoden nicht vertraut genug sind, da ich Kommunikationswissenschaften im Bachelor studiert habe. Mit der politikwissenschaftlichen Herangehensweise war ich etwas überfordert. Deswegen habe nachgeschaut, welche Themen in der Kommunikationswissenschaft angeboten werden. Da ich mich für Politik-Berichterstattung sehr interessiere, fand ich dieses Thema spannend.
Wie geht es nach dem Abschluss für Sie weiter?
Ich mache ein Volontariat bei der Tageszeitung Die Rheinpfalz. Da habe ich während meines Schreibprozesses bereits als freie Mitarbeiterin gearbeitet. Eine Woche nach meiner Abgabe geht es schon los.
Das Interview führte Maria Preuß