Aus dem Labor

Demografiebeirat: Beratung für die Landesregierung

Professor Sesselmeier setzt sich mit Fragestellungen des demografischen Wandels auseinander und unterstützt die Landesregierung Rheinland-Pfalz als Mitglied im Demografiebeirat. Foto: Privat

Professor Sesselmeier setzt sich mit Fragestellungen des demografischen Wandels auseinander und unterstützt die Landesregierung Rheinland-Pfalz als Mitglied im Demografiebeirat. Foto: Privat

Regionale Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung, sinkende Bevölkerungszahlen und ein höherer Anteil älterer Menschen: Der demografische Wandel stellt das Bundesland Rheinland-Pfalz vor eine Fülle von Herausforderungen. Vor rund einem Jahr wurde deshalb von der Landesregierung ein Demografiebeirat aus Experten einberufen, der das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie bei komplexen Zukunftsfragen unterstützt. Auch drei Forscher der Universität Koblenz-Landau aus unterschiedlichen Disziplinen stehen dem Ministerium mit ihrem Fachwissen zur Verfügung: der Geograph Professor Köppen, der emeritierte Politikwissenschaftler Professor Sarcinelli und Professor Sesselmeier aus der Abteilung Wirtschaftswissenschaften sind Mitglieder des Beirats. Uniblog sprach mit Professor Sesselmeier über Probleme und Perspektiven demografischen Wandels.

Die Serie

Was gibt es Neues in der Wissenschaft? Wir stellen Personen und Projekte vor, die im Dienst der Universität Koblenz-Landau die Forschung voranbringen.

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Professor Sesselmeier forscht am Campus Landau zu Fragen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Er ist einer von rund 25 Wissenschaftlern, der Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung unter die Lupe nimmt und deshalb in den Demografiebeirat einberufen wurde. Die Beiratsmitglieder kommen aus vollkommen unterschiedlichen Disziplinen: Sozialwissenschaftler, Geographen, Politologen, Mediziner, Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler tauschen sich über aktuelle Erkenntnisse aus. „Die Interdisziplinarität bietet sich natürlich an, da auch das Problem des demografischen Wandels sehr vielschichtig ist“, erklärt der Professor für Volkswirtschaftslehre. Hinter dem Beirat stecke die Idee der Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Rheinland-Pfalz. „So wird eine Plattform für Demografieforschung aufgebaut und die Landesregierung kann bei der Planung von Strategien durch den wissenschaftlichen Beirat begleitet werden.“ Drei Mal kam der Beirat bislang zusammen. Zurzeit stecke er noch in der Informationsphase, in der das Ministerium von den Beiratsmitgliedern erfährt, was im Bundesland beforscht wird. Andererseits tragen die Wissenschaftler ihr Expertenwissen zusammen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Dazu sollen bald kleine, homogenere Arbeitsgruppen entstehen, die im Team neue Forschungsprojekte initiieren. „Ich könnte mir vorstellen, mit dem Kollegen Köppen an der Frage der regionalen Ungleichgewichte von Arbeitsmärkten zu arbeiten. Sozialpolitisch ist es wichtig zu ermitteln, wie in Zukunft auch kleinere Gemeinden versorgt werden können.“ Dazu müsse man zum Beispiel mobile Unterstützungsdienstleistungen anbieten, damit ältere Menschen in ihren angestammten Wohnungen und Immobilien bleiben können.

Welche Probleme bringt der demografische Wandel?

Mit dem demografischen Wandel geht eine ganze Palette an Problematiken und neuen Anforderungen einher. „Am Campus Landau beschäftigen wir uns mit Fragen möglicher Arbeitsmarkt-Engpässe. In der Südpfalz brauchen wir beispielsweise Arbeitskräfte aus der französischen Nachbarschaft, vor allem aus dem Dienstleistungsbereich. Manche Krankenhäuser könnten ohne Personal aus dem Mittel- und Osteuropäischen Raum gar nicht mehr existieren“, berichtet Sesselmeier. Zuwanderung helfe, Arbeitsmarkt-Engpässe zu überwinden. Daraus könnten sich aber sowohl ökonomische Probleme im Aufnahmeland, als auch im Abwanderungsland ergeben. „Man denke nur an das europäische Ungleichgewicht, wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien oder Portugal. Da stellt sich die Frage: Wie kann man die jungen Menschen hier einsetzen? Welche Bildung bringen sie mit? Und wie kann man diese Bildung in Deutschland anerkennen?“

Außerdem gebe es eine Pflege- und Betreuungsproblematik bei älter werdenden Bürgerinnen und Bürgern sowie regionale Versorgungsungleichheiten. “In dörflichen Regionen gibt es keine Lebensmittelgeschäfte mehr. Das ist besonders gravierend, weil die Menschen im Alter immer immobiler werden.“ Eine Lösung dafür könnten niederschwellige Angebote sein. Man bemerke umgekehrt einen Trend des Zuzugs nach Landau aus den umliegenden Dörfern. Gerade ältere Personen kämen nach Landau, um ihren Lebensabend bequemer gestalten zu können. „Dazu werden entsprechende Wohnungen und Pflegeeinrichtungen gebraucht. Die Stadt Landau macht dafür eine Pflegestrukturplanung, bei der wir sie auch unterstützen“, erklärt Sesselmeier. Er sieht auch eine Chance in der Digitalisierung. Die Einführung technischer Hilfsmittel kann bewirken, dass Menschen länger alleine zu Hause leben können. Altersgerechte Assistenzsysteme für selbstbestimmtes Leben wie Pflegeroboter oder selbstfahrende Autos könnten die Mobilität aufrechterhalten.

Herausforderungen für kleine Unternehmen in der Pfalz

Gerade für kleinere und mittelständische Unternehmen sieht Sesselmeier verschiedene Herausforderungen: „Große Unternehmen können ihren Arbeitnehmern viele Möglichkeiten der Vergünstigung, der Weiterbildung und des Aufstiegs bieten. „In einem Bundesland wie Rheinland-Pfalz und besonders hier in der Südpfalz ist das ein wichtiges Problem, weil die Struktur eher auf kleinere und mittelständische Unternehmen zugeschnitten ist. Gleichzeitig sitzt hier Daimler mit diversen Betrieben, die dann relativ leicht Personen abwerben können.“ Der Wirtschaftswissenschaftler untersucht, welche Berufe und Qualifikationen in Zukunft im Land gebraucht werden und wie man die Angebote dazu schaffen kann. Interessante Entwicklungen seien unter dem Stichwort „Arbeit 4.0“ zusammengefasst. Damit ist eine Kombination aus Produktion und Digitalisierung gemeint.

Forschung: Zu zweit in Rente gehen

In einer neuen Studie von Professor Sesselmeier betrachtet er das gemeinsame Renteneintrittsalters von Paaren. „Die Rentenversicherung ist ja auf Individuen bezogen, und die Reformen der letzten Jahre laufen darauf hinaus, dass die Erwerbspersonen immer später in Rente gehen sollen. Gleichzeitig sieht man, dass Leute sich von möglichen finanziellen Nachteilen durch einen früheren Rentenbezug nicht vom Eintritt in die Rente abhalten lassen.“ Die quantitative Erhebung zeigte, dass eine der Ursachen dahinter ist, dass viele Personen heute eher den Renteneintritt des Partners mit berücksichtigen. Die Unterschiede kämen durch den Wandel von der Ein-Ernährer-Familie hin zum Zwei-Verdiener-Modell zustande. „Wenn beide Partner arbeiten und eigene Rentenansprüche erwerben, sind beide mit dem Rentenrecht konfrontiert und koordinieren sich. Viele wollen gemeinsam in Rente gehen, um den letzten Lebensabschnitt gemeinsam zu bestreiten“, weiß Sesselmeier. Er fand heraus, dass neben der monetären Versorgung auch der gesundheitliche Stand der Menschen sowie immaterielle Vorstellungen über das weitere Leben, wie Gewohnheiten und Traditionen eine große Rolle spielen. „Dieses Verhalten hat man in den offiziellen Rentenregeln nicht berücksichtigt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Personen monetäre Anreize ablehnen, weil sie eben eine bestimmte Vorstellung über die letzten Jahre ihres Lebens haben.“ Solche Vorstellungen ändern sich über Generationen hinweg, deshalb müsse man die Motivation untersuchen, um entsprechend einwirken zu können.

In Zukunft werden die Mitglieder des Demografiebeirats noch mehr spannende gemeinsame Forschungsarbeiten zum Thema Demografiewandel initiieren. Sesselmeier ist sich sicher: „Unsere Arbeit wird im nächsten Jahr sicherlich gute Fortschritte nehmen.“

Wer mehr über den demografischen Wandel in Rheinland-Pfalz erfahren möchte, kann sich unter www.msagd.rlp.de/demografie informieren.

Kurzbiografie: Prof. Dr. Werner Sesselmeier

  • 1960 geboren in Straubing
  • 1982 bis 1988 Studium der Volkswirtschaftslehre, Universität Regensburg
  • 1992 Promotion und 1996 Habilitation an der TU Darmstadt
  • 2002 Ernennung zum außerplanmäßigen Professor an der TU Darmstadt
  • Seit 2003 federführender Herausgeber der Zeitschrift „Sozialer Fortschritt. German Review of Social Policy“
  • 2004 bis 2006 Vertretungsprofessur an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau
  • seit März 2006 ordentlicher Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau
  • seit 2007 im Vorstand der Deutschen Vereinigung für sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung SAMF e.V.
  • Seit 2008 Mitglied im Wirtschaftspolitischen Ausschuss im Verein für Socialpolitik
  • Seit Oktober 2009 Vorsitzender der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.V

Katharina Greb