Madeleine Stein weiß, wie prägend der Faktor der Lesemotivation den späteren Bildungsweg von Grundschulkindern unter Umständen beeinflussen kann. Im Rahmen ihrer Forschung zu “Geschlechterunterschieden in der Lesemotivation im Grundschulalter“ untersucht die Promovierende, warum die Lesemotivation von Jungen in der Regel deutlich schwächer ausgeprägt ist als die von Mädchen.
Bitte beschreiben Sie Ihre Forschung in wenigen Sätzen.
Man kennt das Thema schon aus den Medien durch Studien wie die Internationale Schulleistungsstudie (Pisa) oder die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU). Es gibt seit vielen Jahren Unterschiede in der Leseleistung der Kinder, die mit zunehmendem Alter immer größer werden. Deswegen ist es besonders interessant, bei der Forschung schon im Grundschulalter anzusetzen. Das Thema der Lesemotivation steht dabei in direktem Bezug zu Leseverständnis und Leseleistung. Jemand, der motiviert ist, kann in der Regel auch eine bessere Leistung erbringen. In meiner Forschung liegt der Fokus auf der Frage, warum sich die Leseleistung von Jungen und Mädchen so sehr unterscheidet. Jungen schneiden oft schlechter ab, was darauf zurückgeführt wird, dass sie weniger Lesemotivation besitzen.
Welche Faktoren werden dabei konkret analysiert?
Sie forschen, organisieren Tagungen oder schreiben Fachartikel: In dieser Serie sprechen wir mit Promovierenden an unserer Universität.
Meiner Forschung liegt die sogenannte Selbstbestimmungstheorie von Richard M. Ryan und Edward L. Deci zugrunde. Hier werden drei menschliche Grundbedürfnisse benannt, die erfüllt sein müssen, damit man etwas motiviert angehen kann. Dazu zählen das Kompetenzerleben, also ob ich mich selbst als kompetent in einer Tätigkeit erlebe, sowie die soziale Eingebundenheit und die Selbstbestimmung. Diese Faktoren habe ich beim Thema Lesemotivation in der Grundschule untersucht und mir die Unterschiede im Bezug auf das Geschlecht angeschaut.
Wie lassen sich solche Unterschiede in der Lesemotivation praktisch erfassen?
Es wurden mittels Fragebögen Selbstauskünfte der Schülerschaft ausgewertet. Teilgenommen haben Kinder aus dritten und vierten Klassen hier im Koblenzer Raum. In den Fragebögen konnten sie zum Beispiel Auskunft darüber geben, wie gerne sie lesen, ob sie bestimmen dürfen, was sie lesen, wie viel sie sich mit ihren Freunden und ihren Eltern darüber austauschen und ob sie sich als gute Leser wahrnehmen.
Zeichnen sich schon erste Ergebnisse ab?
Zu den Unterschieden in der Lesemotivation zwischen Jungen und Mädchen habe ich auch schon einen Artikel publiziert. Da konnte gezeigt werden, dass Jungen sowohl in der dritten als auch in der vierten Klasse weniger selbstbestimmt sind in dem, was sie lesen, wann sie lesen und wie viel sie lesen. Daraus kann man schlussfolgern, dass die Eltern viel Einfluss auf das Leseverhalten der Kinder nehmen. Auch beim Spaß am Lesen konnten Unterschiede verzeichnet werden. Die Fragebögen machten deutlich, dass Jungen in der vierten Klasse schon weniger Spaß am Lesen hatten als Mädchen. Somit schnitten die Jungen auch in der Leseleistung schlechter ab.
Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Ich habe als Kind selbst immer sehr gerne gelesen und finde die Unterschiede deshalb so spannend, weil ich mich frage, wo der Punkt beginnt, ab dem diese Kluft entsteht. Die Forschung geht davon aus, dass es anfangs zwischen den Geschlechtern kaum Unterschiede in Lesemotivation und -leistung gibt und dass es dann irgendwann einen Punkt gibt, an dem sich das ändert. Ich finde es einfach superspannend zu sehen, woran das liegen kann und mit welchen Stellschrauben man das eventuell beeinflussen könnte. Gerade die Selbstbestimmung könnte von den Eltern und Lehrkräften gut gefördert werden. Zum Beispiel wenn sie den Kindern ermöglichen, ihre Lektüren und den Zeitpunkt des Lesens selbst auszuwählen. Lesen ist ja auch für den weiteren Bildungsweg essenziell. Deshalb habe ich die Hoffnung, mit der Forschung Lösungen zu finden, um in den frühen Jahren der Kinder schon etwas bewirken zu können, was sich auch auf den restlichen Bildungsweg positiv auswirken kann.
Wieso haben Sie sich für eine Promotion entschieden?
Ich war während meines Studiums als Hilfskraft am Institut für Psychologie tätig und habe dort an unterschiedlichen Forschungsprojekten mitgewirkt. So konnte ich erste Einblicke in die Forschungslandschaft gewinnen. Als ich dann mit meinem Studium fertig wurde, wurden einige Promotionsstellen ausgeschrieben und mir wurde von meinen Chefinnen angeboten, dass ich mich darauf bewerben könnte. Da ich Koblenz als Stadt sehr mag und nun schon seit 13 Jahren hier bin, war das für mich eine tolle Möglichkeit.
Wie wird Ihre Promotion finanziert?
Bis vor einem Monat hatte ich noch eine Projektstelle im Rahmen der Graduiertenakademie Bildung·Mensch·Umwelt, das heißt eine halbe Stelle, die zu meinem Promotionsprojekt gehörte. Seit einem Monat habe ich nun eine Vollzeitstelle im Kompetenzzentrum für Studium und Beruf. Somit muss ich die Forschung für meine Promotion aktuell während meiner Freizeit leisten.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag zwischen Beruf und Promotion aus?
Aktuell sehen meine Arbeitstage so aus, dass ich in meinem Büro in der Emil-Schüller-Straße anzutreffen bin und dort Coaching- und Reflexionsgespräche mit Studierenden durchführe. Die Promotion findet somit hauptsächlich in den Abendstunden oder an den Wochenenden statt. Ich habe mich in letzter Zeit auch mit anderen Promovierenden zu einer Art Online-Community zusammengefunden. Wir treffen uns regelmäßig über Onlineplattformen. Dabei arbeiten wir parallel an unserer Forschung, nachdem wir zunächst kurz besprechen, was wir in einer bestimmten Zeit schaffen wollen. Am Ende reflektiert man noch einmal in der Gruppe, ob jeder das geschafft hat, was er schaffen wollte oder ob irgendwelche Hindernisse aufkamen. So arbeitet jeder Seite an Seite, wodurch ein Gemeinschaftsgefühl entsteht. Vor allem wenn man schon einen ganzen Arbeitstag hinter sich hat, ist so ein gemeinsamer Austausch für den Arbeitsprozess hilfreich.
Wie qualifizieren Sie sich weiter?
Da meine Promotion zur Graduiertenakademie der Universität Koblenz-Landau gehört, belege ich in diesem Rahmen regelmäßig bestimmte Angebote. Außerdem habe ich Kurse und Coachings von ProBi, dem Promotionsprogramm Bildungsforschung, wahrgenommen sowie Angebote vom IPZ, dem Interdisziplinären Promotions- und Postdoczentrum.
Welche beruflichen Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich bin auch ausgebildete systemische Therapeutin, wozu ich in den letzten drei Jahren die Fortbildung gemacht habe. Momentan arbeite ich, wie gesagt, im Kompetenzzentrum für Studium und Beruf im Bereich Coaching von Studierenden. Ich sehe meine berufliche Zukunft in diesem Bereich von Beratung, Therapie und Coaching. Trotzdem halte ich es für meinen Berufsweg für wichtig und spannend, mich auch mit der Forschung auseinandergesetzt zu haben.
Was sollten Studierende mitbringen, die an eine Promotion denken?
Natürlich vor allem Interesse am Thema, weil man sich über einen langen Zeitraum damit beschäftigen muss. Frustrationstoleranz (lacht). So doof das klingt, aber man kommt während der Promotion in viele Phasen, in denen man auf Hindernisse stößt. Da muss man einen langen Atem haben und die Fähigkeit besitzen, Rückschläge einzustecken. Zeitmanagement spielt auch eine Rolle, vor allem wenn man den Arbeitsalltag mit der Promotion in Einklang bringen muss.
Interview: Lea Adams