Corona hat den Unterricht an Schule und Uni herausgefordert. Welchen Einfluss hat das auf die Lernmotivation? Und wie schreibt man in solchen Zeiten eine Abschlussarbeit? Tobias Hoffmann kann auf diese Fragen Antwort geben. Er studiert Realschullehramt und hat seine Bachelorarbeit im Sommersemester 2020 geschrieben. Darin untersucht er, wie Online-Unterricht motivationale Aspekte bei Schülerinnen und Schülern beeinflussen kann.
Um was geht es in Ihrer Bachelorarbeit?
Wie organisiert man die letzte Phase des Studiums? In unserer Serie berichten Studierende von ihren Abschlussarbeiten.
Ich habe am Beispiel von Videokonferenzen mit Microsoft Teams untersucht, ob der Online-Unterricht ein selbstbestimmtes und intrinsisch motiviertes Lernen ermöglicht und welche Aspekte dabei wichtig sind. Dafür habe ich Schulkinder, die solchen Unterricht erhalten haben, mit Hilfe eines Fragebogens befragt.
Was versteht man unter selbstbestimmtem Lernen?
Auf Grundlage der Selbstbestimmungstheorie von Edward L. Deci und Richard M. Ryan ist Lernen dann selbstbestimmt, wenn der Lernende den Lerngegenstand frei wählen kann, er sich beim Lernen kompetent fühlt und sozial eingebunden ist. “Sozial eingebunden” meint, dass sich Schulkinder in der Klasse wohlfühlen. Lernen ist selbstbestimmt, wenn man sich mit dem Ziel des Unterrichts identifizieren kann – weil es einen interessiert oder weil man versteht, warum man den Stoff lernen muss. Dabei spielt die intrinsische Motivation eine große Rolle. Nach der Selbstbestimmungstheorie hat ein solches Lernen einen positiven Effekt auf den Lernerfolg.
Und was ist intrinsische Motivation?
Grundsätzlich sind Schulkinder intrinsisch motiviert, wenn sie das Thema interessiert. Sie lernen, weil es Spaß macht. Sie sind extrinsisch motiviert, wenn sie nicht aufgrund des eigenen Interesses, sondern etwa für eine gute Note lernen. Intrinsische Motivation ist immer selbstbestimmt. Extrinsische Motivation kann auch selbstbestimmt sein, wenn man für ein selbstbestimmtes Ziel lernt. Das kann zum Beispiel eine gute Note sein, die man haben möchte.
Wie kamen Sie auf dieses Thema?
Zuerst wollte ich in meiner Bachelorarbeit selbstbestimmtes Lernen und die Motivation von Lernenden an außerschulischen Lernorten untersuchen. Ich habe bereits eine Hausarbeit in einer ähnlichen Richtung geschrieben und das Thema interessiert mich sehr. Außerschulische Lernorte wären zum Beispiel Museen. Anfang des Jahres hat sich aber gezeigt, dass diese aufgrund von Corona geschlossen bleiben. Aufgrund der Aktualität hat sich Online-Unterricht als Thema angeboten. Diesen konnte ich auch auf Basis der Selbstbestimmungtheorie untersuchen.
Wen haben sie befragt?
Ich habe 45 Lernende zwischen der siebten und zehnten Klasse befragt. Etwa die Hälfte war im neunten Schuljahr.
Wie haben Sie den Fragebogen konzipiert?
Für die Fragen habe ich einen vorgefertigten Fragebogen zur intrinsischen Motivation als Grundlage genommen und nach meinen Anforderungen angepasst. Zum Beispiel habe ich abgefragt, ob die Lernenden finden, dass der Online-Unterricht strukturiert ist, weil das in der Literatur immer wieder als Qualitätsmerkmal für Unterricht genannt wird. Außerdem habe ich die soziale Eingebundenheit der Schülerinnen und Schüler abgefragt.
Wie kamen Sie an Daten?
Ich hatte den Vorteil, dass ein Bekannter von mir in einer Schule arbeitet. Den habe ich gefragt, ob er Fragebogen an seine Schülerschaft weitergeben könnte. Er war sehr engagiert und hat den Zusatzaufwand für alle anderen Lehrkräfte sowie die Lernenden möglichst gering gehalten.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Ich habe herausgefunden, dass der Online-Unterricht am Beispiel von Microsoft Teams selbstbestimmtes und intrinsisch motiviertes Lernen grundsätzlich ermöglicht. Besonders überrascht haben mich die hohen Werte für die soziale Eingebundenheit der Lernenden. Sie erfuhren ein Gemeinschaftsfühl, obwohl der Kontakt zu den Mitschülern nur über Videokonferenzen stattfand. Bei einer Frage haben viele angegeben, dass sie sich einfach gefreut haben, ihre Mitschüler zu sehen. Außerdem kam für meine Untersuchungsgruppe heraus, dass sich die Motivation zwischen verschiedenen Geräten nicht unterscheidet – egal ob PC, Laptop, Handy. Auch Geschlecht und Alter machten keinen Unterschied. Aber die Motivation der Schulkinder hängt auch von der Lehrperson und dem Aufbau des Unterrichts ab. Das gilt aber auch im klassischen Unterricht.
Welche Besonderheiten ergaben sich durch die Corona-Situation?
Ein Nachteil war, dass ich nicht in die Bibliothek konnte. Zum einen, weil ich sehr gerne in der Bibliothek arbeite, da ich dort meine Ruhe habe. Zum anderen war es schwieriger, an Literatur zu kommen. Vor allem bei Einführungsliteratur war es herausfordernd. Der Vorteil daran war, dass ich quasi gezwungen wurde, viele Paper und wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema zu lesen, da diese online abrufbar waren. Vor allem in der Psychologie gab es viele relevante veröffentliche und für mich zugängliche Paper. Das sind wissenschaftliche Ausführungen zu Studien, die im Gegensatz zu Einführungsliteratur speziell auf eine Forschungsfrage ausgerichtet sind. In der Psychologie werden fast alle Studien auf Englisch verfasst, weshalb ich Literatur aus verschiedensten Ländern lesen konnte. So hatte ich einen sehr vielfältigen Einblick in die Thematik.
Nach welchen Kriterien haben Sie den Betreuer Ihrer Abschlussarbeit ausgesucht?
Ich habe mir Linda Schürmann ausgesucht, da ich bereits ein Seminar mit der dazugehörigen Hausarbeit bei ihr absolviert hatte. Dabei bin ich sehr gut mit ihr zurechtgekommen. Außerdem hat sie sich thematisch angeboten, da Motivationspsychologie zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt. Sie ist beim Institut für Psychologie angestellt und hält auch Veranstaltungen, die von Lehramtsstudierenden besucht werden können.
Wie lief der Kontakt zu Ihrer Betreuerin während der Corona-Zeit?
Das hat sehr gut funktioniert. Wir hatten viel E-Mail-Kontakt, Frau Schürmann hat sehr schnell geantwortet. Zusätzlich haben wir über Skype Videotelefonate geführt. Dabei hat sich Frau Schürmann sehr viel Zeit genommen und ich konnte viele Fragen stellen oder auch mal meinen aktuellen Stand vorstellen. Mir hat es immer einen kleinen Motivationsschub gegeben, wenn ich wusste, dass ich bald mit ihr telefoniere, da ich dann auch immer bis zu einem gewissen Punkt der Arbeit kommen wollte.
Wie haben Sie Ihren Arbeitsablauf organisiert?
Ich habe sehr viel Arbeit investiert. Sowohl zum Ende der vorlesungsfreien Zeit als auch während des Semesters. Das ging ganz gut, da ich ja keine Präsenzveranstaltungen an der Uni hatte. Aufgaben für Univeranstaltungen habe ich nebenher bearbeitet. Da ich ein paar Wochen auf die ausgefüllten Fragebogen warten musste, konnte ich in diesem Zeitraum viel machen.
Welche Tipps geben Sie Studierenden für ihre Abschlussarbeiten? Zu was raten Sie beim Schreiben unter Kontaktbeschränkungen?
Wenn man selbst forschen möchte, sollte man schauen, ob man selbst Forschungsmaterial sammeln kann. In meinem Fall war zu klären, ob und wie ich Fragebogen an die Schülerschaft verteilt bekomme. Und was die Einschränkungen angeht: Man sollte sich einen Bereich schaffen, wo man nur zum Arbeiten hingeht, damit man Privatleben und Arbeit wenigstens etwas trennt. Wegen Corona ist man ja viel mehr zu Hause als sonst. Arbeit und Freizeit verschwimmen schneller.
Was haben Sie zum Ausgleich zur wissenschaftlichen Arbeit unternommen?
Ich war oft an der frischen Luft: habe im Garten geturnt, mein Ballgefühl mit Basketball oder Fußball trainiert oder bin eine Runde Rad gefahren. Außerdem habe ich über Videochats viel mit Freunden geredet oder auch mal online mit ihnen Montagsmaler gespielt. Den sozialen Kontakt fand ich immer wichtig, auch wenn er nicht physisch möglich war.
Sie studieren Lehramt. Können Sie Ihre Erkenntnisse aus der Bachelorarbeit später selbst nutzen?
Ja, natürlich. Auch wenn ich hoffe, dass es eine solche Situation wie jetzt nicht noch einmal gibt. Aber es hat sich gezeigt, dass digitaler Unterricht nicht per se heißt, dass nicht motiviert gelernt werden kann. Für den Fall, dass ich doch mal E-Unterricht anbiete, nehme ich mit, dass er am besten als Videokonferenz ablaufen sollte. Das kommt dem klassischen Schulunterricht am nächsten.
Interview: Jan Luca Mies