Was ich will, das kann ich! Das ist das Motto des Ada-Lovelace-Projekts, mit dem jungen Mädchen Mut zugesprochen wird, eine Karriere im MINT-Bereich anzustreben. In Schulen, Hochschulen und Universitäten wird sich bundesweit dafür eingesetzt, dass traditionelle Rollenbilder von Mann und Frau aufgebrochen und sexistische Vorurteile über Frauen im MINT-Bereich untergraben werden. Die Diplom-Pädagogin Stephanie Justrie ist die Projektleiterin im Bereich Studium. Gemeinsam mit der Projektmitarbeiterin Stefanie Kröber führt sie das Ada-Lovelace-Projekt am Standort Koblenz. Wie Hemmschwellen abgebaut und Berührungsängste junger Mädchen genommen werden können, wie sie mit Vorurteilen umgehen und welche Erfolge sie in ihrer Arbeit bestätigen, berichten die beiden im Interview.
Was ist das Ada-Lovelace-Projekt?
Stefanie Kröber: Das Projekt wurde 1997 durch eine Initiative des damaligen Frauenministeriums an der Universität in Koblenz ins Leben gerufen, hat sich aber mittlerweile auf alle rheinland-pfälzischen Universitäten und die meisten Hochschulen ausgebreitet. In den letzten 25 Jahren ist es zu dem landesweiten Kompetenznetzwerk für Frauen in MINT geworden – das heißt für Frauen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Dabei ist die Idee simpel: Studentische Mentorinnen aus den Fachbereichen drei und vier dienen jungen Mädchen als Rollenvorbilder. Gemeinsam wird in Workshops, AGs und Veranstaltungen ein Raum geschaffen, um sich im MINT-Bereich auszuprobieren.
Stephanie Justrie: Unser Ziel ist es, dass sich durch verschiedene Methoden und Veranstaltungsformate mehr junge Frauen für MINT-Berufe begeistern, sei es für eine Ausbildung oder ein Studium. In diesem Bereich dominieren leider immer noch die traditionellen Geschlechterstereotype. Dabei werden Menschen aufgrund ihrer erkennbaren Geschlechtszugehörigkeit bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben. Während Männer als technisch versiert gelten, wird Frauen oftmals die Kompetenz für eine Tätigkeit im MINT-Bereich abgesprochen. Dazu schaffen wir ein wirksames Gegengewicht.
Kröber: Und vor allem wollen wir Selbstbewusstsein stärken. Jungen Frauen sollte nichts mehr dabei im Wege stehen, dem nachzugehen, was ihnen Freude bereitet. Nicht jedes Mädchen hat nach unseren Workshops das Ziel IT-Spezialistin zu werden. Es geht vielmehr darum, Geschlechterklischees abzubauen und sich frei von diesen Stereotypen auszuprobieren und den ganz persönlichen Weg zu finden.
Das Ada-Lovelace-Projekt hat 11 Standorte in 7 rheinland-pfälzischen Städten. Was zeichnet die Arbeit in Koblenz aus?

Beim Mikroskopieren kommt es auf eine genaue Vorbereitung an: Eila und Lea präparieren das Moos auf dem Objektträger, um es genau unter die Lupe nehmen zu können.
Justrie: Wir arbeiten mit allen Standorten eng zusammen und stehen als Kompetenznetzwerk im stetigen Austausch. Gleichzeitig hat jeder Universitätsstandort seine ganz individuellen Anforderungen und Herausforderungen. Hier in Koblenz profitieren wir von einem langjährigen Netzwerk an Kooperationspartner*innen. Ich begleite diesen Prozess als Projektleiterin bereits seit vielen Jahren. Die Arbeit mit den vielen zuverlässigen Projektpartner*innen bereitet mir große Freude und so bin ich immer darin bemüht, unsere Netzwerke auszubauen und zu festigen. Außerdem legen wir in Koblenz den Schwerpunkt neben dem MINT-Studium auch auf die Ausbildung. In unserer Schnupperausbildung ermöglichen wir Schülerinnen einen intensiven Einblick in MINT-Berufsfelder und dürfen dabei auf die Unterstützung vieler regionaler Unternehmen setzen. Aktuell planen wir ein neues Praktikumsangebot. Das MINT-Tandem wird im Frühjahr 2023 in die Pilotphase starten. Zehn Schülerinnen werden so die Möglichkeit haben, durch Auszubildende in MINT-Berufen, die als Mentorinnen fungieren, bei ihrem Betriebspraktikum begleitet zu werden.
Erfahren Sie vom weiteren Berufsweg der Teilnehmerinnen?

Kleine Welt ganz groß: Beim Mikroskopieren wird zuvor Unsichtbares für die Schülerinnen erkennbar gemacht.
Kröber: Am Rheinland-Pfalz-Tag waren wir mit einem Stand und verschiedenen Mitmachangeboten vertreten. Plötzlich kam eine junge Frau zu uns und meinte, dass sie früher bei der Schnupperausbildung mitgemacht habe. Mittlerweile studiert sie Bauingenieurwesen und ist überglücklich mit ihrer Studienwahl.
Justrie: Da fühlen wir uns in unserer Arbeit natürlich bestätigt. Was wir tun, hat einen Mehrwert. Diese Bekräftigung erfahren wir auch im Austausch mit den Mentorinnen und Alumnae.
Woran liegt es, dass Frauen in MINT-Berufen unterrepräsentiert sind?
Justrie: Studien zeigen, dass Mädchen bei gleicher Leistung kritischer mit sich selbst sind als Jungen. Viele Eltern bestärken ihre Töchter nicht ausreichend. Unsere Mentorinnen berichten, dass junge Frauen bei der Verkündung ihres Studienwunsches im MINT-Bereich mit Verunsicherung und Nachfragen seitens ihrer Familie konfrontiert werden anstatt mit Bestärkung. Dadurch trauen sich Mädchen weniger zu. Das muss sich dringend ändern. Mädchen können genauso viel wie Jungen.
Kröber: Rollenklischees sitzen tief, sodass sie nur schwer aufgebrochen werden können. Tätigkeiten im MINT-Bereich werden viel besser vergütet als soziale Berufe. Da Frauen dazu tendieren, eher eine Karriere im sozialen Bereich anzustreben, verfügen sie im Schnitt über ein geringeres Budget, weniger gesellschaftliches Ansehen und Macht als Männer. Durch die Arbeit mit den Mentorinnen sollen die jungen Mädchen bestärkt werden, dem nachzugehen, das ihnen Spaß macht. Die Mentorinnen sind sowohl Bezugspersonen als auch Vorbilder für sie.

Beim beliebten Sommercamp beschäftigen sich die Schülerinnen eine abenteuerliche Woche lang mit Themen rund um Natur, Umweltschutz und Technik.
Stellen Sie bei den Teilnehmerinnen der Workshops Veränderungen fest?
Kröber: Die Schülerinnen verlieren Berührungsängste und haben Freude am Ausprobieren. Ich erinnere mich an eine Teilnehmerin eines Workshops, die großen Spaß an der Arbeit mit Holz hatte und in der Werkstatt regelrecht aufgeblüht ist. Persönliche Interessen sollten nicht von der Geschlechtszugehörigkeit bestimmt werden.
Justrie: Wegen Situationen wie diesen macht uns die Arbeit besonders viel Freude. Die Mädchen wachsen über sich hinaus, entdecken verborgene Talente und überwinden Blockaden. Durch solche Erfahrungen trauen sie sich mehr zu. Das zu beobachten, macht uns sehr glücklich.

Treffpunkt Waldökostation: Unter professioneller Anweisung erkunden die Schülerinnen die Tiefen des Waldes und schrecken selbst vor Nässe nicht zurück.
Wie arbeiten Sie weiterhin daran, Geschlechterklischees zu bekämpfen und Mädchen für MINT stark zu machen?
Kröber: Es hat sich viel getan, es ist aber noch viel zu tun. Es liegt ein unglaublich weiter Weg vor uns, zu dem wir einen Teil beitragen dürfen. Selbst wenn irgendwann das Geschlechtergleichgewicht gegeben wäre, gäbe es noch andere Faktoren, die zu Diskriminierungserfahrungen führen können, wie Herkunft, Klasse oder Religion. Auch das muss dringend angegangen werden.
Justrie: Mein Optimismus wird oft auf die Probe gestellt. Wenn ich denke, dass ein großer Schritt gegangen wurde, kommt der nächste Rückschlag. Leider gibt es immer wieder rechte Bestrebungen in der Politik, die Mädchen- und Frauenförderprogramme reduzieren oder gar streichen wollen. Gegenbewegungen wird es immer geben. Diese bremsen den Fortschritt und sind schlichtweg frustrierend. Daher ist es umso wichtiger, diesen Stimmen entgegenzuwirken.
Kröber: Es gibt immer Widerstand, wenn man darin bestrebt ist, Machtverhältnisse zu verändern. Unser Ziel ist es, Mädchen und junge Frauen Mut zuzusprechen, um sie für eine Karriere im MINT-Bereich zu gewinnen.
Dass wir nicht von heute auf morgen alle Stereotype aus der Welt schaffen können, wissen wir. Dennoch sehen wir große Fortschritte. Positive Erfahrungen bekräftigen uns im stetigen Ausbau unseres Angebots. Wir wünschen uns, dass sich immer mehr Mädchen und Frauen sicher sind: „Was ich will, das kann ich!“.
Elena Panzeter