Aus dem Labor

Interview: Gerechtigkeit ist eine Haltung

Wie urteilt man gerecht? Unabhängig von subjektiven Interessen und Empfindungen. Foto: Fotolia/kanvag

Wie urteilt man gerecht? Unabhängig von subjektiven Interessen und Empfindungen. Foto: Fotolia/kanvag

Die aktuelle Ausgabe des Landauer Campusmagazins NeuLand beschäftigt sich intensiv mit Protest und Gerechtigkeit. Unter anderem sprechen wir in dem Schwerpunkt mit Philosophieprofessor Christian Bermes darüber, was Gerechtigkeit überhaupt ist und welche Rolle sie im zwischenmenschlichen Miteinander spielt. Hier ein Auszug des Interviews.

Gibt es eine einfache Antwort auf die Frage, was Gerechtigkeit ist?

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Eine einfache Antwort gibt es nicht. Es gibt aber einen Zugang, der die Sache vereinfacht. Und dieser Zugang ist zunächst begrifflicher Natur. Wir sprechen heute allzu oft über Gerechtigkeit und haben Strukturen, Institutionen, Verteilungsschlüssel und vieles mehr im Blick. Das ist auch wichtig, aber eigentlich nur eine abgeleitete Form der Gerechtigkeit. Die eigentliche Frage der Gerechtigkeit drückt sich in Ausdrücken aus wie etwa „Wie werde ich dieser oder jener Situation gerecht?“. Gerechtigkeit ist daher eine Haltung eines Menschen zu anderen Menschen. Eine solche Form von Haltung bezeichnet man klassischerweise als Tugend. Gerechtigkeit ist seit der Antike eine Kardinaltugend mit einer besonderen Stellung. Denn sie bringt zum Ausdruck, dass die Tugend der Gerechtigkeit das wichtigste Lebensmittel des Menschen ist, mit anderen Menschen umzugehen.

Gibt es einen Anspruch auf Gerechtigkeit?

Ja, das kann man sagen. Überall, wo Menschen in Situationen oder sozialen Ordnungen, seien es berufliche oder andere, miteinander zu tun haben, stellt sich dieser Anspruch. Wie in dem Beispiel der korrekten Beurteilung studentischer Leistungen.

Professor Dr. Christian Bermes lehrt Philosophie am Campus Landau und ist Sprecher der Graduiertenschule „Herausforderung Leben“ sowie des Forschungsschwerpunktes „Kulturelle Orientierung und normative Bindung“. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Philosophische Anthropologie und Ethik, Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie. Foto: Karin Hiller

Professor Dr. Christian Bermes lehrt Philosophie am Campus Landau und ist Sprecher der Graduiertenschule „Herausforderung Leben“ sowie des Forschungsschwerpunktes „Kulturelle Orientierung und normative Bindung“. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Philosophische Anthropologie und Ethik, Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie. Foto: Karin Hiller

Wer ist verantwortlich für Gerechtigkeit. Jeder selbst? Der Staat? Die Gesellschaft?

Zuerst einmal als Tugend jeder einzelne selbst und damit wir alle. Es scheint ein Zeichen unserer Zeit zu sein, Gerechtigkeit überall zu suchen, nur nicht bei sich selbst. Dahinter verbirgt sich etwas völlig Problematisches, nämlich der Wunsch, dass man Gerechtigkeit delegieren könne. Das kann man nicht oder zumindest kann man sich nicht gänzlich von ihr entlasten, weil die Gerechtigkeit als Tugend eine Haltung zu etwas, nämlich zu anderen ist. Wenn man denkt, man könne das delegieren, läuft man Gefahr, selbst ungerecht zu werden, da man seine Haltung zu anderen aufs Spiel setzt.

Welche Zutaten bräuchte es für eine gerechte Welt? Kann es die überhaupt geben, oder ist der Wunsch danach eine Utopie?

Es kann so etwas wie eine rechtsförmige Welt geben, etwa das, was man mit großen völkerrechtlich abgesicherten Institutionen wie etwa der UNO in Verbindung bringt. Dies ist nicht nur wünschenswert, sondern auch vernünftig. Eine gerechte Welt? Es könnte sein, dass man sich mit diesem Anspruch ein wenig überhebt. Man sieht ja heute, dass bereits die Frage nach Rechtsförmigkeit und Rechtskonformität in internationalen Beziehungen schwierig ist. Wie verhält man sich, wenn eine Nation trotz geschlossener Verträge in ein anderes Land einmarschiert? Hier ist also noch einiges zu tun. Eine gerechte Welt jedoch würde voraussetzen, dass jeder von uns zu allen anderen in Handlungssituationen oder sozialen Ordnungen der Kooperation steht. Das scheint mir nicht nur utopisch, das scheint eher irreal.

Wird dem Menschen ein Gerechtigkeitsempfinden schon in die Wiege gelegt?

Was wir als gerecht empfinden und was nicht, lernen wir im Umgang miteinander, in unserer Praxis. Angeboren ist es nicht, aber wir lernen es in unserem Einfädeln in unseren gemeinschaftlichen Umgang oder mit den vielfältigen Handlungsspielen, in denen wir verstrickt sind. Ein einfaches Beispiel: Eine Familie hat zwei Kinder, das eine ist 17, das andere ist 9. Das 17-jährige Kind darf abends länger lesen oder ausgehen. Das 9-jährige Kind fragt, warum ich nicht? Nun, weil es nicht das Richtige für das Kind in dieser Situation ist. Diese Entscheidung wird Konflikte bringen, aber wir lernen im Umgang mit solchen Praktiken Gerechtigkeit kennen. Wir lernen übrigens in diesem Fall auch, dass ungleiche Behandlung nicht gleichbedeutend ist mit Ungerechtigkeit. Ich würde daher nicht sagen, dass Gerechtigkeit angeboren, aber tief in unserem menschlichen Miteinander verankert ist, sonst könnten wir unser Leben nicht führen.

Herr Professor Bermes, herzlichen Dank für das Gespräch!

Mit Professor Bermes sprach Kerstin Theilmann. Das Interview in voller Länger ist zu lesen in der NeuLand-Ausgabe 3_2014.