Promovierende im Interview

Mathematiker René Pickhardt erforscht statistische Sprachmodelle

Sprachmodelle kommen unter anderem in Handy-Anwendungen zur automatischen Worterkennung zum Einsatz. Foto: Adrian Müller

Sprachmodelle kommen unter anderem in Handy-Anwendungen zur automatischen Worterkennung zum Einsatz. Foto: Adrian Müller

René Pickhardt ist Doktorand am Koblenzer Institut für Web Science and Technologies und untersucht unter anderem, wie sich Anwendungen zur Worterkennung oder Übersetzung mit Hilfe statistischer Sprachmodelle verbessern lassen.

Bitte beschreiben Sie Ihre Forschung in drei Sätzen.

Die Serie

Sie forschen, organisieren Tagungen oder schreiben Fachartikel: In dieser Serie berichten wir über Promovierende und ihre Forschung an unserer Universität. Und fragen: Was ist ihr Thema? Was sind ihre Leidenschaften? Wieso haben sie sich für eine Promotion entschieden? Wie organisieren sie ihr Arbeitspensum?

Mein Forschungsthema sind “language models” oder zu deutsch: Sprachmodelle. Das heißt konkret, dass ich versuche, jedem Satz einer Sprache eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuzuordnen. Das klingt zwar sehr abstrakt, aber es gibt dafür erstaunlich viele Anwendungsbereiche wie maschinelles Übersetzen, Spracherkennung und  Autovervollständigung bei Handys oder Suchmaschinen. Je akkurater dabei das Sprachmodell, desto besser und präziser das Ergebnis. Wenn sie beispielsweise einen englischen Satz Wort für Wort ins Deutsche übersetzen, dann ist die Wortreihenfolge manchmal nicht mehr korrekt. In meinem Sprachmodell hat also diese Lösung eine niedrigere Wahrscheinlichkeit. Wenn jetzt aber zwei Wörter vertauscht werden und der Satz erlangt dadurch eine hohe Wahrscheinlichkeit, so kann man die Übersetzung deutlich verbessern.

Was fasziniert Sie an diesem Thema?

Das Thema Sprachmodelle hat durch seine vielfältigen Anwendungsgebiete eine unheimlich hohe Praxisrelevanz. Es ist sehr spannend, dass wir mit unseren heutigen Rechenkünsten und dem technischen Know-how eine schon 1948 von dem Mathematiker Claude Shannon aufgeworfene Fragestellung nun viel besser beantworten können. Außerdem unterhalten Firmen wie Google unheimlich große Forschungsabteilungen in diesem Bereich und mithilfe des Wissens, das zum Großteil auch an Universitäten entwickelt wird, wird eventuell irgendwann der Traum des sprechenden und übersetzenden Computers Wirklichkeit werden.

Wieso haben Sie sich für eine Promotion entschieden?

Nach meinem Studium der Mathematik und Physik wollte ich erst einmal etwas ganz anderes machen und habe die Internetseite metalcon.de gegründet, ein soziales Netzwerk für Heavy-Metal-Fans. In diesem Rahmen bin ich dann nach China gegangen, habe chinesisch gelernt und dort bei einem Start-Up-Unternehmen angefangen, das Babyprodukte über das Internet vertreibt. Der deutsche Besitzer der Firma bot mir nach einiger Zeit den Posten des Geschäftsführers an, doch ich war persönlich noch nicht bereit für die Aufgabe, weil ich sowohl an meinen sprachlichen als auch technischen Fähigkeiten im Web-Business zweifelte. Außerdem sah ich meine Zukunft doch eher in Deutschland. Nach 18 Monaten war ich also wieder zurück in der Heimat. Dort besann ich mich dann auf meine Stärken in der Bildung und Lehre. Auch durch den in China entstandenen Wunsch, mit meiner Arbeit einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen, entschied ich mich letztendlich für eine Promotion.

Welche zusätzlichen wissenschaftlichen Aktivitäten planen oder machen Sie bereits zusätzlich zu Ihrer Promotion?

Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Web Science. Weiterhin bin ich aktiv im Bündnis Freie Bildung. Das ist ein Zusammenschluss von Wikimedia, der Open Knowledge Foundation und Creative Commons. Da versuchen wir, der Politik Handlungsempfehlungen zu geben, wie man eine freie Bildung ermöglichen könnte. Das ist offensichtlich nicht so leicht umzusetzen, denn wenn die Schulbücher auf einmal durch Steuergelder finanziert werden, würde ein ganzer Markt wegfallen, der ja zur Zeit gut funktioniert.

Ein zweites Thema, für das ich mich einsetze, ist Open Access. Ziel der Bewegung ist es, wissenschaftliche Literatur und wissenschaftliche Materialien, die ja häufig schon durch Steuergelder finanziert sind, für alle Nutzer kostenlos zugänglich zu machen.Vor zwei Jahren habe ich dazu mit meinem Kollegen, Herrn Hartmann, in Oxford die “Rigour and Openness“-Konferenz mitorganisiert, wo wir versucht haben, Verleger und Politiker zusammenzubringen, um bessere Wege zum Open Access zu finden.

Außerdem habe ich hier in Koblenz bei der Erstellung des weltweit ersten MOOCs für Web-Science geholfen, arbeite im Web-Development und betreue mehrere Bachelor-Arbeiten.

Was sind denn die Vorteile von Open Source?

Viele Entwicklungen, die an den Universitäten gemacht werden, finden erstmal im Open Source-Bereich statt. Die Lizenzierung dieser Programmen würde sich auch nicht rentieren, da die meisten Systeme an den Universitäten nur einen Prototyp darstellen und keine marktreifen Produkte sind. Ich habe auf Konferenzen aus der Erfahrung von anderen Wissenschaftlern gehört, welche Vorteile es bietet, Open Source zu sein. So können zum Teil andere Wissenschaftler einfacher auf meiner Forschung aufbauen, man wird zitiert, man kennt einander und daraus entstehen sehr viel mehr Möglichkeiten. Dann können zum Beispiel auch Firmen wie Google die Ergebnisse nutzen und weiterentwickeln.

Was sind ihre beruflichen Pläne für die Zukunft?

Es ist noch nicht hundertprozentig entschieden, aber es gibt drei Favoriten: Entweder die wissenschaftliche Karriere weiterzuverfolgen, im Product Management in einer Silicon Valley Company (Bsp. Google) zu arbeiten oder selbst eine eigene Firma zu gründen.

Was sollten Studierende mitbringen, die an eine Promotion denken?

Neugier, die ist wirklich unabdingbar. Wenn ich nicht wirklich neugierig bin und wissen möchte, wie eine Sache im Detail funktioniert, dann bin ich auch nicht in der Lage, eine gute wissenschaftliche Fragestellung herauszuarbeiten. Und wenn ich das nicht kann, kann ich nicht promovieren. Promovierende, die ein Thema vorgegeben bekommen, tun sich damit meist etwas schwieriger. Der zweite wichtige Punkt ist die Hartnäckigkeit. Man braucht viel Ausdauer und Lernbereitschaft, um zu sagen, ich höre nicht auf, bevor ich das wirklich verstanden habe. Und dann wäre da noch die Fähigkeit, auch mit kritischem Feedback auf die eigenen wissenschaftlichen Essays gut umgehen zu können. Schließlich geht es bei einer Promotion auch darum, konstant an sich und seinen Fähigkeiten zu arbeiten.

Welche Aufgaben ergeben sich noch im Zuge Ihrer Promotion?

Ich muss als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum Beispiel Vorlesungen betreuen und in meinem Fall auch mit konzipieren, da es eine Introduction to Web Science weltweit vorher nicht gab. Das war schon eine größere Aufgabe, die ich aber gerne übernommen habe und für die ich auch bereit war, meine Promotion zu verlängern. Unterschätzt habe ich zu anfangs vielleicht, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben auch Personalverantwortung für meine Hilfswissenschaftler habe. Und auch, wenn ich eine Bachelorarbeit betreue, verbringe ich sehr viel Zeit in Meetings mit den Studierenden und beschäftige mich darüber hinaus mit den jeweiligen Themen. Das ist schon sehr zeitaufwendig, macht aber auch sehr viel Spaß.

Was unternehmen Sie, um sich zusätzlich zu qualifizieren?

Was ich konkret gemacht habe, ist, dass ich angefangen habe zu bloggen, um meine schreiberischen Fähigkeiten zu verbessern. Das ist übrigens auch ein guter Tipp an alle, die denken, sie können nicht gut schreiben, denn ich habe viel positives Feedback bekommen. Klar lese ich auch viel und gucke mir Lehrvideos an und die Diskussion mit Freunden und Kollegen über bestimmte Themen ist oft sehr bereichernd. Zusätzlich besucht man natürlich Fachkonferenzen, wo man auf viele interessante Leute trifft. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man gute Fragen vorbereitet hat, sind auch die prominentesten Wissenschaftler bereit dazu, Auskunft zu geben.

Wie organisieren Sie Ihr Arbeitspensum?

Ich habe mehre To-Do-Listen für Tage, Wochen und größe Projekte und nutze ein damit gekoppeltes Kalendersystem. Das ist gut, um nicht den Überblick zu verlieren. Wichtig ist auf jeden Fall, sich am Anfang klare Ziele und Deadlines zu setzen. Und wenn möglich, setze ich auch auf Hilfswissenschaftler, um einige Arbeiten delegieren zu können.

von Giovanna Marasco-Albry