Kolumne

Dem Minimalismus frönen

Heute schreibt Campus-Reporterin Hannah Wagner. Illustration: Designstudio Mathilda Mutant

Heute schreibt Campus-Reporterin Hannah Wagner. Illustration: Designstudio Mathilda Mutant

In der Kolumne schreiben unsere Campus-Reporter, allesamt Studierende in Koblenz und Landau, unplugged aus ihrem Alltag. Heute macht Hannah Wagner einen radikalen Schnitt und mistet aus – ihr Leben und die Zimmerschränke.

Während der zurückliegenden Monate habe ich mich intensiv meiner neuen Lieblingstätigkeit gewidmet: Dinge aussortieren und beenden. Ich habe fast schon eine Manie entwickelt, um mich von allerlei Sachen zu befreien, die mich umgeben. Schätzungen sagen, dass ein erwachsener Westeuropäer im Durchschnitt rund 10 000 Gegenstände besitzt. So viel habe ich nicht… dachte ich immer. Wenn ich mich in meinem Zimmer umschaue, bin ich mir fast sicher, dass ich noch viel mehr habe.

Wer braucht diese Unmengen an Dingen?

Hier ein paar Beispiele für Überfluss, Luxus und Unnötiges: Textmarker. Ich habe fünf gelbe, drei rote, zwei blaue, drei grüne und einen hellgrünen. 15 Stück insgesamt. Daneben zwölf angefangene Tesafilm-Rollen, mit denen ich mich wahrscheinlich einmal komplett einwickeln könnte. Wäre aber kein Problem, das wieder aufzubekommen, denn ich habe ja glücklicherweise vier Scheren.

Weiter geht es im Badezimmer, wo das Körbchen in der Dusche mit Shampoo- und Duschgelflaschen überquillt. Alle halbvoll – oder leer, je nachdem. Bei so viel Seife stellt sich die Frage, ob ich die acht angefangenen Deos, die im Badezimmerschrank warten, überhaupt noch brauche, um gut zu riechen? Oder in der Küche: Eine Armee von Tassen und Gläsern neben einem Gewürzschrank, der sämtliche kulinarischen Kulturen abdeckt. Könnte sinnvoll sein, denn wenn ich mir anschaue, wie viele Dosen, Packungen und Gläser im Vorratsregal stehen, sollte ich definitiv mal wieder kochen – vielleicht ein Fünf-Gänge-Menü für 15 Personen?

Jetzt ist Schluss

Ich habe einfach keine Lust mehr auf all diese Sachen und deswegen habe ich ausgemistet. Das einzige, was sich jetzt noch stapelt, sind volle Tüten mit aussortierten Dingen, die auf dem nächsten Flohmarkt oder auf einer der zahllosen Free Your Stuff-Facebookgruppen unter die Leute gebracht werden. Manches landete auch in der Tonne. Die vergangenen Monate habe ich auch damit zugebracht, sämtliche Kosmetika aufzubrauchen. Was leer ist, wird gegen hochwertigere, tierversuchsfreie Ware ausgetauscht.

Die kleine Psychologin in mir sieht in diesem Wahn den Versuch, bewusster und vor allem nachhaltiger zu leben und den Übergang zu einem neuen Lebensabschnitt, für den man sich von Altem befreit. Befreiung ist das richtige Stichwort: Ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass zu viele Dinge belasten. Und weil es richtig gut tut, sich zu trennen, habe ich deshalb alles fertig gemacht oder weggegeben, egal ob angefangene Basteleien, Cremedosen oder Hausarbeiten aus dem ersten Semester. Ja, auch das gehört dazu, gerade bei uns Studierenden. Es mag manchmal lästig sein, sich mit einer zwei Jahre zurückliegenden Seminararbeit zu beschäftigen, aber die Abgabe hat etwas Befreiendes. Also wird jetzt auch im Studium aussortiert und abgearbeitet: Eine Hausarbeit nach der nächsten. Eine Belohnung habe ich auch schon festgelegt, die das Arbeiten bekanntlich wesentlich produktiver macht: Nach der Abgabe schaue ich mich mal auf dem Speicher um, denn hier wartet ein wahres Paradies auf mich.

2 Kommentare

  1. Marie-Elisabeth Hirsch sagt

    Super Beitrag, hätte mich aber über weitere Ausführungen gefreut. Dieses Ausmisten ist nämlich eine richtig gute Idee – sollten wir alle ab und zu mal machen 😉 Kann mich nur zu gut mit dem Gefühl der Befreiung identifizieren! Weiter so 🙂

  2. Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Ich finde auch, dass es sehr wichtig ist, sich selber Gedanken darüber zu machen, was im eigenen Leben Platz haben soll. Das fängt bei uns schon beim wöchentlichen Einkauf an. Ich mag zum Beispiel keine Plastikverpackungen. Mir ist es viel lieber, im Unverpacktladen einzukaufen. Da nehme ich dann meine eigenen Taschen und Gläser mit, in die die Waren daran hineinkommen. Schade, dass es das noch nicht so oft gibt. Wir mussten in unserer Stadt sehr lange darauf warten, dass ein Unverpacktladen eröffnete. Jetzt bin ich viel entspannter beim Einkaufen, weil ich zuhause angekommen, keine Zeit für die Entsorgung von Verpackungsmaterialien verschwenden muss.
    Zum Thema Kleindung haben wir uns auch so unsere Gedanken gemacht. Es kommt hier schon einiges zusammen in einem vierköpfigen Familienhaushalt. Das Wäschewaschen nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Ständig müssen wir nach Farben und Materialien trennen, damit es separat gewaschen werden kann. Mittlerweile sind wir der Ansicht, dass es für ein minimalistische Leben, das wir bevorzugen, viel zeitsparender ist, Kleidungsstücke nur in einer Farbe zu kaufen. Und auch nur jene Stücke, die wir wirklich benötigen. Wir brauchen keine 5 Wintermäntel oder 10 Paar Schuhe. Alle müssen doch geputzt, gepflegt und aufgeräumt werden. Hier gilt für uns auch: Weniger ist mehr Zeit für wichtigere Dinge.
    Es tut so gut, wenig Balast im Leben mit sich zu schleppen. Es lebt sich einfach viel leichter, wenn man nicht zu viel besitzt. Denn jeder Besitz benötigt Zeit, Geld und Aufmerksamkeit. Wir finden es in unserer Familie viel wichtiger, Zeit für und miteinander zu haben. Der tägliche Alltag mit Job, Schule und Kindergarten raubt uns schon soviel unserer Lebenszeit, in der wir nicht zusammen sein können. Unsere Traumsituation wäre es deshalb, dass jeder von uns Erwachsenen nur halbtags arbeiten müsste. Das streben wir an und hoffen, es in Zukunft umsetzen zu können.
    Alles in allem ist ein minimalistischer Lebensstil für uns der beste Weg im Leben.

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